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Umkehr in der Rechtschreibereform?

DLF: Das ist ein Scherz, könnte man im ersten Moment fast meinen, wenn man heute eine Meldung liest über ein Vorhaben mehrere Kunst- und Wissenschaftsakademien in Deutschland. An vieles mussten wir uns in den letzten Jahren gewöhnen, dass man "dass" mit zwei s und "dein" in Briefen kleinschreibt, Schifffahrt mit drei f und dass es s und t nicht wehtut, wenn man sie trennt. Schulbücher sind umgeschrieben worden, Bücher der letzten fünf Jahre kamen in neuer Rechtschreibung heraus. Nun rufen mehrere Kunst- und Wissenschaftsakademien in Deutschland zur Umkehr auf. Sie haben einen entsprechenden Brief an die Kultusminister der Länder geschickt. Friedrich Dieckmann ist Mitglied der Abteilung Literatur der Berliner Akademie der Künste. Herr Dieckmann, warum kommen Sie mit diesem Vorschlag erst jetzt?

    Dieckmann: Dieser Vorschlag steht jetzt an, weil in weniger als zwei Jahren die Übergangsfrist der alten und der neuen Rechtschreibung erlischt, und dann wird in den Schulen ein Schüler, der "vorwärts weisend" zusammenschreibt wie "zurück bleibend" mit einem Fehler angestrichen werden. Wer "hierzulande" statt "hier zu Lande" schreibt, kriegt ebenfalls einen Fehler angestrichen. Jetzt ist sozusagen der letzte Moment, um die kulturpolitisch Verantwortlichen – das sind 16 Landesminister in Deutschland, es sind auch die zuständigen Minister in der Schweiz und in Österreich – aufzufordern, ein Fazit zu ziehen, und dieses Fazit zu ziehen mit Beteiligung nicht vornehmlich der Kommissionen, die die Verantwortung tragen für die Reformen, sondern eben auch der literarischen und im weiteren Sinne wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Dies ist eine Initiative, die in der deutschen Kulturgeschichte vielleicht sogar einzigartig ist, dass acht Akademiepräsidenten, sowohl Akademien der Wissenschaften als auch Akademien der Künste, sich zusammenfinden in einem solchen Appell, und zwar an die kulturpolitisch verantwortlichen Minister, hier ein objektives Resümee zu ziehen und die Teile der Reform, die sich als sprachverstörend in einem objektiven Sinn der Sprachbildungs- und Wortbildungsprozessen erwiesen haben, herauszunehmen. Es sind nicht alle Teile der Reform so schwerwiegend wie diejenigen, die diese Wortbildungsprozesse betreffen. Es ist eine Tendenz zur Antiquarisierung der Rechtschreibung zu bemerken gewesen, auf der anderen Seite eine Tendenz, die man als Anglisierung beschreiben könnte, mit diesem Gebot der Auseinanderschreibung. Diese Dinge sind nicht widerspruchsfrei in Regeln gefasst worden. Die neuen Regeln sind auf diesem Feld viel komplizierter als die alten, und der Appell an das Sprachgefühl und das Sprachbewusstsein der politisch Verantwortlichen ist geboten und ist in dieser Weise erfolgt.

    DLF: Wollen Sie denn komplett zurückrudern oder wollen Sie einen Kompromiss?

    Dieckmann: Derselbe Mut, mit dem die politisch Verantwortlichen die Reform auf den Weg gebracht haben, ist gefordert für eine Reform der Reform, für ein Fazit. Es ist am Platze, und das zu verweigern, wäre verantwortungslos und würde der Rückkoppelung von der Reform, Vorschrift und Ergebnis, also einem demokratischen Prozess zuwiderlaufen.

    DLF: Aber es geht Ihnen um einzelne Verbesserungen oder geht es Ihnen darum, das Ganze noch mal komplett aufzumachen?

    Dieckmann: Es gibt zwei Wege dazu. Den einen Weg eines bedachten und im Einzelnen gründlichen Kompromisses ist die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung beschlossen in Form einer größeren Broschüre, die viele Einzelfälle prüft. Der andere Weg wäre der Rückgang auf den Duden von 1992 und die Rechtschreibung vor der Reform als Basis für Verbesserungen, die durchaus einzelne Elemente der Reform aufnehmen können. Diese zwei Wege liegen vor. Auf diese zwei Wege wird hingewiesen im offenen Brief der acht Akademiepräsidenten, und es ist nun Sache der kulturpolitisch Verantwortlichen, ein Gremium zu berufen, das sehr wahrscheinlich nicht diejenigen sein können, die diese Reform auf den Weg gebracht haben, um zu prüfen, was zu tun ist, um wieder zu einer einheitlichen Rechtschreibung im Sinne des Sprachgefühls und des Sprachsinns zu kommen.

    DLF: Welche Lösung wäre Ihnen denn lieber?

    Dieckmann: Es geht nicht um mich, sondern es geht um diesen Brief der Akademiepräsidenten. Es wäre sehr schön, wenn Sie daraus ausführlich zitieren könnten, und da sind alle diese Dinge sehr differenziert und frei von Polemik. Die Zeit der Polemik ist längst vorbei. Dazu sind die Dinge viel zu ernst. Es geht um einen Appell an die Verantwortung für das Sprachgefühl und für Wortbildungsprozesse, die der deutschen Sprache eigen sind und die man nicht willkürlich und abstrakt und sogar mit starken Komplikationen behaftet zurückschrauben darf. Dieses Zurückschrauben der Reform, also sozusagen diese nach hinten gerichtete Bewegung über 200 Jahre deutsche Rechtschreibung, ist das eigentlich Überprüfenswerte.

    DLF: Was soll denn mit den ganzen Schulbüchern passieren, die jetzt alle schon umgeschrieben worden sind?

    Dieckmann: Es gibt jetzt noch ein Nebeneinander der zwei Rechtschreibungen, und man wird natürlich eine entsprechend große Übergangsfrist haben müssen zwischen den neuen Regeln und eine Veränderung an den Stellen, wo es Not tut. Dieses Nebeneinander hat es fünf Jahre gegeben, und warum soll man es nicht verlängern. Am Ende wird eine Schärfung des allgemeinen Sprachbewusstseins aus der Reform der Reform hervorgehen. Diese Reform konnte nichts anderes sein als ein Großexperiment am lebendigen Leib der Sprache, insofern gar nicht einmal überflüssig, aber es war völlig klar, dass nur die Überprüfung im realen Großversuch zu einer endgültigen Regelung führen könne, und diese Operation mahnen die Akademiepräsidenten an.

    DLF: Vielen Dank für das Gespräch.