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Umweltschutz mit Migranten

Wer eine andere Muttersprache hat als Deutsch, ist oft von den Umweltschutzthemen ausgeschlossen. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) will das ändern und hat dazu die Umweltbotschafter ins Leben gerufen: Auf dem deutsch-türkischsprachigen Umwelttag in Stuttgart präsentiert er das Projekt.

Von Thomas Wagner | 12.11.2012
    "Cevre" ist für die junge Türkin Sakine Sulu ein wichtiges Wort in ihrer Landessprache: "Cevre" heißt auf Deutsch "Umwelt".

    "Also, das Thema Umwelt ist für mich eine Gewissensfrage. Und deshalb bitte ich alle türkischstämmigen Mitbürger, dass wir hier aktiv etwas bewegen können für unsere Umwelt in Deutschland."

    Sakine Sulu ist Umweltbotschafterin in den Diensten der BUND-Ortsgruppe Stuttgart. Gemeinsam mit Gleichgesinnten denkt sie über Strategien nach, um die rund drei Millionen Türkinnen und Türken in Deutschland für die Belange des Umwelt- und Naturschutzes zu sensibilisieren. Dabei arbeitet der deutsche Ableger der türkischen Umweltorganisation Yesil Cember eng mit dem BUND zusammen. Gülcan Nitsch, Bundesgeschäftsführerin von Yesil Cember, erinnert an die jüngst gestartete Informationskampagne mit dem Ziel,

    "dass die Türken ökologisch heiraten sollen. Weil: Die Türken, die heiraten viel. Und da kommen immer 500 bis 1000 Personen. Und wird unglaublich viel konsumiert, gegessen und getrunken. Und da haben wir gesagt: O.k, wir erstellen eine Checkliste, wie man umweltfreundlich heiraten kann, das beispielsweise die Einladungskarten auf Recyclingpapier gedruckt werden. Oder dass das ganze Besteck und Geschirr kein Plastik ist. Und es ist teilweise so, wenn man auf türkischen Hochzeiten ist, wie viel Plastik Geschirr und Besteck da verwendet wird. Das ist Wahnsinn, wenn man sieht, wie viele Ressourcen da verwendet werden. Das heißt: Mit unserer kulturspezifischen Ansprache können wir in einer kurzen Zeit viel bewirken."

    'Kulturspezifische Ansprache' – das ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort: Um Hochzeitspaare beispielsweise zur Verwendung von Mehrweggeschirr zu überreden, bedarf es der Überzeugungsarbeit auf Türkisch von Türken.

    "Die Türken sind am Anfang ziemlich verschlossen und sagen: Naja, die deutschen Verbände – ich kenn die doch nicht. Deswegen ist es immer wichtig, dass es türkischstämmige Personen sind. Das heißt: Die Multiplikatoren müssen aus der Community selbst stammen. Und die vermitteln dann zwischen den deutschen Akteuren und den türkischsprachigen. Das heißt: Die übersetzen das Ganze. Und das betrifft nicht nur die Sprache."

    Sondern eben auch kulturspezifische Eigenheiten. Deshalb bildet der BUND türkischsprachige Umweltbotschafter als Multiplikatoren aus. Den Anfang machte vor sechs Jahren der Landesverband Berlin, danach folgten fünf weitere Bundesländer, darunter auch Baden-Württemberg. Und Beispiele dafür, wo solche türkischsprachigen Multiplikatoren nachhaltige Aufklärungsarbeit leisten, gibt es in Hülle und Fülle. Gülcan Nitsch, Geschäftsführerin des türkischen Umweltverbandes Yesil Cember:

    "Ein anderes Beispiel sind die chlorhaltigen Reinigungsmittel. Die türkischen Frauen sind Putzfetischistinnen, ganz schlimm. In der türkischen Community ist das so, dass 99 Prozent der türkischen Frauen die chlorhaltigen, giftigen Reinigungsmittel benutzen. Und in Berlin haben in den letzten Jahren Tee-Parties stattgefunden, wo sich die türkischen Frauen gegenseitig versprechen: Okay, ich werde nie wieder diese giftigen Reinigungsmittel kaufen."

    Ergänzend zur Arbeit der Umweltbotschafter hat der BUND-Landesverband Baden-Württemberg eine Fülle von Informationsmaterialien herausgegeben – in allen geläufigen Migrationssprachen. Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender:

    "Unser Umweltzentrum in Heidelberg hat Informationsmaterialien über den umweltfreundlichen Friseur, fürs umweltfreundliche Einkaufen, fürs Energiesparen in mittlerweile acht verschiedenen Sprachen Materialien entwickelt. Und zunehmend kommen Kinder mit türkischsprachigem Hintergrund in unsere Umweltkindergruppen."

    Das hängt möglicherweise mit der Aktion Umweltdetektive der BUND-Ortsgruppe Mannheim zusammen – die Einladung zu einem Stadt-Such-Spiel,

    "speziell für türkischsprachige Kinder entwickelt. Und geht dann mit diesen Kindern auf die Natursuche in Mannheim und bringt dann diesen Kindern Naturschutz nahe."

    Gerade die Arbeit mit Migrationskindern zahle sich besonders gut aus, hat die baden-württembergische BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender beobachtet:

    "Das sind diejenigen, die dann nach Hause gehen und sagen: Mama, warum laufen die Geräte auf 'Standby'. Mama, warum läuft das Wasser, während du Zähne putzt. Oder warum schaltest du nicht das Licht aus, wenn du gar nicht mehr in der Küche bist. Das sind die wunderbarsten Multiplikatoren."

    Werden gerade türkischstämmige Mitbürger über ihre Kinder, aber auch über die Umweltbotschafter auf die Belange des Natur- und Umweltschutzes aufmerksam gemacht, haben sie nach der Beobachtung des BUND zunehmend Spaß daran, solchen 'Ökoratschlägen' zu folgen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass gerade in den zurückliegenden Jahren auch in der Türkei selbst das Bewusstsein für Umwelt- und Naturschutz deutlich geschärft wurde, beobachtet Sakine Sulu vom BUND in Stuttgart:

    "Vor allem in der Türkei habe ich gesehen, dass die Leute sehr, sehr viel bewegen. Sie machen Demos für Tierschutz und Umweltschutz. Da wird wirklich sehr viel gemacht."