Uli Blumenthal: Glyphosat ist das weltweit am meisten eingesetzte Herbizid. Und ein sehr umstrittenes. Derzeit läuft in Europa ein Verfahren, in dem es darum geht, ob Glyphosat auch ab 2016 noch zugelassen bleibt. Dafür wurden neue Risikoeinschätzungen erarbeitet, maßgeblich vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Von dort kam schon die Botschaft: Wir sehen keinen Grund dafür, Glyphosat nicht weiter zuzulassen. Es sei aktuell kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen erkennbar. Im März tat allerdings die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation eine etwas andere Sichtweise kund. Sie kam zu der Einschätzung, dass Glyphosat beim Menschen "wahrscheinlich Krebs erregen" kann. Gestern Nachmittag hat die IARC dazu eine umfassende Begründung nachgeliefert in Form einer 92-seitigen Monografie. Mit mir im Studio ist Lucian Haas. Er hat sich die Monografie angesehen. Was bringt dieses Werk denn nun Neues in die Diskussion?
!Lucian Haas:!! Inhaltlich erst einmal nichts grundlegend Neues. Der große Knall ist ja schon im März passiert, als die IARC die Kurzfassung ihrer Ergebnisse veröffentlichte. Jetzt bekommen die Fachleute aber mit der Monografie erstmals all die Daten vorgelegt, auf die sich die IARC-Forscher bei ihrer Einschätzung stützen. Damit können sie versuchen nachzuvollziehen, wie es zu so unterschiedlichen Bewertungen kommen kann.
Blumenthal: Was sind die zentralen Ergebnisse der Monografie?
Haas: Die Forscher der IARC haben mehr als 200 öffentlich zugängliche Studien zu Gesundheitsfolgen von Glyphosat aus den vergangenen 20 Jahre gesichtet und danach bewertet, ob sie sowohl relevante als auch glaubwürdige Ergebnisse liefern. Auf Basis der Studien stellen sie fest: Ein eindeutiger Zusammenhang von Glyphosat und Krebs bei Menschen lässt sich nicht herstellen. Aber es gibt "limitierte Nachweise" darauf, dass Glyphosat die Entstehung einer Form von Blutkrebs, sogenannte Non-Hodgkin-Lymphome, fördern könnte. Daneben führt die Monografie Studien auf, die zeigen dass bei Mäusen und Ratten in Kontakt mit Glyphosat Krebs aufgetreten ist. Einige Zellstudien im Labor belegen offenbar auch eine genotoxische Wirkung. In all dem zusammen genommen sehen die IARC-Forscher Anlass genug, um Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" einzuordnen.
Keine Aussagen über das Risiko einer Erkrankung
Blumenthal: Muss man sich also wegen Glyphosat tatsächlich Sorgen machen?
Haas: Sorgen ja - aber die IARC macht mit der Monografie keinerlei Aussage darüber, wie groß diese Sorgen sein sollten. Das ist auch nicht das Ziel ihrer Studien. Diese Analysen schauen nur darauf: Geht von einem bestimmten Stoff, in diesem Fall Glyphosat, eine Gefahr aus? Das heißt: Kann es überhaupt zu einer Krebserkrankung kommen? Wenn ja, dann gilt ein Stoff nach IARC-Definition als krebserregend, selbst wenn es möglicherweise nur extrem selten in der Praxis dazu kommt, dass Krebs entsteht. Die IARC macht also keine Aussagen dazu, wie groß das Risiko ist, etwa abhängig von der Dosis an Glyphosat, denen ein Mensch ausgesetzt ist.
Blumenthal: Was bedeutet das nun für die weitere Zulassung von Glyphosat?
Haas: Erst einmal heißt das, dass nun unter den Experten viel diskutiert werden wird. Bei der Zulassung von Herbiziden wird natürlich auf die Gefahren geschaut, aber entscheidend ist letztendlich das Risiko. Erst die Dosis macht das Gift, heißt es in der Toxikologie. Jetzt werden unter anderem die Experten beim Bundesinstitut für Risikobewertung und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA sich all die relevanten Studien noch mal genauer ansehen und schauen: Wenn wir von einer höheren Gefahr von Glyphosat ausgingen, ändert das etwas an unserer Risikoeinschätzung, basierend auf einer bestimmungsgemäßen Anwendung von Glyphosat? Das Ergebnis dazu ist noch offen. Letztendlich ist es auch immer eine politische Entscheidung, wie viel Risiko man akzeptieren will.
Blumenthal: Die aktuelle Zulassung für Glyphosat in der EU läuft offiziell Ende 2015 aus. Was passiert, wenn bis dahin noch keine Entscheidung vorliegt?
Haas: Es ist abzusehen, dass der Prozess der Neubewertung von Glyphosat nach diesem IARC-Einwurf wahrscheinlich noch etwas länger dauern wird. Es wird deshalb bereits über eine Verlängerung der aktuellen Zulassung um ein halbes Jahr diskutiert.