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Umweltkatastrophe am Rio Doce
Das Leben nach der Schlammflut

Im November 2015 brachen an einem Tag in Brasilien zwei Staumauern von einem Damm eines Eisenerzbergwerkes. Eine Schlammlawine tötete 17 Menschen und ergoss sich in den Fluss Rio Doce, der die Wassermassen mit Metallablagerungen bis an die Atlantikküste 600 Kilometer entfernt spülte. Es war die bisher größte Umweltkatastrophe Brasiliens.

Von Carsten Upadek | 23.01.2016
    Eine giftige Schlammlawine hat Teile des brasilianischen Dorfes Paracatu de Baixo im Bundesstaat Minas Gerais begraben.
    Eine giftige Schlammlawine hat Teile des brasilianischen Dorfes Paracatu de Baixo im Bundesstaat Minas Gerais begraben. (AFP / Douglas Magno)
    Gemächlich fließt der Rio Doce Richtung Atlantik. Sein Wasser ist rotbraun wie ein rostiger Anker, das kommt vom hohen Eisengehalt. Vom Fischerörtchen Maria Ortiz im Südosten Brasiliens sind es noch 100 Kilometer bis zur Mündung. Domingos Ponche steht am Ufer schaut auf den Fluss. Auf seinen Fluss. Die Hände des 43-jährigen Fischers zeigen Schwielen von der Arbeit mit den Netzen, seine Haut gegerbt von Sonne und Wind.
    Er sagt: "Die Ablagerungen sind alle im Sand verteilt. Komm, ich zeige sie Dir!" Domingos kniet sich hin, schaufelt mit beiden Händen Sand weg und zeigt auf eine Mulde mit rotem Wasser. Den Sud aus Sand und Wasser lässt er durch seine Finger rinnen. Was bleibt sind glitzernde Teilchen.
    "Diese silbernen Rückstände kommen von dem gebrochenen Staudamm. Die Ablagerungen sind alle tief im Grund des Flusses und unter dem Sand - Mineralien, Blei, sehr viel aggressives Zeug. Die Vögel, die das Wasser getrunken haben, sind gestorben, seltene Tiere wie die Wasserschweine oder Otter sind verschwunden. Und es gibt keine Fische mehr in diesem Fluss."
    Fischer ohne Fluss
    Oberhalb des Ufers befindet sich das kleine Haus von Domingos, in dem er mit seiner Frau, seinen Kindern und Eltern lebt. Im Hof sortiert Vater Ilton Fischernetze. Er ist 78 Jahre und hat sein Leben lang gefischt. Ebenso die Mutter Edicleia, 70 Jahre. Sie sitzt auf einer Bank unter zwei Bootsmotoren und ballt beim Sprechen die Faust:
    "Unser Fluss ist am Ende! In wie vielen Jahren wird er sich erholen? Hier habe ich meine Kinder groß gezogen und heute? Das macht mich so traurig. Kein Geld kann mir das bezahlen."
    Umgerechnet 280 Euro im Monat bekommt die Fischerfamilie vom Bergbaukonzern Samarco, der für die Umweltkatastrophe verantwortlich ist. Das sei viel zu wenig und reiche kaum zum Überleben, sagt Domingos. Zumal der Konzern nur ein Jahr lang zahlt. Wie es danach weiter gehen soll? Die Ponches wissen es nicht.
    Keine Hoffnung mehr
    Weiter den Fluss hinauf Richtung Unglücksstelle liegt auf halben Weg die Kleinstadt Galileia, 7.100 Einwohner. Wie hunderte andere Städte am Rio Doce hat sie ihr Trinkwasser aus dem Fluss bezogen. Bis der Schlamm kam. Danach schickte der Konzern Samarco eilig Tankwagen, mit Wasser aus irgendwelchen abgestandenen Tümpeln, behauptet Wagna Alves. Sie sitzt im kargen Wartezimmer des lokalen Gesundheitszentrums.
    "Eine Woche lang hatte ich Durchfall. Ich habe zehn Kilo verloren und hatte große Schmerzen. Ich habe geweint, bin hierhergekommen und habe gefleht, mir zu helfen, weil ich es nicht mehr ertragen habe."
    Wagna Alves ist kein Einzelfall, sagt die Leiterin des Gesundheitsamtes Meirimacia Gonçalves. Ihr Medikamentenvorrat sei aufgebraucht.
