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Umstrittene Fußball-Legende

Oleg Blochin ist in der Ukraine ein nationales Fußball-Idol. Nun soll er der Nationalelf zu einer erfolgreichen Heim-Europameisterschaft verhelfen – doch die Bedingungen sind schwierig.

Von Johannes Aumüller | 22.04.2012
    Die Verantwortlichen des ukrainischen Fußballverbandes haben manchmal merkwürdige Launen. Im vergangenen Frühjahr gab es mal wieder einen solchen Fall. Nach dem Rücktritt des in einen Korruptionsfall involvierten Nationaltrainers Miron Markewitsch bestimmten sie nicht in der üblichen Weise einen Nachfolger - sondern schrieben die Stelle aus. Der als Interimstrainer eingesetzte Jurij Kalitwinzew bewarb sich, der U-21-Coach Pawel Jakowenko und vor allem – Oleg Blochin.

    Blochin ist in der Ukraine eine Legende. Fast 20 Jahre spielte er früher für Dynamo Kiew und die sowjetische Nationalmannschaft und schoss dabei fast 250 Tore. Er errang drei nationale und 13 internationale Titel und wurde 1975 Europas Fußballer des Jahres. Wahrscheinlich ist er der beste Fußballer, den die Sowjetunion je hervorgebracht hat. Zudem führte er in seiner ersten Amtszeit als Trainer die Nationalelf ins Viertelfinale der Fußball-WM 2006.

    Und dennoch ist Oleg Blochin in der Ukraine umstritten. Denn alle wissen, dass er als Trainer nicht einfach ist. Seine sowjetische Prägung hat er nie abgelegt. Er ist stur, streng, autoritär, mürrisch, über eine Bezeichnung wie "demokratischer Diktator" freut er sich.

    "Du kannst im normalen Leben mit den Spielern befreundet oder so etwas wie ein älterer Kumpel sein, aber Arbeit ist Arbeit. Du musst deine Bedingungen vorgeben, und sie müssen das umsetzen."

    Auf diese Art kann er lange dozieren. Antworten auf inhaltliche Fragen fallen meist kürzer aus. Und so, wie er sich gegenüber seinen Spielern verhält, verhält er sich bisweilen auch gegenüber anderen Trainern und Funktionären.

    Blochin ist noch aus einem zweiten Grund umstritten. Er illustriert anschaulich, wie eng in der Ukraine Sport und Politik miteinander verflochten sind. In den neunziger Jahren trainierte er trotz seiner Meriten nie eine ukrainische Mannschaft, einmal erhielt er sogar Stadionverbot bei seinem Klub, bei Dynamo Kiew. Es war die Zeit, in der Blochin im ukrainischen Parlament saß –und sich weigerte, in die Fraktion des Geschäftsmannes Grigorij Surkis zu wechseln, dem allmächtigen Mann im ukrainischen Fußball und bei Dynamo Kiew. Seine erste Amtszeit als Nationaltrainer begann erst 2003 – kurz, nachdem er sich doch der Fraktion von Surkis angeschlossen hatte. Äußern will sich Blochin zu diesen politischen Fragen nicht, mittlerweile sitzt er auch nicht mehr im Parlament.

    Doch trotz all dieser Konflikte wurde der 59-Jährige im vergangenen Jahr erneut Nationaltrainer – weil es keine gescheite Alternative gebe, sagen sie in der Ukraine. Nun soll er dem Land zu einer erfolgreichen Heim-EM verhelfen. Die Erwartungen sind groß. Sein Kapitän Anatolij Timoschtschuk spricht davon, dass der Titel das Ziel sein solle. Blochin ist da etwas vorsichtiger: Mit dem Einzug ins Viertelfinale wäre er schon zufrieden.

    "Die Mannschaft verändert sich, wir haben viele junge Spieler und ich denke, sie kann sich noch verbessern. Aber das Wichtigste ist, dass wir ein gutes Spiel zeigen und dass das Volk sieht, dass wir als Mannschaft auftreten, die kämpft, aber das Resultat kann dann ein anderes sein."

    Er weiß, dass die Bedingungen schwierig sind. Nur zwei seiner Spieler spielen im Ausland, neben Timoschtschuk noch Andrej Woronin. Gleichzeitig ist die Situation in der ukrainischen Liga nicht einfach. Im Prinzip gibt es nur drei starke Klubs, Dynamo Kiew, Schachtjor Donezk und Metalist Charkow. Das heißt Partien, in denen die Nationalspieler wirklich gefordert werden, sind selten. Deswegen hat Blochin mehr als 40 Spieler getestet, um geeignete Kandidaten zu finden.

    Zudem schwebt noch eine große Personalfrage über der EM-Vorbereitung: Was passiert mit Andrej Schewtschenko? Der 35-jährige Angreifer ist nach all seinen erfolgreichen Jahren beim AC Milan und beim FC Chelsea in der Ukraine heute das, was Blochin früher war – ein Fußball-Idol. Doch in letzter Zeit ist er oft verletzt, und einmal nahm er lieber an den nationalen Golf-Meisterschaften teil als für seinen aktuellen Klub Dynamo Kiew zu spielen. Es mehren sich die Stimmen, die Blochin empfehlen, auf Schewtschenko zu verzichten. Das Verhältnis der beiden soll auch nicht das beste sein.

    "Sie verstehen doch selbst: Namen spielen auf dem Platz nicht, nur Fußballer, die sich in guter körperlicher Verfassung befinden. Wir diskutieren nicht über ihn. Wenn er fit ist, nehmen wir ihn mit. Und wenn er nicht fit ist? Dann muss er selbst wissen, was dann ist."

    In wenigen Tagen steht die Kader-Nominierung an, bis dahin muss Blochin die Frage entscheiden. Die EM startet für seine Mannschaft am 11. Juni mit dem Spiel gegen Schweden. Es ist bei großen Fußball-Turnieren ja oft so, dass der Gastgeber überraschend weit kommt. Unter den ukrainischen Beobachtern glauben gerade viele, dass dieser Überraschungs-Gastgeber nur Polen heißen kann.