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Umstrittene Nachdrucke

Die bayerische FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger findet das Projekt gut, namhafte deutsche Historiker ebenso. Der Zentralrat der Juden will es verbieten lassen, ebenso die bayerische Landesregierung: Es geht um ein Unterfangen namens "Zeitungszeugen". Wie der Name schon sagt, sollen Zeitungen Ereignisse der Zeitgeschichte bezeugen.

Von Stephan Beuting | 24.01.2009
    Das hat der britische Verleger schon anderen europäischen Ländern zugemutet, in Deutschland ist am Donnerstag die zweite Auflage erschienen. Am Kiosk für jedermann erhältlich, finden sich Nachdrucke von Tageszeitungen aus der Zeit der NS-Diktatur. Schließlich, so der Verleger, haben die meisten der heute Lebenden diese Objekte der Nazi-Propaganda niemals in den Händen gehalten. Angereichert sind die Zeitungszeugen mit Hintergrundinformationen.

    Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen – die Schlagzeile in großen Frakturbuchstaben, rot unterstrichen, links daneben: ein Foto des brennenden Reichstags. Über dem Artikel im Kopf der Seite prangt ein Hakenkreuz. Das Faksimile des Völkischen Beobachters vom 1. März 1933, knitterfrei, für 20 Pfennige. Das leicht ergraute Papier, die martialische Sprache, all das entfaltet eine ganz eigene Wirkung.

    Der britische Verleger Peter McGee setzt mit seinem Projekt "Zeitungszeugen" ganz bewusst auf authentisches Material. Die Originale der NS-Blätter im Nachdruck: Das soll den Lesern heute einen Eindruck von der Wucht der publizistischen Propaganda von damals vermitteln.
    Doch die Nachdrucke der zeithistorischen Dokumente sorgen heute für eine heftige Kontroverse in Deutschland. Für manche, wie zum Beispiel für den hochrangig besetzten Hirstoriker-Beirat des Projekts, sind die Zeitungszeugen eine Chance, unmittelbaren Zugang zu den Schlagzeilen, aber auch zur Alltagswelt der NS-Zeit zu finden. Kritiker sehen darin einen Affront gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen des Holocaust und neue Munition für Neonazis. Am Donnerstag erschien die zweite Ausgabe der Zeitungszeugen und die Fronten scheinen sich verhärtet zu haben.

    Das bayerische Finanzministerium – Rechtsnachfolger des NS-Verlags Eher klagt gegen den britischen Verleger Peter McGee wegen Verletzung des Urheberrechts. Nach Auskunft der Pressesprecherin wolle man keine Interviews geben, um nicht noch mehr Werbung für Zeitungszeugen machen.

    Für Aufmerksamkeit sorgte dann aber das Bayerische Staatsministerium für Justiz. Die Behörde stellte Strafantrag wegen des Verwendens verfassungswidriger Symbole und bebeschlagnahmte allein in Bayern bislang rund 280 Exemplare.

    Der Pressesprecher des Ministeriums, Stefan Lenzenhuber, rechtfertigte die Beschlagnahme als notwendig - auch wenn sie dem Produkt viel zusätzliche Publicity bringe.

    "Es ist so, dass diese Teile die den Zeitungszeugen beiligen, leicht herausgenommen werden können und von der erklärenden Kommentierung getrennt werden können und damit natürlich die Gefahr besteht, dass dieses Material als Propagandamaterial missbraucht wird."

    Der Verlag, der schon seit Jahren Zeitungszeugen in anderen Ländern Europas vertreibt, ist mit dem Start in Deutschland trotz aller Widrigkeiten zufrieden. Die erste Ausgabe ist mit 250.000 Exemplaren ausverkauft. Mit dem Gegenwind aus Bayern habe man gerechnet, sagt die Chefredakteurin für die deutschsprachige Ausgabe Sandra Paweronschitz.

    "Wir sind ja immer noch nicht der Meinung, dass wir etwas ungehöriges, etwas, dass gegen das Recht verstößt tun. Wir haben im letzten Jahr in Österreich mehrmals, sicher zehn mal den Völkischen Beobachter nachgedruckt, und es ist nichts passiert. Es hat sich keiner gemeldet. Und in den ganzen acht Jahren, in denen Peter McGee dieses Projekt in ganz Europa betrieben hat, keinen einzigen Einspruch gegeben, keine einzige Copyright-Frage, keinen einzigen früheren Nazi, sag ich jetzt mal, der sich auf die Beine gestellt hätte, und gesagt hallo, das ist mein Text, ich habe die Rechte daran."

    Die Kläger aus der Bayerischen Landesregierungwollen mit ihrem Vorgehen nach eigenen Angaben Missbrauch unterbinden und Opfer und Hinterbliebene schützen.
    Auch der Zentralrat der Juden unterstützt das rechtliche Vorgehen gegen das Projekt Zeitungszeugen. Dort befürchtet man, dass die Publikation Nachwuchsnazis als Kopiervorlage dienen könnte.

    Den Missbrauchsfall kann Sandra Paweronschitz nicht ausschließen, das Feedback der letzten Wochen zeige aber deutlich, dass das die Minderheit sei:

    "Die wird’s immer geben. Das kann ich nicht ausschließen. Wir können mit dem Projekt Zeitungszeugen das Problem der extremen Rechten oder der NPD in Deutschland nicht lösen, so naiv sind wir dann nicht."