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Umschalten statt neu bauen

Um Windstrom vom Norden in den Süden der Bundesrepublik zu transportieren, sind vielleicht weniger neue Stromleitungen nötig: Techniker des Stromnetzbetreibers Amprion haben nachgewiesen, dass die bestehenden Strommasten viel mehr Energie transportieren könnten als bisher.

Von Sönke Gäthke | 27.03.2013
    Die nutzbare Kapazität konventioneller Stromleitungen könnte sich verdoppeln lassen, wenn zunächst einmal auf einer Seite der Strommasten durch die bereits aufgehängten Kabel Gleichstrom statt Drehstrom flöße. Keine neuen Strommasten müssten gebaut, keine neuen Kabel aufgehängt, keine langen Debatten mit Anwohnern geführt werden. Notwendig wären: zwei Konverterstationen, in denen der Hochspannungsgleichstrom erzeugt wird, neue Isolatoren und einige Anpassungen an den Umspannwerken.

    "Wir nennen das Ultranet-Trasse, die Freileitung wird circa 400 Kilometer lang, und beginnt in Osterrath und endet bei Philippsburg. Und auf der gesamten Länge müssen wir jetzt einen Wechselspannungsstromkreis aussuchen, den wir zu Gleichstrom umwandeln","

    erzählt der technische Projektleiter Bartocz Rusek von Amprion. Die leichten Störungen in der Aufnahme stammen von einem Versuch mit der neuen Technik. Einfach so sollen Hochspannungsgleichstrom und Drehstrom nicht auf einen Mast gelegt werden. Denn die beiden verschiedenen Stromarten beeinflussen sich gegenseitig. Das kann zu höheren Verlusten führen oder zu Störungen an den Bauteilen.

    ""Wir haben da natürlich die Wechselwirkungen, die schon bekannt sind, also die kapazitive und die induktive Querkopplung zwischen Wechsel und Gleichstromkreisen."

    Das bedeutet: Winzige Drehstromteile finden über Magnetfelder ihren Weg auf die Gleichstromkabel. Der Mechanismus ähnelt dabei der Art und Weise, wie Kondensatoren oder Spulen funktionieren. Aber da diese Wechselwirkungen bekannt sind, können die Techniker sie berechnen.

    Nicht bekannt ist dagegen eine andere Wechselwirkung - die Ohmsche Querkopplung.

    "Ohmsche Querkopplung - das ist kleiner, ohmscher Strom, der von einer Gleichstromleitung, sage ich mal, so Richtung Wechselstromleitung rüber fließt."

    Der winzige Strom findet dabei zwei Wege: einmal über die Oberfläche von Isolatoren und Mast, zum anderen quer durch die Luft. Beide wirken wie elektrische Widerstände - daher Ohmsche Querkopplung.

    "Schlimm ist das natürlich nur dann, wenn der eingekoppelte Ionenstrom, also der Strom, der in die Nachbarstromkreise rüber fließt, zu groß sein wird. Das beeinflusst vor allem unsere Transformatoren, die, wenn der Strom zu groß sein wird, lauter werden und mechanisch stärker belastet werden."

    Dann geraten die Transformatoren, die mit dem Drehstromkreis verbunden sind, in unerwünschte Schwingungen und verschleißen schneller. Um errechnen zu können, wie stark diese Belastung wird, und ob es notwendig ist, die Transformatoren auszutauschen, mussten die Techniker zunächst einmal messen, wie groß der Effekt ist. Am besten natürlich unter echten Bedingungen, an echten Strommasten.

    "Das ist die Herausforderung, die wir gehabt haben, in unserem Netz gibt es ganz wenige Freileitungen, die frei sind, um solche Versuche zu machen."

    An einer Stelle jedoch waren und sind gut zwei Kilometer Hochspannungsleitungen frei: am Kohlekraftwerk Datteln 4. Das darf noch nicht in Betrieb gehen, und so konnten die Techniker hier ihre Messungen vornehmen. Die ersten Resultate hält Bartocz Rusek für ermutigend.

    "Wir haben zurzeit herausbekommen, dass die Einkopplung auf den Nachbarwechselspannungsstromkreis nicht sehr groß ist, sehr gering ist."

    Inzwischen liegt auch die Auswertung der gesamten Messungen vor. Sie zeigen, dass die Ohmsche Querkopplung für die Transformatoren ungefährlich ist, solange Gleich- und Drehstromkabel am Mast weit auseinander hängen. Das Unternehmen hofft jetzt, bis 2017 oder 2019 die Konverterstationen bauen zu können. Neue blaue Isolatoren sollen die Kabel des Gleichstromkreises tragen, und an den Umspannstationen soll der Gleichstrom vorbei fließen.

    Klappt das, wäre es gerade rechtzeitig, um den Strom der Atomkraftwerke Gundremmingen und Phillipsburg durch Lieferungen aus dem Norden zu ersetzen. Ob das dann wirklich, wie in der Presse geschrieben, Windstrom sein wird oder Strom aus den zahlreichen, neuen Kohlekraftwerken des Rhein-Ruhr-Gebiets, ist heute offen.