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Umstrittenes Stück zum Thema Vertreibung

Über die Vertreibung nach dem zweiten Weltkrieg zu sprechen, fällt bis heute nicht leicht. Nun hat ein junger polnischer Regisseur diesem Thema ein riskantes Bühnenprojekt gewidmet - riskant nicht nur im politischen, sondern auch im ästhetischen Sinne, denn er arbeitet mit betroffenen Zeitzeugen. "Transfer!" - so heißt das Stück - wurde im Dezember in Breslau, dem heutigen Wroclaw, gezeigt und läuft jetzt im Berliner "Hebbel am Ufer" kurz HAU genannt.

Von Hartmut Krug |
    Flucht und Vertreibung: ein brisantes Thema im Dialog zwischen Polen und Deutschland. Und so gab es Proteste und Versuche politischer Einflussnahme von polnischen Nationalisten, als das Theaterprojekt "Transfer" polnische und deutsche Vertriebene gemeinsam auf eine Bühne in Wroclaw (Breslau) brachte.

    Doch Heimwehtouristen, Revanchisten und Nationalisten treten gar nicht auf. Zehn Menschen in Alltagskleidung kommen über die mit Erde bedeckte Bühne an die Rampe und reden wild und wirr ins Publikum. Dann schreit ein Mann in Uniform von einer Hebebühne herab "Ruhe. Raus", und die Menschen gehen zurück zu ihrer Stuhlreihe im Bühnenhintergrund. Es ist Stalin, der mit Churchill und Roosevelt auf der Hebebühne wie auf einem Blutgerüst die Konferenz in Jalta als böse Blabla-Farce präsentiert. Churchill demonstriert seinen Vorschlag der Verschiebung Polens nach Westen mit drei Streichhölzern, Roosevelt ist schläfrig und tatterig und Stalin ein Ubu-haftes Monster. Drei Popstars, die mit Elektrogitarre und Keyboard Post-Punk der englischen Gruppe Joy Division spielen und mit "We knocked on the doors of hell`s darker chamber" ihre Taubheit gegenüber dem Leid der Völker und Menschen herabbrüllen. Mit dieser szenischen Anordnung des jungen Regisseurs Jan Klata bleibt Hitler hier aus dem Spiel. Dass Stalin als übergroßes Monster präsentiert wird, der für die polnische Westverschiebung verantwortlich sei, zeigt, dass dies eine Inszenierung aus polnischer Sicht ist.

    Doch die politischen Täter vermögen die Davongekommenen, die Überlebenden, nicht am Reden zu hindern. 10 Laien erzählen von ihren Lebenserfahrungen. Neun von ihnen sind um die siebzig Jahre alt, nur einer ist ein Mittdreißiger: dieser Deutsche steht mit seinem Reisekoffer für eine neue Generation, die überall zu Hause ist und behauptet, während sein in Niederschlesien geborener Vater sich ein Leben lang an einer Suche nach Heimat abgearbeitet hat: mein Koffer ist meine Heimat.

    Fünf Polen, vier Deutsche erzählen aus ihrem Leben, aus Vorkrieg, Krieg und Nachkrieg, und über Kopfhörer bekommt der Zuschauer die Simultanübersetzungen geliefert. Nicht der Prozess und die Erfahrungen der Vertreibung stehen dabei im Vordergrund. , sondern die Inszenierung gibt den Zeitzeugen die Möglichkeit, ihre Lebenserfahrungen im historischen Zusammenhang zu schildern. So erfährt man von einem Polen, wie er als Schüler in sechs unterschiedlichen Schulen lernen musste, mal in deutschen, mal in polnischen oder russischen oder ukrainischen Strukturen und Sprachen. Eine Deutsche erzählt, wie sie als blonde Schönheit (selbstverständlich als Hitlers Zukunft) im BDM war, dem Bund Deutscher Mädchen, aber auch, wie sie später durch die Studentenbewegung beeinflusst wurde und in Indien zum Yoga kam. Selten aber spannen die Erinnerungserzählungen der Menschen den Rahmen so weit.

    Die polnischen und deutschen Vertriebenen-Erinnerungen in dieser Inszenierung sparen harte Konflikte aus. Wenn eine aus der Ukraine umgesiedelte, das heißt nach Westen vertriebene Familie erst einmal zwei Jahre mit der deutschen Familie in deren Haus zusammen lebt, bevor diese dann plötzlich fort gehen muss, dann hat man gemeinsam Weihnachten gefeiert und war sich nahe gekommen.

    Deutsche und polnische Erinnerungen sind dabei durchaus unterschiedlich. Die polnischen beginnen bereits 1939, die deutschen meist erst 1945. Hitlerwitze werden erzählt und Feldpostbriefe gelesen, deutsche Volkslieder gesungen, es wird von der Flucht erzählt, von dreimonatiger Zeit im Bunker in Breslau, es wird aber auch darüber nachgedacht, ob damals Hitlers "Mein Kampf" im Bücherschrank stand und von Erinnerungen berichtet, die sich ins Hirn brannten. So, wie eine Panzerkolonne über einen toten Soldaten rollte und man sich wunderte, wie viel Gedärm ein Mensch haben kann, und, wie Mutter und Tanten vergewaltigt wurden. Polnische Erinnerungen erzählen von der Untergrundarbeit als Partisan, von deutschen, aber auch von späteren ukrainischen Mordtaten, von der Vertreibung und der schweren Ankunft im Westen, in Breslau, nur 360 Kilometer von Berlin.

    Das alles wird ein wenig holprig dargeboten. Nacheinander treten die Menschen an die Rampe und erzählen. Wenn dabei jemand mit Wirkungsabsicht zu "spielen" versucht, wirkt das eher hilflos. Es ist Laientheater, das theatralisch zum Beispiel keinen Vergleich mit den Projekten der deutschen Gruppe Rimini Protokoll aushält. Der 33jährige Regisseur Jan Klata hat sich inszenatorisch weitgehend zurückgehalten, die Erinnerungstexte sind das Wichtige an diesem Abend. Und, dass beim Thema Vertreibung Deutsche und Polen gemeinsam auf der Bühne stehen. In Berlin sieht man dem Abend mit Sympathie und politischem Einverständnis zu, aber als Theater weckt dieses Projekt keine sonderliche Begeisterung.

    Die Schlussworte haben zwei Deutsche. Ein Mann freut sich über die wiederaufgebaute Stadt mit den Worten "Breslau ist so schön, dass die Polen jetzt ihr Geld damit verdienen", und eine Frau sucht nach dem deutschen Namen eines jetzt polnischen Ortes, bis sie sich und uns zum offenen Schluss sagt: "Egal".