Dienstag, 16. April 2024

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UN-Biodiversitätskonferenz
"Die Natur muss erhalten werden"

Im mexikanischen Cancun findet derzeit die große UN-Konferenz zum Schutz der Artenvielfalt, der Biodiversität, statt. Ziel ist es, Lösungen zu finden, um das weltweite Artensterben zu stoppen. Sebastian Tilch, Pressesprecher des Netzwerkforums zur Biodiversitätsforschung Deutschland, sagte im DLF der Klimawandel sei einer der wesentlichen Faktoren für den rapiden Schwund der Ökosysteme.

Sebastian Tilch im Gespräch mit Jule Reimer | 12.12.2016
    Aufnahmen des Great Barrier Reefs in Australien.
    Ein Ziel ist es, den rapiden Schwund der Korallenriffe zu stoppen. (dpa / picture alliance / EPA / XL CATLIN SEAVIEW SURVEY AUSTRALIA )
    Jule Reimer: Im mexikanischen Cancun geht die große UN-Konferenz zum Schutz der Artenvielfalt, der Biodiversität jetzt in die zweite Woche. Analog zur UN-Klimakonferenz sollen hier weltweite Lösungen gesucht werden, um dem weltweiten Artensterben etwas entgegenzusetzen.
    Am Telefon in Leipzig ist Sebastian Tilch, Pressesprecher des Netzwerkforums zur Biodiversitätsforschung Deutschland, einem Wissenschaftlerverbund, dessen Mitglieder auch zum Teil in Cancun dabei sind. Herr Tilch, erst mal ganz kurz anschließend an das Gespräch von eben: Wie stark setzt denn der Klimawandel bedrohten Arten zu? Haben Sie da Beispiele?
    Sebastian Tilch: Hallo erst mal. - Ein Thema, was auch auf der Agenda bei dieser Konferenz, die Sie gerade erwähnt haben, steht, sind die Korallenriffe und die Konvention zur Biodiversität der UN hat sich ein Ziel gesetzt, eigentlich bis 2015 den rapiden Schwund dieser Ökosysteme der Korallenriffe zu stoppen.
    Und da ist der Klimawandel einer der wesentlichen Faktoren, nämlich durch Ozeanversauerung und auch Erwärmung der Ozeane wird dieses empfindliche Ökosystem stark gestört und da sehen wir gerade den schnellsten Schwund von Ökosystemen überhaupt. - Das wäre jetzt ein Beispiel.
    "Der allererste Bericht dieses relativ neuen Gremium"
    Reimer: Die Konferenz hat auch in Sachen Schutz, oder sagen wir mal in Ansätzen für weiteren Schutz Erfolge zu vermelden. Die Konferenzteilnehmer, die UN-Staaten haben eine Empfehlung des Welt-Biodiversitätsrates, ein ähnliches Wissenschaftlerforum wie der Weltklimarat, angenommen, um Bienen oder Bestäuber besser zu schützen. Wie sieht das aus?
    Tilch: Genau. Das ist bis heute der allererste Bericht dieses relativ neuen Gremiums. Während der Weltklimarat ja 1988, wie wir gerade gehört haben, gegründet wurde, wurde der Welt-Biodiversitätsrat erst vor vier Jahren gegründet, und er hat jetzt relativ neu Anfang des Jahres seinen ersten Bericht herausgebracht, um zu zeigen, wie wichtig die Rolle der Bestäuber, vor allem Insekten bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt, aber auch der von uns genutzten Services oder Dienstleistungen ist, die die Natur bringt, und zwar Bestäubung. Bestäubung hat einen sehr großen ökonomischen Wert.
    Es gab ja mal Zahlen dazu, die berechnet haben, dass bis zu 500 Milliarden US-Dollar jährlich durch die Bestäubung von Nutzpflanzen der Gegenwert davon ist, und der Welt-Biodiversitätsrat hat dazu jetzt Empfehlungen und überhaupt erst mal eine Feststellung zusammengeschrieben und aufgrund wissenschaftlicher Veröffentlichungen den Wissensstand zusammengetragen zu Bestäubung, wie wichtig das ist, und auch diese ökonomischen Werte zusammengetragen und davon abgeleitet, dass zum Beispiel wir weg sollten von den großen Agrarflächen, die keine Struktur mehr bieten, weil es einfach keine Lebensräume mehr gibt für Bestäuber wie zum Beispiel Hecken, Randstreifen und so weiter.
    Reimer: Das heißt, es gibt grundsätzlich Empfehlungen, dass sich in der Landwirtschaft was ändern muss. Gibt es noch mehr Ansatzpunkte im Bereich Landwirtschaft?
    Tilch: Im Bereich Landwirtschaft? - Es gibt natürlich grundsätzlich schon mal das Problem, dass die Subventionspolitik jetzt genau das Gegenteil von diesen kleinstrukturierten landwirtschaftlichen Betrieben fördert. Vor allem groß und flächenbezogen ist ja unsere EU-Agrarsubvention ausgerichtet. Da wäre einer der notwendigen Schritte, natürlich entsprechende politische Rahmenbedingungen zu bilden, die diese biodiversitätsfreundlicheren Strukturen schaffen.
    "Jede Art hat ihre Daseinsberechtigung"
    Reimer: Könnten Sie was zu einem Aspekt sagen, der hier gerade viele auch Biobauern beschäftigt, nämlich Biodiversität, Artenvielfalt heißt Erhalt auch von Wildnis. Der Wolf ist zurück und viele, die gerade die freie Weidehaltung hier praktizieren, sagen, die Wölfe reißen uns die Tiere weg, mit dieser Art von Wildnis, da kommen wir hier gar nicht weiter. Warum macht der Wolf Sinn, oder warum könnte man vielleicht auf ihn verzichten?
    Tilch: Das ist natürlich schon fast eine philosophische Frage. Grundsätzlich wird ja Artenschutz betrieben zum einen aufgrund mit der Begründung, jede Art hat ihre Daseinsberechtigung, allein weil es sie gibt. Das ist letztendlich eine Begründung, die Natur muss erhalten werden, wir sind ein Teil davon.
    Zum anderen aber natürlich auch aus der anthropozentrischen Sichtweise, was bringt uns das an Nutzen, und da gibt es durchaus Untersuchungen dazu, die zeigen, dass solche großen Raubtiere auf Ökosysteme einen wichtigen Effekt haben, allein dadurch, dass sie anwesend sind und Angst erzeugen bei ihrer Beute, bei ihren Beutetieren, in dem Fall wären das ja Rehe und so weiter, und dadurch die Reproduktionsraten nicht so hoch sind und entsprechend dann auch wiederum der Schaden an der Pflanzenwelt durch diese Tiere dann auch reduziert wird.
    Reimer: Also doch gute Gründe für den Wolf - das war Sebastian Tilch, Pressesprecher des Netzwerkforums zur Biodiversitätsforschung in Deutschland, und er berichtete über die Konferenz in Cancun. Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.