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Umstrittene Weichmacher

Plastik ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Einkaufstüte und Frischhaltedose werden dadurch leicht. Doch darin enthaltene Stoffe wie Phthalate und das Basismaterial Bisphenol A stehen unter dem Verdacht, das menschliche Hormonsystem zu beeinflussen.

Von Mike Scheller | 21.09.2010
    Als problematisch gelten bei Umweltverbänden vor allem Weichmacher. Meist handelt es sich um die sogenannten Phthalate, die beispielsweise PVC-Kunststoffen zugesetzt werden, um diese weich und geschmeidig zu machen. Sarah Häuser, Expertin für Chemiepolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland hält noch ein bestimmtes Ausgangsmaterial für gefährlich:

    " ... und Bisphenol A. Also die wirken eigentlich beide wie das weibliche Hormon Östrogen. Das bedeutet, dass es zu einer Verweiblichung kommt. Die gefährdetsten Gruppen sind eigentlich Föten im Mutterleib und Kleinkinder, weil deren Organe noch nicht ausgebildet sind, und deswegen sind diese Phasen eben sehr sensibel auf hormonelle Störungen."

    Aus Bisphenol A entsteht hartes Plastik, das Polycarbonat, zum Beispiel für CDs und Schutzhelme. Karla Pfaff vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht den Einsatz von Bisphenol A nicht so kritisch. Sie leitet die Fachgruppe Analytik und Expositionsabschätzung.

    "Im Verpackungsbereich spielt es keine Rolle, weil es auch andererseits ein sehr teurer Kunststoff ist."

    Tierversuche haben gezeigt, dass Phthalate und Bisphenol A die Fortpflanzung und die geschlechtliche Entwicklung stören. Beim Menschen streiten sich die Wissenschaftler noch über die genauen Zusammenhänge und die Übertragbarkeit, sowohl bei den Phthalaten als auch beim Bisphenol A. Professor Josef Köhrle ist Spezialist für Hormone, leitet das Institut für experimentelle Endokrinologie an der Charité Berlin und bestätigt die Ergebnisse der Tierversuche:

    "Da gab es vor wenigen Monaten eine Überschrift, die durch die Medien gegangen ist:"Scientists declare war over BPA - Kriegserklärung der verschiedenen Fraktionen, was nun für Bisphenol A richtig ist oder nicht richtig ist. Wir wissen aber, dass einige dieser Phthalate definitiv nachteilige Wirkungen haben."

    Für die Verbraucher bleibt die Lage extrem unübersichtlich. Sie können beim Einkauf nur schwer erkennen, ob sie Kunststoffe mit Phthalat-Zusätzen oder solche erwerben, die mit Bisphenol A hergestellt wurden. Hinweise über den verwendeten Kunststoff geben Kennzeichen an vielen Verpackungen. Karla Pfaff:

    "Die einzige Möglichkeit ist eigentlich über dieses Recycling-Symbol, das ist dieses Dreieck aus den drei Pfeilen."

    Die Zahl drei steht für PVC, das Phthalate enthalten kann, und die sieben steht für Polycarbonat, aus dem das Bisphenol A hergestellt wird. Das Bundesinstitut für Risikobewertung testet alle Kunststoffe, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen sollen. Ein Hundertstel der Menge, die dem Tier schadet, bildet einen Grenzwert, der nicht überschritten werden darf und dessen Einhaltung die Lebensmittelüberwachung kontrolliert. Für Phthalate gilt ein doppelter Sicherheitsabstand. Hohe Temperaturen und stark saure Lebensmittel erhöhen die Menge austretender Substanzen. Fetthaltige Lebensmittel dürfen nicht mit Verpackungen in direkten Kontakt kommen, die weichmachende Phthalate enthalten, weil diese sich in Fett lösen. Kauft man eingeschweißte Lebensmittel, hilft es auch nicht, wenn man sie auspackt, erklärt Karla Pfaff.

    "Es gibt ja ein gewisses Gleichgewicht, was sich einstellt zwischen dem Verpackungsmaterial und dem Lebensmittel. Wenn sich das eingestellt hat, dann geht danach auch nichts mehr in das Lebensmittel über."

    Sarah Häuser von BUND hält sowohl den Einsatz von Bisphenol A als auch den von Phthalaten trotz strenger Grenzwerte für gefährlich - nicht nur wegen der vielen verschiedenen Kontaktmöglichkeiten:

    "Aber man muss auch wissen, dass diese hormonellen Schadstoffe auch bei extrem geringen Mengen eine Wirkung entfalten können im Körper, und dass man nie nur einer Quelle ausgesetzt ist, sondern ganz verschiedenen Quellen."

    Josef Köhrle von der Charité formuliert seine Erkenntnisse so:

    "Wir wissen, dass es praktisch schon ein Charakteristikum von Hormonsystemen ist, dass Wirkungen auftreten können bei sehr niedrigen und bei sehr hohen Dosen. Und dass es einen Zwischenbereich gibt, wo keine Wirkung auftritt oder wo die Wirkung neutral ist."