Archiv


Umstrittene Ehrung für einen umstrittenen Schriftsteller

Für ihre Entscheidung, den Heinrich-Heine-Preis an den Schriftsteller Peter Handke zu verleihen, erntet die Düsseldorfer Jury derzeit viel Kritik. Hubert Winkels, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, sieht in Handkes Engagement für Serbien und seine Rede beim Begräbnis des ehemaligen jugoslawischen Staatschefs Milosevic nicht den von der Jury genannten "Weg zu einer offenen Wahrheit", sondern vielmehr das Gegenteil einer freien poetischen Betrachtung.

Moderation: Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Alle zwei Jahre verleiht die Stadt Düsseldorf den Heinrich-Heine-Preis, eine Auszeichnung, die als Literatur- wie als Persönlichkeitspreis gelten möchte. So erhielten den Preis in der Vergangenheit nicht allein Dichter wie Robert Gernhardt, Elfriede Jelinek oder W. G. Sebald, sondern auch Persönlichkeiten wie Richard von Weizsäcker, Marion Gräfin Dönhoff oder Walter Jens. Sie alle setzen sich nach Meinung der Jury für jene Grundrechte des Menschen ein, die auch Heinrich Heine vertrat.

    In diesem Jahr nun, das wurde in dieser Woche bekannt, soll den mit 50.000 Euro dotierten Heinrich-Heine-Preis der Schriftsteller Peter Handke erhalten. Handke steht seit längerem in der Kritik für sein beinahe eiferndes pro-serbisches und anti-muslimisches Engagement, das sich unter anderem in einem Gefängnisbesuch beim Serbenführer Slobodan Milosevic und später, im März, in der Teilnahme an dessen Begräbnis manifestierte. Die Comédie Francaise setzte, um dagegen zu protestieren, gerade ein Stück von Handke vom Spielplan 2007 ab. Nun also der Heine-Preis für Handke, den die Stadt Düsseldorf damit begründet, Handke "verfolge eigensinnig wie Heinrich Heine den Weg zu einer offenen Wahrheit" und "setze seinen poetischen Blick auf die Welt rücksichtslos gegen die veröffentlichte Meinung." Hubert Winkels, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk: Stimmt die Begründung denn?

    Winkels: Nein. Nun ist es natürlich immer etwas leidig, mit allen hermeneutischen Wassern drei Sätze einer Begründung für eine Preisverleihung auseinander zu nehmen. Nun sind sich aber alle sicherlich bewusst in dieser Jury, dass sie eine extrem heikle Entscheidung getroffen haben, die eine öffentliche Reaktion hervorrufen wird. Also denke ich, haben sie auch ihre Worte genauer gewählt, als oft in dem vorgestanzten Deutsch. Und ich meine, man entlarvt sich selber. Erst, sachlich muss man sagen, dass der Weg Handkes in "eine offene Wahrheit" mit Sicherheit nicht gegeben ist. Man könnte - wenn überhaupt - positiv formulieren: Handke versucht, eine Wahrheit jenseits vieler anderer Behauptungen gegen einen Konsens in der gesamten westlichen Öffentlichkeit durchzusetzen. Das ist also eine Behauptung und ein Versuch, gegen etwas zu arbeiten - sicherlich keine Öffnung eines Raums. Und das andere ist: Was heißt das, "einen poetischen Blick auf die Welt setzt er rücksichtslos gegen die veröffentlichte Meinung" ein? Also "rücksichtslos" einen poetischen Blick einsetzen scheint mir schon eine Contradictio in adjecto. Was ich unter poetisch verstehe, ist nicht rücksichtslos. Und dann: "gegen eine veröffentlichte Meinung", das heißt, es hat, diese poetische Haltung hat also einen Feind, ja? Sie hat ein Ziel. Sie operiert sozusagen auf einem Feld gegen etwas. Auch das, meines Erachtens, verstößt gegen den Begriff des Poetischen. Man sagt aber damit etwas Wahres, aber, wie ich finde, sehr Kritisches über Handke. Dass seine Bemühungen seit 1996 tatsächlich Bemühungen gegen etwas sind. Er kämpft gegen eine westliche Sicht der gesamten Jugoslawien-Kriege, gegen eine westliche Sicht auf Serbien. Umgekehrt gesagt: Er setzt eine proserbische Sicht dagegen, die ja sehr weit geht, wie wir alle wissen - er hat Slobodan Milosevic im Gefängnis besucht, er hat seine Begegnung mit ihm sozusagen protokolliert und darüber geschrieben, er hat eine Rede zu Milosevic' Begräbnis gehalten. Jetzt kann man da politisch von halten, was man will. Aber es ist keine Öffnung, keine freie poetische Betrachtung, die darin zum Ausdruck kommt, sondern das Gegenteil.

