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Ulrich Gerhardt zum Siebzigsten

Der im Jahr 1934 in Berlin geborene Ulrich Gerhardt gehört zu den großen Regisseuren des Hörspiels. Mit Ausnahme von sechs Jahren als Hörspielleiter in Berlin und einer kurzen Zeit als Schauspieler hat er nie in einem anderen Beruf als dem des Regisseurs gearbeitet. Für das zusammen mit Günter Heß realisierte Hörspiel "Übergang über die Beresina" erhielt er im Jahr 1993 den Karl-Sczuka-Preis.

Von Frank Olbert |
    Frank Olbert: Herr Gerhard, welches der zahlreichen Hörspiele, die Sie realisiert haben, ist Ihnen am lebendigsten in Erinnerung geblieben?

    Ulrich Gerhardt: Ich habe im RIAS eine Reihe mitgemacht, die hieß "Literarisches Experiment". Da haben wir zum Beispiel Stücke von Friederike Mayröcker gemacht. Das waren sehr schöne, neue Erfahrungen. Damals habe ich angefangen, die Schnitttechnik zu praktizieren, mit der ich heute auch arbeite. Es ist im Wesentlichen eine Montagetechnik. Bis dahin war man mehr oder weniger der Meinung, dass man den akustischen Raum realistisch abbilden müsse. Und das, was dann "Neues Hörspiel" hieß und auf eine Entwicklung zurückging, die eigentlich schon in den 20er Jahren begann, das hat uns dann etwas verspätet auch erreicht. Es war die Erkenntnis, dass wir mit Materialien arbeiten, mit denen man anders umgehen müsste als rein theatermäßig.

    Frank Olbert: Wie sind Sie selbst denn zum Radio und dann zum Hörspiel gekommen?
    Ulrich Gerhardt: Das war - wahrscheinlich wie bei vielen Menschen - sehr vom Zufall geprägt. Als das Abitur vorüber war, wusste ich eigentlich immer noch nicht, was ich machen will. Ich wusste nur, dass ich etwas Künstlerisches machen will und deswegen ging ich auf die Schauspielschule. Ich merkte aber nach kurzer Zeit als Schauspieler, dass das doch nicht der ganz richtige Weg für mich ist. Ich wollte studieren, bekam dann aber eine Theaterregieassistenz bei Wolfgang Spier in Berlin und fand großen Gefallen daran. Wolfgang Spier hat auch für den Rundfunk gearbeitet und so kam ich dann nach einem kurzen Umweg über das Theater zum Radio und zum Hörspiel. Es traf ein besonderes Interesse bei mir, weil ich auch sehr stark an der journalistischen Seite dieses Berufs interessiert war. Ich mache sehr gerne Feature und habe früher auch das Tagesprogramm des RIAS gerne produziert.

    Frank Olbert: Bei dem Hörspiel "Übergang über die Beresina" haben Sie ja auch auf vorhandenes Originalmaterial zurückgegriffen.

    Ulrich Gerhardt: Ich habe das Glück gehabt, auf einem Flohmarkt einen Plattenfund zu machen. Das waren merkwürdige Platten, hauchdünne Folien, die man selbst bespielen konnte. Irgendein Mensch hat in den Kriegsjahren 40/41, wenn er Fronturlaub hatte, diese Platten aufgenommen. Es waren authentische Aufnahmen zum Teil aus dem Rundfunk, zum Teil von ihm selbst inszeniert. Ich fand das Material sehr aufregend, nur sah ich lange Zeit keine Möglichkeit, diesen Ton von den sehr zerbrechlichen Folien herunterzunehmen. Ich habe schließlich einen befreundeten Toningenieur in München gefragt, der solche Sachen für die Industrie machte. Bei ihm haben wir es dann überspielen können, was sehr abenteuerlich war, denn die Platten waren zum Teil zerbrochen, gewellt, schlecht gelagert. Die Bruchstücke, die dabei zu Tage traten, haben wir dann so dokumentiert, wie wir es von den Folien abgenommen hatten. Es sind viele Unterbrechungen darin. Das macht aber gerade das Spannende aus. Es war ein archäologischer Fund, der auch die Wirkung hatte wie ein Bruchstück aus der Geschichte.

    Frank Olbert: Ein ganz anderer Aspekt Ihrer Arbeit zeigt sich in dem Hörspiel "Musik aus Gägelow", ein sehr humoristisches Stück von Horst Hussel. Was waren denn da die besonderen Anforderungen an die Regie?

    Ulrich Gerhardt: Das war ein sehr lustiges Verfahren in sehr enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten Gerd Bessler und dem Autor. Horst Hussel hat einen sehr skurillen Text geschrieben, in dem er behauptet, dass es einen Komponisten gegeben habe, der schon Anfang des 19. Jahrhunderts Schönberg, die Geräuschmusik u.s.w. vorweggenommen hat. Es war ein wunderbarer Fake. Ich musste das Stück wie ein Dokument produzieren, also genau den gegenteiligen Weg gehen wie bei "Übergang über die Beresina".

    Am Sonntag, den 18. Januar ist im Südwestrundfunk eine Funkbearbeitung von Ulrich Gerhardt zu hören. Nach Thomas Bernhards Roman "Das Kalkwerk" entstand das gleichnamige Hörspiel mit Ulrich Matthes als Sprecher. Sendetermin: Sonntag, 18. Januar. 16.05 Uhr, SWR 2.