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Umgelenkter Krach

Technik. – Bahnverkehr ist für die Anwohner der Schienenstränge ein echtes Ärgernis, denn die Züge sind sehr laut und fahren rund um die Uhr. Ein Berliner Akustiker versucht jetzt die Lärmwirkung entlang von Bahnstrecken zu mindern, indem er den Schall umlenkt.

Von Söhnke Gäthke |
    Akustiker bei der Bahn verfolgen bis jetzt eine schlichte Technik, um den Lärm zu reduzieren: sie bauen Lärmschutzwände am Streckenrand. Die schirmen den Lärm zwar ein wenig ab, aber natürlich nicht perfekt: Denn die Schallwellen schlagen über die Oberkante der Wände bis zu ferneren Häusern - das heißt, sie werden gebeugt, erklärt Carsten Spehr von der Technischen Universität Berlin:

    "Das heißt, es ist leider so, dass die Oberkante von einer Schallschutzwand quasi wie eine Art Quelle wirkt. Das heißt, man könnte es sich so vorstellen, dass an dieser Stelle eine neue Punktquelle sitzt und abstrahlt und strahlt auch in den Schattenbereich, in den Schallschattenbereich. Das heißt, es ist leider so, sie können die Quelle hören, auch wenn Sie sie nicht sehen können."

    Aus diesem Grund sind auch höhere Lärmschutzwände keine Lösung. Sie reduzieren zwar den Krach neben der Strecke, lenken ihn aber zu den weiter entfernten Häusern um. Deshalb arbeitet der Berliner Akustiker an einer etwas aufwändigeren Lösung, um den Anwohnern von Bahngleisen mehr Ruhe zu verschaffen: Er will den Lärm mit Antischall bekämpfen. Dabei werden üblicherweise die Schallwellen so überlagert, dass sie sich auslöschen. Spehr aber will mit dieser Technik den Lärm von den Anwohnern weg in den Himmel lenken. Der Akustiker unterscheidet zwischen harten und weichen Kanten. An harten wird der Schall gebeugt, an weichen dagegen nicht. Dabei müssen die tatsächlich vorhandenen Ecken gar nicht wirklich weich sein; es reicht, wenn sie für die Schallwellen weich erscheinen. Und das müsste sich auch mit Schallwellen erzeugen lassen, vermutet Spehr; vorausgesetzt, dieser besondere Gegenschall wird genau berechnet und abgestrahlt:

    "Das heißt, wenn der Schalldruck dort hart ankommt, versuche ich dem Lautsprecher zu sagen: Jetzt gib nach, wenn der Überdruck ist, dann findet der Schall keinen Widerstand, die Impedanz wird gegen Null gesetzt, sagen wir. Und das verhindert, auch verhältnismäßig effektiv, die Beugung um diese Kante drumrum."

    Zumindest im Labor. Dort hat Carsten Spehr seine Schallumlenkungs-Versuchsanlage aufgebaut: Das ist ein großer Holzkasten, in dem ein Lautsprecher eingebaut ist; hier soll der Klang entstehen, den die Bahn in der Wirklichkeit erzeugt. In einem kleinen Abstand davor steht und ein zweiter Kasten mit einem kleineren Lautsprecher. Der soll die Lärmschutzwand mit der aktiven Lärm-Umlenkeinrichtung repräsentieren. Und im Hintergrund steht ein Mikrophon; das misst, was in Wirklichkeit bei den Anwohnern ankommen würde. Spehr:

    "Und ich versuche zu vermeiden, dass der Schall nun dort bei den Anwohnern landet, sondern probier, ihn nach oben zu lenken."

    Der Wissenschaftler schaltet den ersten der beiden Lautsprecher im Holzkasten ein. Der Sinuston entspricht zwar nicht ganz dem Lärm, den ein Zug verursacht, aber um den Effekt zu testen, ist er genau richtig: Hinter dem kleinen Kasten, dort, wo das Mikrophon steht, ist er laut und deutlich zu hören. Dann schaltet Carsten Spehr den zweiten Lautsprecher ein. Doch der Sinuston ist nicht etwa ausgelöscht. Er ist immer noch zu finden: hinter dem großen Lautsprecher - dem, der die Bahn darstellt.

    Was Carsten Spehr beabsichtigt, funktioniert offenbar bereits im Labor. Als nächstes will der Forscher jetzt beweisen, dass diese Technik auch die reale und deutlich komplexeren Geräusche wie das von rasselnden und quietschenden Güterwaggons umlenken kann. Und wenn sie das kann, dann hofft der Akustiker, muss die Schallumlenkung nicht auf den Eisenbahnbetrieb beschränkt bleiben, denn Kanten gibt es überall, zum Beispiel in Häusern oder Autos.