Ralf Krauter: Eine Behörde der Weltgesundheitsorganisation kam 2015 zu dem Schluss, Glyphosat sei "wahrscheinlich krebserregend". Eine andere WHO-Behörde dagegen befand daraufhin, es sei unwahrscheinlich, dass das Pflanzengift für Menschen ein gesundheitliches Risiko darstelle. Eine Einschätzung, der sich das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und dann auch die EU-Chemikalienagentur ECHA angeschlossen haben. Obwohl Glyphosat bei korrektem Gebrauch also vermutlich keine Riesenbedrohung darstellt, haben über 1,3 Millionen Menschen eine Petition gegen eine Verlängerung der EU-Lizenz unterzeichnet. Die EU-Parlamentarier in Straßburg haben deshalb gestern mehrheitlich gefordert, den umstrittenen Unkrautvernichter in spätestens fünf Jahren aus dem Verkehr zu ziehen. Doch das letzte Wort hat die EU-Kommission. Und die hat das heiße Eisen heute einmal mehr vertagt.
Dr. Horst-Henning Steinmann arbeitet am Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung der Universität Göttingen und kennt sich mit den Chancen und Risiken von Glyphosat gut aus. Ich habe ihn vorhin gefragt, ob es ihn überrascht hat, dass die EU-Kommission ihr Verdikt schon wieder verschoben hat.
Horst Steinmann: Wir beobachten das ja schon seit Längerem, dass die Entscheidungsfindung sich sehr hinzieht. Sie ist sehr schwer, auch die Länder tun sich schwer, aber auch die Kommissionen. Ich halte diesen jetzt vorliegenden Vorschlag eines Ausstieges innerhalb von fünf bis sieben Jahren tatsächlich für einen Einstieg in den Ausstieg. Also man wird darüber hinaus keine Entscheidung treffen können jetzt, und vielleicht ist es ein Kompromiss, um nicht gleich einen Komplettausstieg innerhalb kürzester Zeit zu fahren, sondern einen leichten Übergang hinzubekommen.
"Glyphosat war und ist zu billig"
Krauter: Sie haben es schon angesprochen. Dieser Kompromissvorschlag der EU-Kommission, der lautet jetzt Verlängerung der Zulassung um fünf bis sieben Jahre. Das EU-Parlament in Straßburg hat gestern ein Aus in spätestens fünf Jahren gefordert, also bis 2022. Der Umweltausschuss in Straßburg wollte sogar, dass schon in drei Jahren definitiv Schluss ist mit Glyphosat. Macht das denn aus der Sicht der Landwirte überhaupt einen Unterschied, ob die Glyphosat jetzt noch drei, fünf oder vielleicht sogar sieben Jahre verwenden dürfen?
Steinmann: Zweierlei: Zum einen ist das Signal sicherlich so deutlich, dass man sich künftig auf einen Ackerbau und auch Anbau von Obstkulturen ohne Glyphosat vorstellen muss und sich darauf einstellen muss. Das andere ist, dass natürlich für diejenigen, die sehr große, sehr hohe Anpassungskosten haben, jedes Jahr zählt, in dem sie das Glyphosat noch nutzen können. Insofern ist das schon ein Unterschied, ob es fünf oder sieben oder nur drei Jahre sind.
Krauter: War Glyphosat vielleicht doch einfach lange Zeit zu billig, um nach Alternativen zu suchen?
Steinmann: Ja, Glyphosat war und ist zu billig. Also gegen diesen Standard kommt niemand gegen an, der plant, in einem Markt um neue Geräte, auch nichtchemische Unkrautbekämpfungsmethoden, aber auch andere Herbizide zu platzieren. Das hat nahezu auch Innovationen gehemmt über etliche Jahre. Das muss man auch ehrlicherweise sagen.
"Glyphosat hat günstige Anwendungsbedingungen"
Krauter: War es vor allem dieser niedrige Preis, also die niedrigen Kosten, die Glyphosat ans Herbizid so attraktiv gemacht haben, dass es heute in Deutschland über 30 Prozent Marktanteil hat?
