
Die Übergangsregierung hatte die Abstimmung allerdings in mehreren Provinzen aus - wie es hieß - Sicherheitsgründen verschoben. Mit Ergebnissen wurde frühestens für Montag gerechnet. Die Parlamentswahl war keine allgemeine, bei der alle Bürger abstimmen konnten.
Der ehemalige syrische Machthaber Assad war im Dezember 2024 nach dem Bürgerkrieg von bewaffneten Oppositionsgruppen unter der Führung al-Scharaas gestürzt worden.
Farce oder Fortschritt?
Begleitet wurde der Urnengang von der Hoffnung auf Demokratie, aber auch von viel Kritik am Verfahren. In Syrien leben derzeit rund 23 Millionen Menschen. Allerdings durften nicht alle von ihnen darüber abstimmen, wer künftig die 210 Sitze im Abgeordnetenhaus einnehmen soll. Grund dafür ist das komplizierte - und umstrittene - Wahlverfahren. Über die Besetzung der Abgeordnetensitze entscheiden nämlich lokale Wahlausschüsse, die im Vorfeld bestimmt wurden und nun Personen aus ihren eigenen Reihen wählen.
Insgesamt waren an der Abstimmung 6.500 Wahlleute beteiligt, von denen 1.578 als Kandidaten zugelassen wurden. Nach Behördenangaben waren 14 Prozent davon Frauen. Für die Auswahl der Wahlleute galten zahlreiche Kriterien. So sollten Vertriebene und Menschen mit Beeinträchtigungen vertreten sein, Akademiker und sogenannte Stammesführer. Anhänger der gestürzten Assad-Regierung wurden nicht zugelassen. Unter dem damaligen Diktator galten Wahlen in Syrien als Farce, die der Regierung einen demokratischen Anstrich geben sollten. Regelmäßig gewannen mehrheitlich Anhänger der herrschenden Baath-Partei und ihre Verbündeten Sitze im Parlament. Beobachter sehen nun eine ähnliche Gefahr: Durch das von der Übergangsregierung festgelegte Verfahren könnte sich auch das neue Parlament zum Großteil aus Regierungstreuen zusammensetzen.
Die Übergangsregierung wiederum begründete ihr Vorgehen damit, dass unter den gegebenen Bedingungen eine landesweite Abstimmung gar nicht möglich sei: Millionen von Binnenflüchtlingen und Vertriebenen besäßen keine gültigen Ausweispapiere, weite Teile des Landes seien verwüstet, Treibstoff und Strom knapp und ganze Städte zerstört.
Grundsätzlich wurde die Wahl aber als wichtiger Schritt für eine politische Neuordnung des Landes angesehen, das Jahrzehnte lang autoritär vom Assad-Clan regiert wurde. Doch neben dem Vorwurf, das Wahlverfahren sei von persönlichen Interessen geleitet und befeuere Vetternwirtschaft, gibt es noch weitere Kritik: zum Beispiel daran, dass ein Drittel der Sitze im Parlament direkt durch den Übergangspräsidenten Al-Scharaa bestimmt werden soll. Es wird befürchtet, dass der ehemalige Rebellenführer das Parlament dadurch stark beeinflussen könnte.
Nicht überall wird gewählt
In der südlichen Provinz Suwaida sowie in Teilen der nordöstlichen Provinzen Hasaka und Rakka wurde gar nicht gewählt. Die Übergangsregierung hatte die Wahl dort aus Sicherheitsgründen verschoben. Hasaka und Rakka stehen unter der Kontrolle der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). In Suwaida im Süden des Landes ist die drusische Gemeinde beheimatet. Wie diese Gebiete im neuen Parlament vertreten werden, bleibt abzuwarten.
Die Konflikte der Volksgruppen der Drusen und der Kurden mit der Übergangsregierung haben in den vergangenen Wochen die bevorstehende Parlamentswahl überschattet. Erst im Juli kam es in Suwaida zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen drusischen Milizen und sunnitischen Stammesgruppen, die von der Regierung in Damaskus unterstützt wurden.
Der Sprecher der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Al-Schami, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Wahlen ließen keine Anzeichen für einen echten Wandel in Syrien erkennen und das Vertrauen der Kurden in die neuen Machthaber sei gering.
International genau beobachtet
Trotz aller Mängel sehen Experten die Wahl als notwendigen Zwischenschritt nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg. International wird der Prozess - insbesondere mit Blick auf die Repräsentanz von Minderheiten - genau beobachtet.
Ob in Syrien nun ein langfristig demokratischer Wandel in Gang gesetzt werden kann, hängt jedoch vor allem von künftigen Reformen und möglichen anschließenden freien Direktwahlen ab. Ergebnisse der heutigen Parlamentswahl werden für Montag oder Dienstag erwartet.
(Mit Material der Nachrichtenagentur dpa)
Aleppos Trauma: Über den schwierigen Wiederaufbau in Syrien
Rückkehr nach Syrien: Frustriert über den langsamen Wiederaufbau
Leben in Angst: Christen in Syrien bangen um Religionsfreiheit
Diese Nachricht wurde am 05.10.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.