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UN-Migrationsbehörde IOM
Kritik an Reintegrationsprojekt in Gambia

Die Internationale Organisation für Migration soll Geflüchtete aus libyschen Gefängnissen in ihre Heimatländer zurückbringen und ihnen beim Neuanfang helfen. Geld für das Budget von insgesamt 140 Millionen Euro kommt auch von der EU. In Gambia fragen sich Betroffene, wohin das Geld eigentlich fließt.

Von Julia Amberger | 23.03.2019
Ibrahim Sorry aus Gambia sitzt im November 2017 in einem Transitzentrum der Internationalen Organisation für Migration in Agadez (Niger). Er wartet dort auf seine Rückführung nach Gambia.
Die Rückkehr in ihre Heimat ist für Geflüchtete aus Gambia, die in Gefängnissen landeten, oft ein langer und schwieriger Weg (picture alliance / Kristin Palitza)
Ein kleines Radio-Studio mitten in Gambias Hauptstadt Banjul. Moustapha Sallah, 27 Jahre, ein konzentrierter Mann mit ironischem Lächeln, grüßt die Zuhörer der Sendung. 2016 versuchte er, mithilfe von Schleppern nach Europa zu gelangen – und wurde stattdessen in Libyen inhaftiert, gedemütigt und geschlagen. Deshalb gründete Sallah die Organisation "Youth Against Illegal Migration", YAIM. Und warnt die jungen Leute im Land in seiner wöchentlichen Radioshow vor der Flucht.
"In Libyen gibt es so viele Milizen, die gegeneinander kämpfen. Je mehr Migranten eine hat, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt sie vom Rest der Welt, weil die EU mit ihnen arbeiten will. Die EU will, dass die Migranten in Sicherheit sind, Essen und Kleidung bekommen. So machen die Milizen mit Geflüchteten Geld, durch all die Gelder von der EU. Davon kommt aber nichts bei den Migranten an."
IOM-Büro in Banjul mit Steinen beworfen
Deutschland und die EU haben die Internationale Organisation für Migration IOM engagiert, um Migranten in Not die Möglichkeit zu geben, in ihre Heimat zurückzukehren und sich dort zu reintegrieren. Vor zwei Jahren brachte die IOM auch Moustapha per Charterflug zurück nach Gambia.
"Als wir am Flughafen ankamen, waren wir enttäuscht. Kein einziger Beamter war da, um uns zu empfangen. Es gab kein Essen, obwohl wir mehr als vier Stunden dort verbrachten. Keinen Transport in die Stadt, und der Flughafen liegt weit außerhalb. Es gab auch keine medizinische Hilfe, obwohl wir vier Monate lang im Gefängnis allen möglichen Krankheiten und Misshandlungen ausgesetzt waren. Und wir wurden nicht einmal durchgecheckt."
Schild an der Grenze zwischen dem Senegal und Gambia
Geflüchtete Rückkehrer sehen sich von der UN-Migrationsbehörde vor Ort in Gambia im Stich gelassen (imago / Friedrich Stark)
Aus Wut bewarfen die Rückkehrer das IOM-Büro in Banjul mit Steinen. Durch den Aufruhr fürchteten viele Menschen der Stadt plötzlich um ihre Sicherheit – und die Hotelbetreiber um ihre Gäste. Wie Badara Jobe, die mit ihrem Mann das Sand Beach Hotel leitet, eine Ansammlung von Bungalows direkt an einem weitläufigen Strand.
"Als wir hörten, dass unsere Leute zurückkommen, haben unsere Hotelköche für sie gekocht. Wir haben Willkommenspakete geschnürt, mit Essen, einer SIM-Karte und Wasser. Wir haben sie am Flughafen empfangen, um sie zu beruhigen und ihnen zu zeigen: Wir sind hier, um euch zu unterstützen. Dabei traf Max, mein Mann, Leute von einer Organisation, die sich IOM nennt. Die haben uns gefragt: Was wollt ihr denn hier."
Die IOM schickte ihren Mann einfach weg, erzählt Jobe. Daraufhin registrierten die beiden Unternehmer den Verein HOPE. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die jungen Leute in ihrem Hotel und Cashewnuss-Geschäft auszubilden. Und organisierten eine Konferenz für 500 Rückkehrer, gemeinsam mit der IOM. Die zahlte am Ende aber nur für Polizeischutz.
"Wir haben der IOM die Rechnung gegeben, aber die war ihr zu hoch, wir haben das Budget reduziert, dreimal, aber es war immer noch zu hoch. Die IOM bekommt Geld von der EU, da werden wohl 5.000 Euro kein Problem sein. Wenn man mal bedenkt, wie viel allein die Flüge für ihre Mitarbeiter kosten."
Einzelheiten des Vertrags mit der EU bleiben geheim
3,9 Millionen Euro stehen der IOM für das Reintegrations-Projekt in Gambia zur Verfügung. Wie viel davon sie für ihre 55 Mitarbeiter ausgibt - und wie viel tatsächlich die Rückkehrer bekommen, bleibt laut dem Vertrag mit der EU geheim.
Stacheldraht windet sich über die Mauern um das IOM-Büro in Banjul, das Gebäude ist umstellt von Wachleuten. Der Sprecher ist ganz neu im Amt. Nervös liest er von Blättern ab, was die IOM in Gambia macht.
"Unser Büro ist sehr klein. Wir wollten 1.500 Menschen aus Libyen zurückbringen, aber am Ende waren es viel mehr. Das sprengte die Kapazitäten unseres Büros. Viele Mitarbeiter wurden erst kürzlich angestellt, um all die aufgelaufenen Anträge und Aufgaben abzuarbeiten."
Immerhin steuert die IOM endlich Rückkehrern, die sich selbstständig machen, die bereits im Gefängnis in Libyen versprochenen 1.000 Euro für Nähmaschinen oder ein Taxi bei.
"Wir haben uns selbst reintegriert"
In einem Klassenzimmer am Stadtrand von Banjul bespricht deshalb Moustapha Sallah mit 15 Rückkehrern ihre Geschäftsideen und erklärt ihnen, wie sie an die Gelder kommen. Er begrüßt die Starthilfe, aber:
"Die meisten bekommen ihre Pakete jetzt erst, über ein Jahr nach ihrer Rückkehr. Und müssen noch Schulden abbezahlen, ihre Familie unterstützen, ihre Frau und ihre Kinder. Deshalb verkaufen viele die Geräte, die ihnen die IOM finanziert, einfach weiter. Nur wenige eröffnen tatsächlich ein eigenes Geschäft."
Moustapha und die Leute vom Verein YAIM hingegen haben sich hohe Ziele gesteckt. Sie vermitteln sich gegenseitig Ausbildungsplätze – und motivieren auch ihre Geschwister, ihre Freunde und die Zuhörer ihrer Radioshow. Die, die einst alles aufgaben, sind die, die heute am meisten für ihr Land kämpfen, sagt Moustapha.
"Als wir zurückgebracht wurden, wurden wir als Verlierer stigmatisiert. Aber jetzt ziehen wir mit einem Soundsystem durch ganz Gambia und warnen die Menschen, sich auf den Weg nach Libyen zu machen, legen Musik auf und zeigen Filme. Wir haben uns selbst reintegriert – mental, physisch, in jederlei Hinsicht. Und es hat geklappt und bald werden wir Vorbilder sein in diesem Land. Und in ganz Afrika."