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Umweltverschmutzung
Wie kommt Wachs ins Meer?

Wer am Strand spazieren geht, findet oft die herrlichsten Dinge: Bunt schillerndes Perlmutt, glatt geschliffene Steine oder eine Flaschenpost. Doch auch weniger schöne Funde sind immer häufiger dabei: Plastik, alte Fischernetze oder diese bröckeligen, gelblich-weißen Klumpen, von denen es einige bis in das Labor des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie – kurz BSH – geschafft haben.

Von Tomma Schröder | 07.03.2016
    Unzählige Plastiktüten und kleine Fläschchen liegen im Sülldorfer Labor des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie, kurz BSH. Der Inhalt ist stets der gleiche: Schmutzig gelb verfärbte Wachsstückchen. Einige in der Größe eines Stecknadelkopfes, andere vom Format eines Handballs. Die Umweltchemikerin Uta Kraus vom BSH sichtet die Proben.
    "Das sind Strandfunde, die werden von unseren Projektpartnern an der Nordseeküste eingesammelt und dann zu uns geschickt."
    Doch wie kommt das Wachs, auch Paraffin genannt, an die Strände von Nord- und Ostsee?
    "Paraffin ist durchaus ein Massengut, was auch in Tankern transportiert wird. Das ist nicht nur das Kerzenwachs. Aufgereinigtes Paraffin wird auch zum Beispiel für Pharmazeutika oder für Kosmetika in großem Rahmen eingesetzt."
    Hat etwa ein Tanker sein Paraffin oder auch ein anderes Erdölprodukt im Hamburger Hafen gelöscht, bleibt an den Wänden der Tanks oft eine dünne Schicht Paraffin kleben. Nach einer groben Vorreinigung im Hafen, dürfen die Schiffe diese Tanks außerhalb der 12- Seemeilenzone ganz legal spülen. Wenn Wind und Wellen es wollen, findet sich das Ergebnis dieser Spülungen schließlich an den Stränden wieder. So wie vor knapp zwei Jahren an der Sylter Küste: Dort mussten innerhalb von fünf Tagen 73 Kubikmeter Paraffin eingesammelt werden – also gut 600 Mülltonnen voll. Für Uta Kraus mehr als ein rein ästhetisches Problem.
    "Es ist jetzt in der Diskussion, ob die Regeln erweitert werden sollen. In der letzten Zeit wurde festgestellt, dass Paraffin bei Vögeln oder bei Fischen mit Nahrung verwechselt wird, und dann tritt ein Effekt auf, den wir vom Plastikmüll kennen, dass die Tiere kein Hungergefühl entwickeln, weil der Magen sprichwörtlich voll ist mit Paraffin, und dann besteht die Möglichkeit, dass die Tiere bei vollem Magen verhungern."
    Wie viel Paraffin in die Nord- und Ostsee gespült wird, dazu gibt es derzeit aber nicht einmal Schätzungen. Um überhaupt eine Idee davon zu bekommen, was im offenen Meer treibt, hat das BSH Schleppnetzversuche auf der Nordsee gemacht. Bei 24 von 33 davon gingen Paraffinteilchen ins Netz.
    "Die Probe ist schon injiziert, das war dieser ganz kurze Schlag, und jetzt spült er die Spritze für die nächste Probe durch."
    Im Sülldorfer Labor werden diese Proben und die per Post eingesandten Strandfunde schließlich im Gaschromatografen analysiert. 3500 sind es an der Zahl.
    "Die Probe wird thermisch getrennt, das heißt die ersten Stoffe, die sich von der Trennphase lösen, sind die leicht flüchtigen, die auf Hitze reagieren. Deswegen findet man die vorne im Chromatogramm. Und je weiter nach hinter man kommt, desto höheren Siedepunkt haben sie einfach."
    Uta Kraus zeigt auf ein Diagramm mit vielen Säulen, die zur Mitte hin ansteigen und dann wieder abfallen. Viele dieser Diagramme haben die Umweltwissenschaftler vom BSH bereits erstellt und gesammelt. Nun beginnt die Detektivarbeit und das Spurenlesen. Denn ähnlich wie es das für Ölrückstände bereits gibt, hoffen die Forscher irgendwann einmal eine Art Fingerabdruck der einzelnen Paraffinproben ermitteln zu können. Mit solchen Informationen, Angaben zum Fundort und Driftmodellen könnten sie dann in der Lage sein, das Puzzle zusammenzusetzen und die Verursacher von Paraffinverschmutzungen zu ermitteln.
    "Verursacherermittlung klingt so gefährlich, aber wir reden hier von etwas, was aktuell legal ist! Aber auch aufgrund von den Ergebnissen zum Beispiel aus unserem Projekt ist das Thema Paraffin jetzt aktuell gerade auf der Tagesordnung des IMO-Subkomitees "Pollution, Prevention and Response"."
    Ob es durch den Umweltausschuss der IMO, der Internationale Meeresbehörde, zu einer Neuregelung der bisher legalen Paraffineinleitungen kommt, ist aber noch unklar. Deutschland und einige andere europäische Ländern setzen sich zwar dafür ein. Mit Ergebnissen, meint Uta Kraus, sei aber erst in ein paar Jahren zu rechnen. Bis dahin werden sicher noch viele weitere Strandfunde in der Paraffin-Post des BSH landen.