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Umweltbundesamt: Stromkapazitätsmarkt zu unflexibel

Mit einem Kapazitätsmarkt möchte etwa Baden-Württemberg den Neubau flexibler Gas- und Kohlekraftwerke rentabler machen. Einspruch kommt vom Umweltbundesamt: Ein solcher "Parallelmarkt" schreibe Investitionsentscheidungen über Jahrzehnte fest, warnt der zuständige Abteilungsleiter Klaus Müschen.

Klaus Müschen im Gespräch mit Jule Reimer | 20.07.2012
    Jule Reimer: Der Anstieg der Temperaturen, angefeuert durch die Treibhausgase, und die Schäden, die uns daraus erwachsen, das sind neben der Atomkatastrophe von Fukushima einer der Hauptgründe für den Umstieg auf erneuerbare Energien. Doch derzeit gibt es unzählige Hürden zu nehmen. Dank der Erneuerbaren ist der Strompreis gesunken – zwar nicht für die Konsumenten, aber für die Erzeuger. Da die erneuerbaren Energien außerdem noch Vorrang beim Einspeisen ins Energienetz haben, hat so mancher Energieversorger sein konventionelles Gaskraftwerk einfach eingemottet und winkt auch beim Thema Neubau ab. Aber da die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht, und der Strom daraus immer noch nicht richtig gespeichert werden kann, werden hoch flexible Gas- und Kohlekraftwerke gebraucht, um die Stromversorgung auch an kalten und wolkenverhangenen Tagen sicherzustellen. Jetzt werden Forderungen nach der Einrichtung eines sogenannten "Kapazitätsmarktes" laut. Der Zubau dieser flexiblen Kraftwerke soll staatlich gefördert werden, heißt es zum Beispiel aus dem rot-grün geförderten Baden-Württemberg. "So nicht", sagt dagegen das Umweltbundesamt. Klaus Müschen ist dort Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie. Herr Müschen, Sie wollen die Stromversorgung lieber über eine strategische Reserve absichern. Was ist denn der Unterschied zum Kapazitätsmarkt?

    Klaus Müschen: Guten Tag, Frau Reimer. – Ja der Unterschied besteht darin, dass beim Kapazitätsmarkt alle Kraftwerke daran teilnehmen, ihre Leistung bereitzustellen, während bei der strategischen Reserve, die wir vorziehen würden, nur ein kleiner Teil an Kraftwerken erforderlich ist, die quasi neben dem normalen Strommarkt diese Reserve bereitstellen. Wir wollen also nicht, dass der gesamte Strommarkt mit einem zusätzlichen Parallelmarkt erweitert wird, sondern wir wollen nur eine kleine strategische Reserve erst mal errichten, die wesentlich flexibler ist, die nicht langfristig Kapital und Kapazitäten bindet, sondern kurzfristig planbar und machbar ist. Allerdings wenn wir die heutige Situation angucken, dann sehen wir, dass gegenwärtig der bestehende Strommarkt noch immer der geeignete Rahmen ist für die Energiewende und auch für den Ausbau der Erneuerbaren. Derzeit brauchen wir diese Kapazitätsmechanismen nicht.

    Reimer: Wie würde sich das finanziell unterscheiden? Sie haben ja das Dilemma, dass offenbar kein Anreiz besteht, alte Gaskraftwerke im Augenblick bereitzustellen und auch keine neuen Gaskraftwerke zu bauen.

    Müschen: Wenn es einen Kapazitätsmarkt gäbe, dann würden langfristige Entscheidungen für Neubauten gefällt werden, die dann auch dazu führen, dass diese Kosten insgesamt auf die Strompreise umgelegt werden. Wenn wir nur einen kleinen Anteil von Kraftwerken, eine Handvoll von Kraftwerken als Reserve danebenstellen, neben den bestehenden Markt, die dann nicht am Markt teilnehmen, sondern nur zur Reserve bei Extremsituationen erforderlich sind, dann sind das Summen – wir haben das mal durchgerechnet für ganz Deutschland – von unter 0,1 Cent pro Kilowattstunde, die in den nächsten Jahren erforderlich wären. Aber wie gesagt, das sind Situationen, die derzeit noch nicht auftreten, sondern das sind Situationen, die wir vielleicht in drei, fünf oder auch erst zehn Jahren haben werden.

    Reimer: Ist denn der Unterschied, dass beim Kapazitätsmarkt alle Stromerzeuger etwas mehr Geld bekommen würden und bei der strategischen Reserve eben nur einzelne ausgewählte Kraftwerksbetreiber?

    Müschen: Das ist der entscheidende Punkt und wenn ich alle Kraftwerke da mit reinnehme, dann werden auch für den gesamten Kraftwerkspark Investitionsentscheidungen relevant, die dann letztlich bei neuen Kraftwerken den Kraftwerkspark für die nächsten 30, 40 Jahre festschreiben, sodass ich Investitionsentscheidungen habe, die erst mal nicht reversibel sind. Und wenn ich diesen Markt erst mal eingeführt habe, dann muss ich den auch weiterbetreiben, weil nur solche langfristigen Entscheidungen dann für den gesamten Markt tragen.

    Reimer: Ihr oberster Dienstherr, Bundesumweltminister Peter Altmaier, hat gestern im ZDF gesagt, vielleicht könnte Deutschland ja auch als Reserve auf Strom aus polnischen Kohlekraftwerken zurückgreifen. Bieten sich da vielleicht auch französische Atomkraftwerke an, also ist der Rückgriff auf europäische Nachbarländer, auf deren Kapazitäten auch sinnvoll?

    Müschen: Der findet natürlich sowieso statt. Wir haben ein europäisches Verbundnetz und je nach Größe und Qualität der Kupplungen zu den einzelnen Mitgliedsstaaten können wir natürlich auch deren Kapazitäten nutzen. Bei den französischen Atomkraftwerken wäre ich etwas skeptisch, weil insbesondere im Winter diese nicht zur Verfügung stehen, weil in Frankreich sehr viel mit Strom geheizt wird und die Kraftwerke dort ausgelastet sind und für den europäischen Markt kaum oder gar nicht zur Verfügung stehen. Bei polnischen Kohlekraftwerken kann ich die Situation nicht sehen, wobei diese Kapazitätsdiskussion, die wir derzeit führen – und das ist eher eine theoretische mit allen Beteiligten in der Politik, in der Wirtschaft, in der Energieversorgung -, ist eine Diskussion, die im Augenblick theoretisch ist und quasi uns vorbereiten soll auf Situationen in den nächsten Jahren.

    Reimer: Ganz kurz noch: Macht es Sinn, die strategische Reserve nur auf Gaskraftwerke zu begrenzen, oder würden Sie auch Kohle einbeziehen?

    Müschen: Das können auch bestehende Kohlekraftwerke sein, die derzeit da nicht mehr gebraucht werden.

    Reimer: Obwohl deren CO2-Ausstoß deutlich höher ist?

    Müschen: Sie würden ja nur relativ wenige kurze Zeit laufen und der CO2-Ausstoß wird insgesamt begrenzt durch den Emissionshandel.

    Reimer: Ein Kapazitätsmarkt zur Sicherung der Stromversorgung wird viel zu teuer, warnt das Umweltbundesamt. Danke an Klaus Müschen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.