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Um jeden Preis

In Detroit wird womöglich Kunst im Wert von 2,5 Milliarden Dollar verkauft, um Gläubiger der bankrotten Hauptstadt Michigans zu befriedigen. Hunderte Millionen von Dollar für eine neue Eishockey-Arena hat die Stadt allerdings.

Von Jürgen Kalwa |
    Der Super Bowl, das größte alljährliche Sport- und Fernsehereignis in Amerika, ist ein Schauplatz für teure Werbespots. So wie im Februar des letzten Jahres, als in der Halbzeit im Spiel zwischen den New York Giants und den New England Patriots der berühmte Hollywood-Schauspieler Clint Eastwood aus den tiefen nächtlichen Schatten der schäbigen Straßen von Detroit trat und das Comeback der Autoindustrie nach der schweren Krise von 2008 beschwörte.

    ""It’s half time, America. And our second half is about to begin.”"

    Halbzeit – wenn man diese Metapher zu Ende denkt, dann wäre die Motor City – Heimat und das kaputte Triebwerk der amerikanischen Automobilindustrie – allerdings mehr als ein Jahr später dabei, das Spiel auf jämmerliche Weise zu verlieren.

    ""Today I authorized the Emergency Manager for the city of Detroit to seek Federal bankruptcy protection. This is a difficult and painful decision. But I believe there are not other viable option.”"

    Den Spielstand verkündete Rick Snyder, der Gouverneur des Staates Michigan, vor zwei Wochen. Es war eine Bankrotterklärung. Detroit, das größte Armenhaus Amerikas, ist ein Fass ohne Boden. Während der öffentliche Haushalt 16 Milliarden Dollar Schulden aufhäufte, schrumpfte die Bevölkerung dramatisch. In den letzten drei Jahren allein um mehr als 200.000. Die vielen, die gingen, kehrten einer gespenstischen Szenerie den Rücken zu: Straßenzüge mit verlassenen Häusern und riesige, leere Industriegebäude bestimmen das Bild.

    In einer solchen Situation greifen die Verantwortlichen gerne nach jedem Strohhalm. Und so waren die Fachleute des Auktionshauses Christie’s bereits da, um sich die Sammlung des Detroit Institute of Arts anzuschauen – eines der besten Museen in den Vereinigten Staaten. Nicht nur das. Die Picassos, van Goghs und Renoirs und die mehr als 60.000 anderen Werke gehören der Stadt. Mark Stryker, der Kunstkritiker der Detroit Free Press, im Radiosender WNYC:

    ""40 what we consider the museum’s greatest treasures. And for those 40 pictures we are talking about 2.5 billion dollars.”"

    2,5 Milliarden Dollar – soviel würde der Ausverkauf der Kunst eintreiben. Der Verlust wäre unwiederbringlich. Aber die Einnahmen brächten genug, um ein anderes Projekt zu finanzieren. Eines, das nichts mit Kultur, sondern nur mit einer unstillbaren Faszination amerikanischer Politiker für den Sport zu tun hat. Eine neue Halle für die Detroit Red Wings soll gebaut werden. Und zwar zu einem erheblichen Teil mit Steuergeldern. Die Rede ist von einer Subvention von 285 Millionen Dollar.

    Widerstand gibt es so gut wie keinen. Denn mit dem Konkursantrag wurde in Detroit die Demokratie abgeschafft. Statt dessen entscheiden vom Gouverneur kontrollierte Gremien. Dieses Projekt zu Gunst des NHL-Clubs basiert auf der unausrottbaren Behauptung, wonach moderne Sportanlagen Motoren für Wirtschaftsaktivität seien. Ein Mythos, sagt Professor Victor Matheson von der Universität Holy Cross in Worcester/Massachusetts. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Experte für die Schnittmenge aus Sport und Ökonomie. Tatsächlich handelt es sich um eine Umverteilung von unten nach oben. Hauptnutznießer der Wohltat: Mike Ilitch, Besitzer der Red Wings, einer der reichsten Männer Amerikas mit einem Vermögen von mehr als 2,5 Milliarden Dollar.

    ""Detroit ist ein ungeheuerliches Beispiel. Die Stadt ist bankrott. Sie hat in den letzten 15 Jahren im Zentrum bereits zwei neue Stadien für Football und Baseball gebaut. Aber das hat nachweislich keine Wiederbelebung gebracht. Warum sollte die neue Halle das schaffen?”"

    Die genannten Stadien wurden übrigens ebenfalls massiv mit öffentlichen Mitteln bezuschusst. Solche Geschenke erwarten die Besitzer der Klubs mittlerweile überall in den USA und drohen andernfalls nicht nur mit der Abwanderung ihres Teams in eine andere Stadt. Sie tun es auch. In der NBA zogen in den letzten elf Jahren allein vier Mannschaften um. So wurden zum Beispiel aus den Seattle Supersonics die Oklahoma City Thunder.

    In Detroit tut man gerne so, als sei alles anders. So haben sich die Red Wings vor ein paar Jahren den Markenbegriff "Hockeytown” – "Eishockeystadt” schützen lassen. Es ist ein Slogan, mit dem sich Lippenbekenntnisse zum Gemeinschaftsgefühl zwischen hochbezahlten Söldnern und ihren Fans locker inszenieren lassen.

    Daniel Cleary: ""Hi, fans of Hockeytown, thank you very much for a great season...”"
    Henrik Zetterberg: ""Hockeytown, just want to thank you for all your support his year...”"

    In Detroit kommen allein neun Spieler aus Schweden, angeführt von Kapitän Henrik Zetterberg, der – selbstverständlich – nicht in Detroit wohnt, sondern in einem Vorort – in einem großen Haus hinter dem Zaun einer von Wachmannschaften gesicherten Siedlung.

    Die eigentliche Ironie besteht jedoch aus etwas anderem, sagt Victor Matheson. Bei Kunst und Museen sind es vor allem reiche Gönner, die den Betrieb am Laufen halten und auf diese Weise mit ihrem Geld etwas für die Allgemeinheit tun. Im Sport ist es genau andersherum.

    ""Dass Steuerzahler und reiche Mäzene arme Künstler, arme Schauspieler und arme Sänger unterstützen, ist sehr viel sinnvoller.”"