    Koldehoff: Handke ist dafür massiv kritisiert worden in der Öffentlichkeit. Ist denn dann dieser Akt der Preisverleihung so etwas wie ein Missbrauch Heinrich Heines, um ein demonstratives politisches Zeichen zu setzen?

    Winkels: Ja, da haben Sie wieder Recht. Da muss man vielleicht wirklich zwei Sachen zu sagen: In den Statuten für diesen Preis heißt es, er wird "an Persönlichkeiten verliehen, die sich durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen (...), den sozialen und politischen Fortschritt (...) und die Völkerverständigung" einsetzen. All das kann man sicherlich mit Handkes Engagement für Serbien, gegen - muss man dann ja wiederum sagen - Bosnien und Kroatien und gegen die westliche Perspektive, gegen Frankreich, gegen Deutschland mit Sicherheit nicht behaupten. Das ist schon mal der eine Teil. Der andere ist: Dafür Heine, ausgerechnet Heinrich Heine in Anspruch zu nehmen, den großen Ironiker und Reflektierer von Diskursen, der im Zweifel mit dem Florett aus der Distanz gefochten hat ...

    Koldehoff: Der kein Eiferer gewesen ist ...

    Winkels: Nichts weniger als ein Eiferer, sondern im Gegenteil sozusagen gegen die Romantik diese spitze Distanz gesetzt hat, damit eigentlich einzigartig wurde. Sozusagen in dessen Namen diesen Preis an Handke zu verleihen, ist auch ein Schildbürgerstreich. Handke, man kann ihn ja mögen, aber wenn, dann für das Gegenteil von Handke, ja? Er ist ein dichter Beschreiber. Er ist jemand, der in die Sachen möchte und die Distanz einziehen, dann wird es - in Anführungsstrichen - poetisch. Also es ist ein Missverständnis auf einer poetologischen, auf einer politischen Ebene und man kann sich fragen: Warum, in Gottes Namen, wird diese seltsame Entscheidung getroffen? Da bin ich beim zweiten Teil Ihrer Frage, nämlich: Ich vermute ganz stark, man will natürlich ein Zeichen setzen gegen die Absetzung eines Handke-Stücks an der Comédie Française - viel diskutiert in Frankreich, noch stärker als hier. Und tatsächlich ist es ein unglücklicher Akt, auch ein unguter Akt der Comédie Française gewesen. Dann hätte man viel früher schon sagen müssen: Von Handke führen wir kein Stück auf. Aber zu sagen: Jetzt, wo ich über die Begräbnisrede von Handke bei Milosevic lese, jetzt setze ich es ab oder jetzt sage ich, ich mache es nicht, das ist falsch, das ist zu spät, das ist unklug. So, dagegen kann man sein. Aber dafür kann man wiederum oder um dagegen zu sein nicht diesen Persönlichkeitspreis, der mit 50.000 Euro dotiert ist und wo die Preisstifter, die Stadt Düsseldorf, gerne hätte, dass er auf einer Ebene mit Büchner-Preis und Friedenspreis gehandelt wird. Einer der ganz großen Persönlichkeitspreise der Bundesrepublik Deutschland, den kann man nicht instrumentalisieren, meines Erachtens, um hier eine Schieflage in der französischen Kulturpolitik anzukreiden.