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Umdenken erforderlich

Umwelt. - Die Zahl der Nationalparks nimmt weltweit zu, doch auch die Zweifel steigen, dass das für den Naturschutz ausreicht. In der aktuellen "Science" hat ein Biologe der Universität von Kalifornien in Berkeley zusammengestellt, wie die Artenvielfalt der Welt vielfach in die Zange genommen wird.

Von Tomma Schröder | 23.07.2010
    "Die Leute denken, dass es immer noch naturbelassene Gebiete gibt, wilde Flächen, wilde Tiere. Aber wenn man sie fragt, wo diese wilden Tiere sind, dann sagen sie: 'Oh sie sind dort hinter diesen Hügeln. Ich war da zwar seit zwanzig Jahren nicht mehr, aber sie sind dort. Es ist alles so wild, so wild'."

    Doch wer hinter den Hügel gehe, werde auch dort die wilden Tiere nicht mehr finden, meint Justin Brashares. Denn die Schaffung von Schutzgebieten allein reicht oft nicht aus. Das zeigte sich bereits 1933, 30 Jahre nachdem um den Yellowstone River der erste Nationalpark geschaffen worden war. Damals musste bekanntgegeben werden, dass Puma, Luchs und Wolf in dem Park ausgestorben sind.

    "Ich denke, wir haben jetzt verstanden, dass diese Gebiete nicht groß und zahlreich genug sind, als dass man sie einfach sich selbst überlassen könnte. Wir können uns nicht einfach raushalten und denken, dass dann schon alles gut wird."


    Denn globale menschliche Einflüsse wie der Klimawandel, aber auch Krankheiten, Waldbrände, eingewanderte Arten machen vielen bedrohten Tieren in Schutzgebieten zu schaffen. Justin Brashares fordert daher ein genaues Monitoring, das die Bedrohungen für die unterschiedlichen Tiere und Pflanzen analysiert. "Filter" nennt er diese einzelnen Bedrohungen, um deutlich zu machen, dass eine Tierart mehreren Bedrohungen ausgesetzt ist, die sie wie Filter passieren muss. Versuchen die Ökologen dann noch, die Wechseleinflüsse der verschiedenen Arten aufeinander zu berücksichtigen, wird es sehr kompliziert. Brashares:

    "Die Herausgeber von "Science” haben gehofft, dass ich kommen werde und der Welt sage, was die wichtigsten Probleme sind. Aber meine Botschaft ist: Es gibt unheimlich viele von diesen Filtern, viele verschiedene Aspekte, Bedrohungen für wilde Tiere und die Biodiversität. Und es hängt ganz stark von regionalen Faktoren ab, welche dieser Bedrohungen die größten Auswirkungen hat. Manchmal ist es erst das Zusammenfallen von zwei oder mehr Filtern, das Probleme bereitet."

    Trockenperioden allein etwa können für eine Art noch verkraftbar sein. Wenn sich aber eine konkurrierende Art breit macht, vielleicht auch Waldbrände oder Krankheiten auftreten, kann die Kombination tödlich sein. Solche Zusammenhänge müssten erforscht und überwacht werden, meint Justin Brashares.

    "Wenn man sich zum Beispiel Europa anschaut. Dort gibt es die Natura 2000-Initiative – ein sehr guter Versuch, Tausende Schutzgebiete zu verbinden. Aber es gibt dort momentan kein Monitoring. So lange wir aber nicht kontrollieren, was passiert, wissen wir auch nicht, ob unsere Bemühungen erfolgreich sind. Wir brauchen diese Kontrolle, detaillierte und regelmäßige Gutachten, damit wir zumindest wissen, was wir verlieren. Und wenn wir wissen, was wir verlieren, können wir versuchen zu verstehen, warum wir es verlieren."

    Schließlich kann der Verlust einer Art, eine ganze Kette an Folgen nach sich ziehen.

    "Wir lernen gerade zu verstehen, dass der Verlust eine Art vielleicht vollkommen unbedeutend ist im Vergleich zu den indirekten Folgen, nämlich dem Verlust weiterer Arten und eventuell auch dem Verlust ganzer Funktionen des Ökosystems. Zum Beispiel die Bindung von Kohlenstoff, Wasserreinigung, die Bestäubung von landwirtschaftlich genutzten Pflanzen oder all die anderen Dinge, die in der Öffentlichkeit für Aufmerksamkeit sorgen."

    Die Aufmerksamkeit, die der Verlust einer solchen Leistung des Ökosystems bringen würde, wünscht sich Brashares aber bereits früher. Er plädiert für ein Umdenken im Umgang mit natürlichen Ressourcen.

    "Wir betrachten die Schutzgebiete als eine Art Bank für unsere natürlichen Ressourcen. Wir legen diese Ressourcen dort an und erwarten, dass sie unser Geld sparen und alles gut wird. Aber wir können uns nicht auf sie verlassen, ohne dass wir sie beaufsichtigen und verwalten. Wir müssen sie dahin beeinflussen, dass sie die Biodiversität für unsere Kinder und Enkel bewahren."

    Denn es wäre ja zu schön, wenn die irgendwann auf den Hügel gehen und dahinter tatsächlich wilde Tiere sehen.