    "In die Wasserspeicher wurde braunes Wasser gekippt, Wasser mit Müll drin. Wir haben uns natürlich beschwert, aber wir haben keine Mittel und Wege. Leider! Wir kämpfen gegen einen Konzernmulti: Samarco. Die sind sehr mächtig! Wir sind sehr klein!"
    Keine giftigen Metallrückstände?
    Samarco ist ein Zusammenschluss von zwei der drei größten Bergbaukonzerne der Welt, dem englisch-australischen BHP Billiton und dem brasilianischen Vale, an dem die brasilianische Regierung knapp 50 Prozent der Anteile hält. Samarcos Gewinn betrug im Jahr 2014 mehr als 630 Millionen Euro.
    "Ich fühle mich allein gelassen!", klagt Gesundheitsamtsleiterin Meirimacia Gonçalves. "Nur der Landkreis hilft uns, sonst niemand! Das ist es, was mich empört! Schuld ist ein Konzernmulti, der immer die Wahlkämpfe der heutigen Politiker finanziert hat. Dieses Umweltverbrechen hat uns das Wertvollste genommen, unseren Fluss. Ich habe keine Hoffnung mehr für unsere Zukunft. Galileia ist am Ende. Wir kalkulieren, dass unsere Lebenserwartung durch die Metalle im Wasser um 15 Jahre gesunken ist."
    Meirimacia Gonçalves glaubt den Studien der Regierung nicht, nach denen es im Rio Doce keine giftigen Metallrückstände gebe. Sie rechnet mit einem starken Anstieg der Krebsfälle.
    Meterhohe Welle aus Schlamm
    Ihren Anfang nahm die Katastrophe weiter im Inland, am Staudamm in der Nähe des Dorfes Bento Rodrigues mitten im Bergbaustaat Minas Gerais. Der Weg dahin führt über Schotter- und Feldwege. Der Beifahrer des uralten Fiat Uno heißt Gladismar Inancio und stammt aus Bento Rodrigues. Im Moment des Unglücks stand er gerade vor dem Haus seiner Eltern.
    "Gegen vier Uhr nachmittags hörten wir einen Knall und dachten ein Rohr sei vielleicht geplatzt. In Richtung Staudamm gibt es einen Berg. Wir sahen eine Welle, die diesen Berg herunter rollte. Sie war, keine Ahnung, 20 Meter hoch, und mähte die Bäume nieder. Die Leute sind in Panik geraten. Das war pure Verzweiflung."
    Die einen sagen, Schuld war ein kleines Erdbeben. Die anderen behaupten, Samarco habe zu gierig gefördert und Tonnen mehr Abbaureste im Stausee versenkt, als erlaubt. Klar ist nur, mindesten 17 Menschen kamen ums Leben und die größte Umweltkatastrophe Brasiliens nahm ihren Lauf.
    Schneise der Verwüstung
    Gladismar läuft mit seinem Freund Geraldunga einen schotterigen Abhang hinunter. Im Tal vor ihnen kreuzt eine Schneise der Verwüstung. Manche haben die Schlammwelle mit einem Tsunami verglichen, der alles mitgerissen hat, was in seinen Weg stand. Geraldunga zeigt auf Gebäude auf der anderen Talseite am Hang.
    "Das ist mein Bauernhof. Das war er jedenfalls. Das sind die Reste, die übrig sind. Da war eine Wiese, ich hatte Milchkühe, da war der Melkstall. Alles zerstört. Dort hatte ich Bananen, da eine Maniok-Pflanzung, da die Hundeställe, in denen die Hunde verendet sind. Ich fühle nur Trauer. Es gibt kein anderes Wort dafür."
    Am einstöckigen Farmhaus kleben an der Außenmauer dicke getrocknete Schlammbrocken. Nur ein schmaler Streifen unter dem Dach ist noch weiß. Drinnen im Haus ist es schwer, einzelne Möbel zu identifizieren. Sie scheinen im Wasserstrudel hin und hergespült- und bei Trocknung eins mit dem Schlamm geworden zu sein. Geraldunga denkt nicht an Wiederaufbau. Es existiert noch eine dritte Staumauer, die oberste, größte und älteste. Sie ist nicht gebrochen. Aber die Gerüchte unken, das sei nur eine Frage der Zeit. Auch Gladismar will nicht hierher zurück. Er leidet unter Albträumen.
    "Unser Glück war, dass die Staumauer am Tag gebrochen ist. Wäre das nachts passiert, hätte niemand überlebt. Unser Dorf sollte wieder aufgebaut werden - das wäre mein Wunsch. Aber woanders, an einem sicheren Ort."
    Weit weg von einem Staudamm.