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Umstrittene Ölsand-Förderung
"Ein schwarzer Tag für die EU-Klimapolitik"

Die Förderung von Ölsand sowie die Nutzung daraus gewonnener Substanzen gelten als umweltschädlich. Dennoch hat das EU-Parlament für eine Gleichbehandlung der Substanz mit Biosprit gestimmt. Das Ergebnis "aggressiven Lobbyings", kritisierte der SPD-Europaabgeordnete Matthias Groote im DLF. Die EU-Kommission sei wegen der CETA-Verhandlungen eingeknickt.

Matthias Groote im Gespräch mit Jan Tengeler | 18.12.2014
    Der SPD-Europaparlamentarier Matthias Groote sitzt am 19. Februar 2013 im Tagungsraum des Umweltausschusses im EU-Parlament in Brüssel.
    Matthias Groote ist umweltpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. (picture alliance / dpa / Wolf von Dewitz)
    Jan Tengeler: Aus Teer beziehungsweise Ölsand wird eine Substanz gewonnen, die zu Benzin und Diesel weiterverarbeitet werden kann. Die Förderung von Ölsand ist umstritten. Wissenschaftler und Umweltschützer kritisieren, dass dafür hektarweise Wald abgeholzt werden müsste. Zudem hätte es in der Nähe der Fördergebiete in den vergangenen Jahren mehrere ungewöhnliche Krebserkrankungen sowie mutierte Fische gegeben. Trotzdem wird Ölsand gefördert, insbesondere in Kanada.
    Gestern nun hat sich das Europaparlament mit der Nutzung von klimaschädlichem Sprit aus diesen Ölsanden und einem Gesetz befasst, das Klimaschützer nicht erfreuen wird. Kurz vor dieser Sendung habe ich mit dem SPD-Europaabgeordneten Matthias Groote gesprochen. Er ist auch umweltpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktionen in Straßburg. Worum ging es gestern genau bei der Abstimmung?
    Matthias Groote: Es ging gestern darum, dass wir eine Gesetzgebung, einen Einspruch ins Plenum eingebracht haben, die aus 2009 kommt, nämlich das Klima- und Energiepaket aus 2009, wo wir auch die Kraftstoff-Qualitätsrichtlinie drin hatten. Da war eigentlich damals das Ansinnen - so ist es auch auf den Weg gebracht worden - dass wir verschiedene Treibstoffe uns anschauen, wie ist eigentlich die Klimabilanz bei diesen Treibstoffen? Das war der politische Wille. Dann ist es in die Umsetzungsphase gegangen, das heißt in die Kommission, und dort wurde dann in Regelungsausschüssen darüber diskutiert. Zeitgleich gab es auch die Verhandlungen mit Kanada zum sogenannten CETA-Abkommen, das Freihandelsabkommen, und sie haben es ja auch gerade schon gesagt, dass in Kanada massenweise Teersände abgebaut werden unter den widrigsten Bedingungen für die Umwelt. Und siehe da: Es gab keine Differenzierung mehr, sondern die EU-Kommission ist anscheinend eingeknickt. Es wurde ein Einheitswert gefasst. Biosprit wird mit kanadischen Teersänden gleichgesetzt, und das kann es nicht sein. Deshalb haben wir den Einspruch im Umweltausschuss erwirkt, der auch eine Mehrheit gefunden hat, und gestern wurde der Einspruch, weil wir eine qualifizierte Mehrheit brauchen, leider hier im Haus abgelehnt.
    "Wir predigen Wasser"
    Tengeler: Das heißt jetzt in der Konsequenz, es wird dreckiges Benzin weiterhin auch in Deutschland oder in Europa verbraucht. Ist das vor allen Dingen Ihr Kritikpunkt?
    Groote: Ja! Und dass wir, wenn wir in anderen Regionen der Welt mit einem erhobenen Zeigefinger aufkreuzen und sagen, so könnt ihr das nicht machen, eure Umwelt komplett zerstören, um Rohstoffe zu gewinnen, um Treibstoffe zu gewinnen, dass wir es dann selbst zulassen, das heißt, die EU wird eigentlich unglaubwürdig an der Stelle. Und das ist für internationale Klimaverhandlungen auch kontraproduktiv, weil wir predigen Wasser in Lima und bei anderen Konferenzen und schöpfen dann aus dem Vollen, wenn es um die gesetzliche Umsetzung geht.
    Tengeler: Warum genau ist denn die EU-Kommission überhaupt eingeknickt? Sie haben das Freihandelsabkommen erwähnt.
    Groote: Ich habe den Verdacht, dass das zusammenhängt, weil wir haben ein aggressives Lobbying der kanadischen Teersand-Lobby hier gehabt und es gab verschiedenste Kontaktaufnahmen, dass man auch bedenken muss, was ein Freihandelsabkommen angeht, dass man das nicht gefährden sollte und so weiter und so fort. Ich glaube, dass wir gestern einen Präzedenzfall geschaffen haben, dass man wirklich internationalen Partnern aufzeigt, ihr müsst nur stark genug in Europa lobbyieren vor einem Freihandelsabkommen, dann werden die Europäer ihre Verbraucherschutz-Standards schon alleine nach unten setzen, oder die Standards angleichen. Ich glaube, dass das ein ganz schwarzer Tag war, nicht nur für die EU-Klimapolitik, sondern auch für zukünftige Freihandelsabkommen, die verhandelt werden, dass Europa dort im vorauseilenden Gehorsam schon Werte angleicht und nach unten revidiert.
    Tengeler: Und das heißt auch, dass Sie als Europaabgeordneter im Parlament überhaupt keine Möglichkeit mehr haben, jetzt noch etwas an diesen Gesetzen zu ändern?
    Groote: Das Gesetz ist jetzt durch, muss man sagen. Wir haben aber die Möglichkeit, bei einer zukünftigen Gesetzgebung, nämlich bei der indirekten Landnutzung nachzubessern, und da gibt es das Rückspiel zur Kraftstoff-Qualitätsrichtlinie bei der sogenannten ILUG-Gesetzgebung, indirekter Landnutzung.
    "Ich finde das respektlos von der Kommission"
    Tengeler: Aber auch dabei müssen Sie vermuten, dass Sie vielleicht eine andere Politik fahren als die EU-Kommission, wie jetzt in dem gerade beschriebenen Fall?
    Groote: Ja, wir haben dieses Dossier schon in Bearbeitung. Man muss hier Mehrheiten organisieren und man muss dort noch mehr trommeln und, ich sage mal, auch auf den gesunden Menschenverstand setzen. Gestern mit der Kraftstoff-Qualitätsrichtlinie, mit der Verabschiedung, haben wir, ich sage mal, umweltpolitisch fragwürdig gehandelt, was Handelspolitik angeht, haben uns, glaube ich, selbst ein Bein gestellt, die Verhandlungsposition von Anfang an für kommende Freihandelsabkommen geschwächt. Und ich finde es auch respektlos von der Kommission in der Umsetzung, ich sage mal, das Ansinnen des Rates der Mitgliedsstaaten, aber auch des Parlaments, dass das so durch den Fleischwolf gedreht wird, dass man da ein Einheits-Mengelmus draus macht. Das ist nicht in Ordnung und das ist auch ein ganz schlechter Stil, muss ich sagen.
    Tengeler: Das Europaparlament hat gestern über die Nutzung von klimaschädlichem Sprit aus Ölsanden entschieden. Das war ein Gespräch mit dem SPD-Europaabgeordneten Matthias Groote über die Hintergründe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.