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"Ulrike Maria Stuart" jetzt auch in München

In Elfriede Jelineks Stück "Ulrike Maria Stuart" geht es um Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Bei Jelinek muss man sich freilich auf mehr gefasst machen als auf flache Analogien, etwa für ein Zwei-Zickendrama. "Ulrike Maria Stuart" wurde letztes Jahr in Hamburg uraufgeführt, jetzt hat Jossi Wieler es für die Münchner Kammerspiele in Szene gesetzt.

Von Sven Ricklefs |
    Die Last wiegt schwer auf diesem Esstisch: Vater, Mutter und den großen Kindern mit den Lätzchen um, ist die Geschichte wie in die Glieder gefahren. Kein Wunder: denn schon bald wird die richtige Mutter, die längst Verstorbene, die, die sich im Hochsicherheitstrakt damals selbst erhängte, wie eine Untote aus dem Nebel auftauchen und das, was hier so schwer wiegt und was es aus der Verdrängung zu holen gilt, aus diesem Nebel mitbringen. Sie, in Gestalt der Schauspielerin Bettina Stucky, sie ist noch ganz die Ulrike Meinhof von damals, die aufgedunsene Intellektuelle von den so hyperpräsenten Fandungsfotos. Nur ihre Generationsgenossen sind alt geworden, die, die damals vielleicht heimlich mit ihr sympathisierten oder auch nicht, sie auf jeden Fall, die - als schließlich alles vorbei - sich nicht wirklich wieder darin erinnern wollten. Und so sitzen sie jetzt am Tisch mit den Jungen, die nun Fragen stellen, Fragen an die Mutter, die Elterngeneration, aber auch Fragen an sich selbst.

    "Hätten wir die repressiven ideologischen Apparate selber noch erlebt, aber diese Offensivposition gab es nicht, wir hatten nicht die Wahl, sonst hätten wir uns für die Illegalität ja auch entscheiden können."

    Mit ihrem Stück "Ulrike Maria Stuart" befragt Elfriede Jelinek zum einen den Mythos RAF in seiner Bedeutung für ein heute und zeigt sich dabei schwankend zwischen Sympathie für eine unbedingte Utopie und Abscheu für eine Terrorgewalt, die sich in ihrer gnadenlosen Kälte bis in den Jargon hineinschreibt. Doch Elfriede Jelinek geht mit ihrem Text, der wie immer eine mäandernde Fläche ohne wirkliche Figurenpsychologisierungen ist, weit darüber hinaus, indem sie in Ulrike Maria Stuart zwei Frauenpaare ineinander verwebt, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin sowie Maria Stuart und Königin Elisabeth I.: Es sind Paare von Frauen, die sich in einer von Männern dominierten Welt angemaßt haben, nach der Macht zu greifen. Was Jelinek hier vor allem fokussiert ist der tödliche Konflikt, der dabei zwischen den jeweiligen Frauen entsteht. Schon Friedrich Schiller hat den einen bekanntermaßen dramatisiert und auch zwischen dem modischen Gun-Girl der der Terrorgruppe Gudrun Ensslin und der sehr viel älteren zu Zweifel neigenden Meinhof kam es zu einem Konflikt, der bis in den Hochsicherheitstrakt hineinreichte und der sich bei weitem nicht nur um den Mann in der Mitte: Andreas Baader drehte.

    "Habt ihr die anderen Mitglieder gefragt, bevor ihr mich geächtet habt? nein, habt ihr nicht, gekrönt von deinem sieg sei jetzt dein Haupt, es steht dir gut, fast besser als dein eigenes Haar, das unter der Perücke schlummert, wie eine Flunder."

    Regisseur Jossi Wieler, bekannt für seine sehr subtil und fast zart auf Stück und Sprache horchenden Inszenierungen, hat für seine Münchner Version von Elfriede Jelineks jüngstem Stück große Bilder gefunden: da ist die auf leerer, hoher Bühne wie verloren stehende Familientafel, da ist das weiß sich nach oben stufende Treppenhaus des Hochsicherheitstrakts, in dem es wuchtige Auftritte gibt. Doch ebenso wuchtig schwingt sich auch die große Sprache der Autorin auf, die sich zwar immer wieder durch Jelineks berühmte Kalauer bewusst selbst bricht, doch Jelinek will mehr, will explizit, dass Regisseure stören oder auch zerstören, wie, dass hat auf seine Art Nicolas Stemann mit seiner Hamburger Uraufführungsinszenierung gezeigt, die als RAF-Trash daherkam. Das ist die Sache von Jossi Wieler ganz sicher nicht, doch so wie sich das Stück nun in München präsentiert, wächst es ins überdimensional Opernhafte. Und so führt der gleichsam greifbare und sicherlich beachtenswerte Respekt des Regisseurs vor dem Text den Abend in eine leicht raunende Schwere, die sich bleiern über ihn legt, so als hätte ihn die Heraufbeschwörung der Untoten selbst zu einem solchen Untoten gemacht.