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Ultimatives 68er-Märchen

Mit der "Geschichte einer Freundschaft" zwischen den beiden 68er-Ikonen Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof versetzt die Autorin Jutta Ditfurth, ehemalige Chefin der Grünen, nicht nur Zeitzeugen und Weggefährten in Staunen. Ihr Buch bringt zusammen, was offenbar gar nicht zusammengehörte. Eine Rezension von Hubert Maessen.

14.04.2008
    Wer in Deutschland ein Buch "Rudi und Ulrike" betitelt, der muss damit rechnen, dass jedem Kind und sogar dem volljährigen Publikum auf der Stelle "Hänsel und Gretel" einfällt. Oder "Brüderchen und Schwesterchen", "Schneeweißchen und Rosenrot", kurzum: Märchen. Vielleicht auch als Film: "Susi und Strolch".

    Sage also niemand, die Autorin Jutta Ditfurth habe nicht schon auf der Schutzhülle darauf hingewiesen, dass es sich bei ihrer "Geschichte einer Freundschaft" keineswegs um ein politisches Sachbuch handelt, sondern einzig um das ultimative 68er-Märchen.

    Auch der Verlag versucht verschämt ein bisschen Bekennermut, indem er das Buch in die Kategorie "Belletristik/Romanhafte Biografien" einordnet. So abgesichert wird dann über den Studentenführer Rudi Dutschke und die Journalistin Ulrike Meinhof, über Theorie und Terror das Blaue vom Himmel gesponnen, dass die Schwarte kracht und die Viehmännin aus dem Hessischen, die Gewährsfrau der Brüder Grimm, sich dagegen ausnimmt wie eine Protokollführerin des Statistischen Bundesamtes.

    Der Waschzettel des Verlags, als Konzentrat des Werks naturgemäß besonders ätzend, beginnt mit einer Überschrift, bei der des Teufels Großmutter vor Schreck sämtliche goldenen Haare ausfallen: "Eine Freundschaft, die die Republik veränderte". Daran stimmt gar nichts. Es hat diese Freundschaft nie gegeben, und sie hat die Republik schon deshalb nicht verändert. Aber lesen wir weiter, wie das ausfabuliert wird. 1967…

    "Es ist das Jahr, in dem Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof einander kennenlernen. Gerade mal zwei Jahre dauert ihre Freundschaft, doch es sind zwei Jahre, die das Gesicht des Landes verändern."

    Man kann es gar nicht glauben, man reibt sich die Augen, es kreisen Hut und Verstand. Das steht da tatsächlich. Es ist wie an Rapunzels Haaren herbeigezogen, denn Dutschke und Meinhof kannten sich bestimmt ganz gut aus den Medien, aber begegnet sind sie sich kaum und überhaupt nur flüchtig. Eine Freundschaft entstand nie.

    Dafür gibt es Zeugen. Niemand, der Rudi Dutschke gut kannte, wusste bis zu Ditfurths Erzählung von einer Freundschaft zwischen ihm und der Meinhof. "Völliger Quatsch", sagt der nachweisliche Dutschke-Freund Clemens Kuby. "Fiktion, eine erfundene Freundschaft", kommentiert Dutschkes SDS-Genosse Tilman Fichter.

    Ditfurth hat diese und andere Zeugen nicht befragt, ihre raren Belege für die Geschichte einer Freundschaft finden sich, wenn überhaupt, in Diffus-Noten dieser Qualität: "Äußerungen gegenüber einer Freundin im September 1968". Für Freunde des Grotesken mag es ein Spaß sein, für den politisch Interessierten ist es eine Zumutung, wie Ditfurth ihre 68er-Kolportage so windschief und klapprig zusammenschustert, dass jedes Grimmsche Hexenhäuschen dagegen Bunkerqualität besitzt.

    Hier die Haupt-Bauklötze der Ditfurth als Zitatenreihe; der Ordnung halber beginnen wir mit der Formel: "Es war einmal".

