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Umstrittene Tradition

Sangeswettbewerbe mit gefangenen Finken haben im flämischen Teil Belgiens Tradition - und das seit über 400 Jahren: Das älteste Dokument belegt einen Wettbewerb in Ypern im Jahr 1595. Bis heute ist es ein Sport der kleinen Leute geblieben, ein Sport allerdings, der mit unseren heutigen Vorstellungen vom Tierschutz nur schwer in Einklang zu bringen ist. Zeitweise war der Finkenfang auch verboten, doch das Verbot wurde mit Ausnahmegenehmigungen durchlöchert. Jetzt will die konservativ-liberale Mehrheit im Landtag ihn unter Auflagen wieder erlauben, Tier- und Naturschützer machen mit Aktionen auf Märkten und vor dem Parlament dagegen mobil.

Von Sven-Claude Bettinger | 27.04.2005
    In kleine Holzkäfige mit lediglich zwei Öffnungen für Licht und Luft sperren circa 20.000 Flamen Finken ein. Nur so, behaupten diese "vinkeniers", singen sie besonders schön und laut. Und darum geht es bei den sonntäglichen Wettbewerben an Wegerändern. Früher wurden den Vögeln auch noch die Augen ausgebrannt. Früher wurden die Finken für diesen flämischen Volkssport auch noch in der freien Natur gefangen. Das ist in Belgien bereits seit 1972 gesetzlich verboten. Aber, so der Vorsitzende des Belgischen Vogelschutzvereins, Jan Rodts:

    " Von 1973 bis 2002 wurde der Finkenfang toleriert. Der Landwirtschaftsminister erteilte den Finkensportlern jedes Jahr eine Ausnahmegenehmigung, um den Vogelfang in der freien Natur zu erlauben. Wir meinen, dass es jetzt reicht!"

    Die Vogelschützer berufen sich nicht nur auf die europäische Vogelschutzrichtlinie von 1979. Auch ein flämisches Gesetz aus dem Jahr 1981 verbietet das Fangen von Vögeln für Freizeit und Verzehr. Sowohl der Europäische Gerichtshof als auch Belgiens Oberstes Verwaltungsgericht haben die Ausnahmegenehmigungen nach jahrelangen Prozeduren verurteilt. Deshalb beschloss der flämische Landwirtschafts- und Umweltminister 2002, sie nicht mehr zu erteilen. Das war ein grüner Politiker. Nach einer Wahlniederlage sitzen die Grünen seit 2004 in der Opposition. Jetzt haben christdemokratische und liberale Abgeordnete im flämischen Landtag einen Gesetzesentwurf eingebracht, um das Fangen von Finken doch zu gestatten. Carl Decaluwé, der auch Vizepräsident des flämischen Landtags ist:

    " Es geht um 3600 Vögel. Insgesamt gibt es in Flandern schätzungsweise 3 bis 4 Millionen Finken. 3600 Finken, das ist eher eine symbolische Menge, damit gerät die biologische Vielfalt gewiss nicht in Gefahr."

    Der Gesetzesentwurf sieht auch eine zeitliche Befristung bis 2012 und strenge Kontrollen der Fangmengen vor. Die Vogelschützer lehnen das Vorhaben radikal ab:

    " Die flämischen ‚vinkeniers' halten derzeit nachweislich rund 80.000 Finken gefangen. Jährlich werden weitere 20.000 Finken erfolgreich gezüchtet. Es gibt also genug Vögel, die Zukunft dieses Sports ist keinesfalls gefährdet. Meiner Meinung nach gibt es eigentlich ein ganz anderes Problem: Die ‚vinkeniers' finden das Fangen einfach so schön, dass sie es nicht aufgeben wollen."

    Wegen dieser Mentalität versuchen die Vogelschützer, die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs zu verhindern. Abgesehen von der Tatsache, dass eine solche Ausnahmeregelung früher oder später vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wird, befürchten sie einen Präzedenzfall. Nach den Finken könnten auch andere Vögel zu Fang oder Jagd freigegeben werden, nicht unbedingt per Ausnahmeregelung, sondern de facto, durch "laisser faire". So sehen das auch die Flamen: Bei einer großen Umfrage lehnten 86 Prozent Finken- und Vogelfang ab.