Steinmann: Die Attraktivität kommt daher, dass natürlich dieser Preis so günstig ist, aber Glyphosat hat auch so günstige Anwendungsbedingungen. Es lässt sich in vielen Kulturen anwenden oder auf vielen Stoppeläckern vor oder nach vielen Ackerbaukulturen. Es hat ein sehr breites Spektrum, erfasst also sehr viele Unkräuter, und ist dadurch quasi zu einem Ersatzackerbauinstrument geworden, weil es vielfach eben den Pflug oder andere Bodenbearbeitungsgeräte ersetzen kann.
Krauter: Das heißt, es war einfach auch bequem, das einzusetzen?
Steinmann: Es ist sicherlich so, dass es für viele Betriebe auch eine Bequemlichkeitsfrage ist. Wir haben die Vermutung, dass einzelne Betriebe sich da auch wirklich in ihrer Betriebsstruktur darauf spezialisiert haben, das Glyphosat als Rationalisierungsinstrument zu nutzen. Andere Betriebe hingegen - das wissen wir - setzen das Glyphosat nur sporadisch ein und haben es tatsächlich nur dort als Notfalllöser eingesetzt, wie es ursprünglich auch gedacht war.
Schlankrationalisiert mithilfe von Glyphosat
Krauter: Rund 5.000 Tonnen Glyphosat werden in Deutschland jährlich versprüht. Was glauben Sie, für welche Landwirte wird es denn jetzt besonders leicht und für wen besonders schwer werden, passable Alternativen zu finden?
Steinmann: Schwer wird es für diejenigen Landwirte, die sehr stark auf dieses Mittel gesetzt haben, die - wir sprachen das schon an - ihre Betriebe sehr schlankrationalisiert haben mithilfe von Glyphosat, die jetzt die Sorge haben, dass sie vielleicht größere Geräte kaufen müssen, um eine größere Arbeitsleistung hinzubekommen. Es wird auch den Betrieben sicherlich wehtun, die Bodenschutzmaßnahmen bisher schon durchgeführt haben, also eine reduzierte Bodenbearbeitung, wo das Glyphosat geholfen hat, das Unkrautmanagement bei dieser sparsamen Bodenbearbeitung hinzubekommen, und wenn wir mal in die Weinbauregionen schauen, dann hören wir auch Sorge von vielen Weinbauern, die den Weinbau auf Steillage betreiben und dort sich sehr schwertun, Geräte zu finden, die dort auf diese steilen Berge hinauffahren können, um eine angemessene Unkrautkontrolle zu machen. Also hier werden sicherlich große Anpassungskosten und Anpassungsmühen entstehen. Für andere wird es sehr preiswert sein, weil sich nicht viel ändert.
Krauter: Es gibt ja auch alternative Herbizide. Werden die die Lücke füllen können?
Steinmann: Nicht direkt, denn es gibt jetzt kein vergleichbares Herbizid, was komplett eins zu eins so eingesetzt werden kann. Wenn man versucht, mit Herbiziden - jetzt bleiben wir wieder beim Ackerbau - sich anzupassen, dann wird man die Managementstrategien etwas ändern müssen. Man wird also Unkrautbekämpfung mehr in die stehenden, in die wachsenden Kulturen hineinverlagern, wenn man dort Herbizide einsetzen will, denn so effektiv, wie es das Glyphosat schafft, kann das im Moment kein anderes Herbizid.
Die Behörden haben bereits reagiert
Krauter: Die EU-Parlamentarier fordern ja über diese Restlaufzeit von fünf Jahren hinaus sozusagen, dass auch während dieser Restlaufzeit strengere Auflagen für den Einsatz d es Pestizids gelten sollen, Dinge, die heute erlaubt sind, sollten dann nicht mehr erlaubt sein. Welche Beschränkungsmaßnahmen halten Sie denn für machbar und sinnvoll?