    "Ihre Freundschaft war nur wenigen bekannt / Beide starben an den deutschen Verhältnissen / Als Ulrike Meinhof in den SDS eintrat, hatte Rudi Dutschke (...) soeben das Abitur gemacht / Sie lernten sich im Frühling 1967 (...) kennen, so erzählte es Ulrike Meinhof einmal, ohne einen genauen Ort oder ein Datum zu nennen / Vielleicht saßen sie gemeinsam auf einem Podium, vielleicht waren sie einfach nur zufällig in ein und derselben Stadt / Ulrike Meinhof war am 2. Juni nicht in Westberlin, sie lebte damals noch in Hamburg. Auch Rudi Dutschke hatte den Tag in Hamburg verbracht /

    Ulrike Meinhof könnte am 24. November 1967 im Audimax der Hamburger Universität gewesen sein, als Rudi Dutschke sich auf dem Podium stritt / Ein weiteres Thema, über das Dutschke und Meinhof im Mai gesprochen haben könnten, lag nahe: der Kampf um die Zeitschrift konkret / Ein drittes Gesprächsthema dieser letzten Begegnung könnte die geplante Sabotageaktion gegen ein auf der Werft von Blohm + Voss gebautes Kriegsschiff gewesen sein / Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sie den Plan mit Rudi besprach."


    Hätte, könnte, wäre, vielleicht – alles, was in Sachen "Geschichte einer Freundschaft" inhaltlich irgendeine Bedeutung hat, ist von Ditfurth zusammengesponnen, allerdings nicht zu Gold, wie bei Rumpelstilzchen, sondern zu klapperndem Blech. Sie hat gar keinen Beleg für eine Freundschaft der beiden, nur ein einziges Meinhof-Zitat aus einer anonymen Hörensagen-Quelle: "Sie haben einen Freund getroffen, einen ganz besonderen Menschen, einen wunderbaren Menschen. Diese Schweine!" Es ist absurd und hat Kalauerqualität, wie Ditfurth zusammenkleistert, was nicht zusammengehört. Beispiel:

    "Der Vietnamkrieg kam in eine neue Phase. Ulrike Meinhof reichte in Hamburg die Scheidung ein."

    Josef Bachmann (der Dutschke-Attentäter) ging...

    "(...) zurück zum Bahnhof Zoo, kaufte sich Brötchen und eine Wurst und setzte sich auf eine Bank, um sie zu verspeisen."

    Zwischenbemerkung: die Wurst wahrscheinlich, nicht die Bank.

    "Es war der 11. April 1968, Gründonnerstag. Zur gleichen Zeit saß Ulrike Meinhof am Schreibtisch ihrer großen Altbauwohnung in der kopfsteingepflasterten Goßlerstraße im feinen Berlin-Dahlem und schrieb / Im Sommer 1967 freundeten sich Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof mit dem italienischen Kommunisten und Verleger Giangiacomo Feltrinelli an."

    Notabene: Im Abstand von Wochen, jeder für sich und nicht etwa gemeinsam. Ist es schon Blödsinn, so hat es doch Methode: An keiner einzigen Stelle des Buches gibt es einen handfesten Beleg für Freundschaft der beiden, für Inhalte der seltenen tatsächlichen Begegnungen.

    Alles frei erfunden, zumindest nicht seriös belegt, auch diese wörtliche Meinhof-Rede: "Es wird Jahre dauern", sagte sie, "Jahre, bis er wieder gesund ist. Ist es ein Wunder, dass sie ausgerechnet auf ihn geschossen haben? Den mir liebsten unter meinen politischen Freunden?"

    Warum macht die Ditfurth das? Sie macht es, um Ulrike Meinhof und Rudi Dutschke in einem romantischen Polit-Nirwana miteinander zu vermählen, Ditfurth inszeniert die postume Hochzeit im Himmel. Sie will die mörderische Täterin Meinhof mit dem friedlichen Opfer Dutschke amalgamieren und damit die fundamentalen Unterschiede der beiden 68er-Wege verwischen, sie will die Meinhof mit dem Dutschke salben. Das ist eine Geschichtsklitterung, die leichtfertig und bösartig ist.

    Dutschke stand der Meinhof stets befremdet gegenüber – und feindschaftlich zu ihrem Terror; den nannte er strikt und wörtlich: "inhuman". Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Und wenn sie nicht gestorben wären, dann lebten sie noch heute.


    Jutta Ditfurth: Rudi und Ulrike. Geschichte einer Freundschaft
    Droemer Verlag, 240 Seiten, 16,95 Euro