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Umschwung im Elsass

Am Oberrhein demonstrieren die Menschen grenzüberschreitend gegen den ältesten Atommeiler Frankreichs - mit ungewöhnlichen Methoden. Sie wollen 360 Tage fasten.

Von Sebastian Bargon | 21.04.2011
    Im Champs de Mar, dem großen Freizeitpark mitten in Colmar, haben 12 Umweltaktivisten in Sichtweite der Präfektur ein weißes Partyzelt aufgebaut. An den Zeltstangen hängen Plakate, auf denen die sofortige Stilllegung des Meilers Fessenheim gefordert wird. Auf den Tischen liegen Informationsmaterial über die Gefahren der Atomkraft und eine Unterschriftenliste. Initiator des Fastenstreiks ist der Biowinzer Jean-Pierre Frick aus Pfaffenheim. Wegen der Hitze läuft er barfuß. Seit drei Tagen nimmt er nur Wasser und Kräutertee zu sich. Der 55-Jährige wirkt mit seinem schmalen Gesicht und dem grauen Drei-Tage Bart wie ein Asket.

    "Ich werde erst mal drei Wochen fasten, dann muss ich wegen meines Berufs aufhören, dann machen andere weiter."

    Auch Kernkraftgegner aus Südbaden unterstützen die Fastenaktion. Denn das AKW Fessenheim steht direkt am Rhein in einer der seismologisch aktivsten Zonen Europas. Die 52-Jährige Lehrerin Inge Bertsch fürchtet die Gefahr. Die überzeugte Ökologin trägt eine unbehandelte blaue Baumwollhose und ein dazu passendes Baumwollhemd. Für sie ist es nicht hinnehmbar, dass die Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung von Millionen Menschen am Oberrhein durch den ältesten Atommeiler Frankreichs gefährdet wird.

    "Ich wohne in Heitersheim, das ist eine kleine Stadt – 15 Kilometer von der Atomanlage Fessenheim entfernt. Ich bin Mutter von zwei Kindern und Lehrerin und habe in den letzten Wochen sehr viel von der Angst von Kindern und Jugendlichen, was die Atomkraft betrifft, mitbekommen."

    Längst nicht alle Passanten bleiben an dem Infozelt der Kernkraftgegner stehen. Umso mehr freut sich Inge Bertsch, die fließend französisch spricht, wenn sie ihre Sorgen und Ängste mit anderen teilen kann.

    "Was ich ganz berührend finde, wenn Menschen vorbei kommen und in einem kurzen Gespräch sich zu unserem Ziel dazu bekennen, weil: unser Ziel ist, 360 Tage fasten – nicht einer, sondern wir zusammen. Man kann sich eben auch bei uns entweder in die Liste eintragen oder über die E-Mail-Adresse uns sagen, in welchem Teil Deutschlands oder Frankreichs er sitzt und unsere Aktion mitträgt."

    Die 16-jährige Schülerin Annemone Fernex ist zwar nicht bereit mit zu fasten, bejaht jedoch die Ideen der Kernkraftgegner und trägt sich in die Unterschriftenliste ein.

    "Atomkraft ist nicht gut und wir müssen das stoppen – jetzt – das ist der gute Moment."

    So denkt Pierre Rosenzweig aus dem elsässischen Erstein schon seit Jahren. Der 56-jährige Lehrer war schon in den späten 70er-Jahren bei den Protesten gegen das AKW mit dabei. Er trägt ein beigefarbenes T-Shirt, auf das er mit einem schwarzen Filzstift Parolen gegen Fessenheim geschrieben hat.

    Rosenzweig sieht in dem grenzüberschreitenden Kampf gegen die Atomkraft große Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich.

    "Meiner Meinung nach ist Nicola Sarkozy ein viel stärkerer Gegner als Frau Merkel. Er hat hinter sich im Versteckten, im Dunkeln eine starke Lobby. Das war viele Jahre versteckt und das kommt jetzt langsam heraus. Den Franzosen wird es erst jetzt bewusst - nach dem Unfall in Japan."


    In Colmar fallen die 12 Hungerstreikler auf. Passanten bleiben neugierig stehen. Manche laufen kopfschüttelnd weiter, manche helfen. Gestern erst bekamen die Aktivisten eine Palette Wasser gespendet, eine Form der Unterstützung. Auch für Schlafplätze ist gesorgt, sagt Inge Bertsch.

    "Zum guten Glück müssen wir nicht in einem Park schlafen, sondern die Frauen sind eingeladen, in einem privaten Appartment unterzukommen; die Männer sind bei einer befreundeten Bürgereinrichtung, die uns ihre Räume zur Verfügung gestellt haben."

    Jean-Pierre Frick, der Initiator des Fastenstreiks hofft, dass der Druck auf die französische Regierung wächst. Und dass er bald eine Antwort bekommt auf den Brief, den er mit seinen Verbündeten an Staatspräsident Nicolas Sarkozy und vier Minister schrieb.

    "Was wir hier verlangen mit einer Aktion, das ist nicht nur: "Fessenheim schließen", sondern ein Gesetz und nicht ein Versprechen. Das ist ein großer Unterschied. Ein Gesetz, das innerhalb von maximal 10 Jahren Frankreich ausseigt."

    Jean-Pierre Frick wünscht sich eine Diskussion wie im Nachbarland Deutschland, wo politisch um Laufzeitverlängerung und den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft gerungen wird. Er will solange weiter fasten, bis er seine Ziele erreicht hat. Die erstarkte Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland macht den Franzosen im Elsass Mut. Der grenzüberschreitende Protest hatte immerhin schon mal Erfolg: Mitte der 70er-Jahre verhinderten die badisch-elsässischen Bürgerinitiativen mit einer Platzbesetzung gemeinsam den Bau eines Atommeilers im südbadischen Wyhl.