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Umweltkatastrophe in Tunesien
Giftiger Phosphatabbau

Tunesien war mal einer der fünf weltweit größten Exporteure von Phosphor. Doch seit dem sogenannten Arabischen Frühling 2011 ist der Abbau des wichtigen Elements für Düngemittel ins Stocken geraten. Geld für Investitionen wird immer knapper – und da wird am Umweltschutz noch mehr gespart als zuvor.

Von Alexander Göbel | 15.12.2018
    Eine Chemiefabrik direkt am Meer von Chatt Essalem
    In Gabès wird der Phosphorgips direkt ins Meer gepumpt (AFP/STRINGER)
    Die Sonne versinkt hinter den Feldern der Oase von Chatt Essalam. Eine Oase direkt am Meer – in Tunesien einzigartig, erklärt Mondher. Er ist Krankenpfleger und in Chatt Essalam aufgewachsen, einem Vorort der Stadt Gabès.
    "Früher gab es immer Fisch zum Abendessen, wenn die Bauern die Felder gepflügt haben, denn das Meer war so nah, dass es die Fische auf die Felder gespült hat. Als ich klein war, bin ich mit den Fischen und den Garnelen zusammen im Meer geschwommen, ich schwöre, mit den Garnelen!"
    Doch seit Anfang der 70er-Jahre die staatlichen Chemiewerke Tunesiens ihre Fabrik in Gabès gebaut haben, gibt es in der Oase kaum noch Landwirtschaft. Wenn das Meer überhaupt noch etwas an den Strand spült, dann sind es tote Fische oder verendete Schildkröten.
    Schauplatz des größten Umweltskandals am Mittelmeer
    Gabès, die 150.000-Einwohnerstadt im Südosten Tunesiens, ist Schauplatz eines der größten Umweltskandale am Mittelmeer. In der Chemiefabrik türmen sich unter freiem Himmel meterhohe Berge von Phosphaterz, das aus der Bergbauregion des Landesinneren geliefert wird, um hier zu Dünger verarbeitet und dann in alle Welt verschifft zu werden. Ein beißender Geruch von Ammoniak liegt in der Luft, aus einem Kanal blubbert eine zähflüssige, graue Brühe: Phosphorgips, der bei der Phosphatproduktion entsteht. Er enthält Radium, Uran, vor allem Cadmium. Radioaktiver und krebserregender Abfall, der in Gabès direkt ins Meer geleitet wird.
    Phosphatindustrie gefährdet die Gesundheit der Bevölkerung
    Längst ist bekannt, dass Tunesiens Phosphatindustrie die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet – das beweisen inzwischen auch EU-finanzierte Studien. Der Schadstoffausstoß führt zu saurem Regen, das Gift gelangt ins Grundwasser. Krankenpfleger Mondher, Mitglied der Vereinigung zum Schutz der Oase von Chatt Essalam, sieht die Folgen täglich in seiner Arbeit: Asthma, Hautkrankheiten, Krebs, Missbildungen bei Neugeborenen.
    "Die Anzahl der Todesfälle geht jedes Jahr hoch, jedes Jahr. Ein Kind, das heute geboren wird, stirbt mit vierzig oder fünfzig Jahren an Krankheiten, die früher kaum aufgetreten sind."
    Heute rächt es sich, dass der tunesische Staat lange Zeit den Umweltschutz bei der Phosphatgewinnung ausgeblendet hat. Was zählte, war allein die Produktion von Dünger für den Export.
    "Wir haben große Probleme mit der Umweltverschmutzung, da gibt es nichts zu leugnen", gibt Noureddine Trabelsi zu. Lange hat er bei den Chemiewerken die Abteilung Umweltfragen geleitet – und wenig erreicht. "Wir hatten schon vor der Revolution einen Plan gemacht, um die Fabrik zu modernisieren. Aber es fehlte auch am politischen Willen. Als wir eine Lösung gefunden hatten, hat uns die Politik kein grünes Licht gegeben, und dann wurde alles wieder verschoben.
    Kunden aus Europa nehmen jetzt Phosphaterz aus Russland
    Bis zur tunesischen Revolution vom Frühjahr 2011 hatte die Phosphatindustrie noch für ein Fünftel des Staatshaushalts gesorgt, einen beachtlichen Teil des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet - und stolze zehn Prozent der Devisen. Mittlerweile ist die Phosphatproduktion eingebrochen – das liegt an Tunesiens wirtschaftlicher Lage insgesamt, Streiks der Angestellten führen immer wieder zum Stillstand der Fabrik in Gabès. Problem ist aber auch, dass sich wichtige Kunden in Europa andere Lieferanten gesucht haben – und fündig geworden sind, etwa in Russland, wo das Phosphaterz günstiger ist und auch noch deutlich weniger giftiges Cadmium enthält als das nordafrikanische.
    Für Tunesien ist die Abhängigkeit von Phosphat vom Segen zum Fluch geworden – weil das Land damit weniger verdient und noch dazu mit dem giftigen Phosphorgips umgehen muss.
    Die Idee, ihn unterirdisch zu lagern, 25 Kilometer von der Fabrik entfernt, ist jedenfalls vom Tisch. Die Bürger eines dafür ausgesuchten Dorfes waren auf die Barrikaden gegangen – aus Angst, dass sie die nächsten Opfer der Radioaktivität werden. Die Reinigung des Abfallstoffes dürfte mehrere hundert Millionen Euro kosten – weshalb die klammen Phosphatwerke auf EU-Hilfe hoffen. Die Bevölkerung macht Druck auf die Regierung. Rached Cherif vom EU-finanzierten Programm für Umweltmanagement, PGE:
    Lange war Umweltschutz kein Thema, aber mittlerweile haben die Menschen hier erkannt, dass sie ein Recht auf saubere und gesunde Umwelt haben – und sie fordern das auch ein!
    Doch bis die Böden, das Wasser, die Luft weniger giftig sind, wird es noch lange dauern. Es vergeht Zeit, die die Menschen rund um die Oase von Gabès nicht haben.