Steinmann: Die dort vorgesehenen Maßnahmen haben wir im Grunde in Deutschland schon umgesetzt. Da geht es darum, die Anwendungen vor der Ernte deutlich zu reduzieren. Das macht man ja dann, wenn bestimmte Unkrautsituationen aus dem Ruder gelaufen sind, dass man die Bestände gar nicht ernten kann ohne eine Unkrautbekämpfung. Das sind allerdings sehr seltene Fälle, und hier hat man, sehr stark schon in Deutschland auch, auf Behördenseite schon reagiert. Es wird von Seiten der EU jetzt auch gefordert, den Einsatz im Privatsektor sehr stark zu reglementieren oder gar zurückzufahren.
Krauter: Sprich das Roundup, das man im Baumarkt kaufen kann als Hobbygärtner.
Steinmann: Genau, das dann von Leuten eingesetzt wird, die möglicherweise über die Sachkunde gar nicht verfügen und dann das Glyphosat dort spritzen, wo es nicht hingehört, nämlich auf befestigten Flächen. Verboten ist das auch bisher schon, aber man weiß nicht, ob da jeder darüber informiert ist. Also diese Anwendungsgebiete sind ohnehin schon in Deutschland durch Regelungen sehr stark reduziert, und insofern wird der Übergangszeitraum, den wir jetzt vor uns liegen haben, fünf oder sieben Jahre, vermutlich dann erst mal mit nationalen Regeln bestritten werden, die wir bisher auch schon kennen.
"Wir müssen auch mal ein paar Unkräuter stehen lassen"
Krauter: Das heißt, die Veränderungen, die anstehen, die haben sich schon abgezeichnet.
Steinmann: Wir hatten mit kooperierenden Wissenschaftlern schon vor Jahresfrist einen Appell gestartet zu sagen, die Mengen müssen herunter. Da hat man schon leichte Bewegung gesehen. Also ich glaube, an den nationalen Absatzmärkten hat sich da schon etwas gezeigt. Ich kann jetzt an dieser Stelle nicht sagen, ob diese Disziplin quasi dann für so einen Auslaufzeitraum auch gilt oder ob man sozusagen sich noch mal eindeckt am Markt, um jetzt noch die Zeit zu nutzen. Ob wir da einen geordneten Übergangszeitraum hinbekommen mit weiteren schärferen Regeln oder ob wir es einfach so laufen lassen, das muss sich dann national zeigen.
Krauter: Blicken wir zum Schluss mal ein bisschen voraus. Welche Lehren sollte man aus dem Fall Glyphosat für die Zukunft der Landwirtschaft ziehen?
Steinmann: Das eine ist, wir müssen uns damit vertraut machen, dass das EU-Zulassungsverfahren, das seit einigen Jahren in einer modifizierten Form jetzt vorliegt, stärker diese öffentlichen Belange mit einbindet. Also die Beteiligung der Parlamente, darum wird man nicht drum rum kommen, das ist jetzt beim Glyphosat durchexerziert worden. Das andere ist, dass die Landwirtschaft sich darauf einstellen muss, dass aus der Öffentlichkeit mehr Wertschätzung für mehr Vielfalt in der Landwirtschaft gefordert wird. Das Glyphosat hat ja auch den Makel, dass man ihm vorwirft, es würde die Biodiversität stark strapazieren. Das ist nicht nur das Glyphosat alleine, da sind die ganzen anderen Systeme, die dort wieder etwas vielfältiger werden müssen, wir brauchen mehr Mosaikstrukturen, Rückzugshabitate, wir müssen auch mal ein paar Unkräuter stehen lassen, um in der Landschaft wieder etwas mehr Vielfalt zuzulassen, und das bedeutet am Ende auch, Anbausysteme dort auf den Weg zu bringen, die nicht nur an den Pflanzenschutzmitteln hängen, sondern die auch sich selber ein Stück weit besser tragen können.
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