
"Wir erleben jetzt eine Situation, in der Mitgliedsstaaten, die sich für den UN-Sicherheitsrat bewerben, kleine Geschenke-Tüten verteilen. Sie wollen mit anderen UN-Vertretern ins Gespräch kommen. Ich finde, das ist auch sehr wichtig. Staaten fühlen sich mehr verpflichtet, auf andere zuzugehen. Sie erklären: Wir bewerben uns um den Sicherheitsrat. Wir stehen für bestimmte Themen. Und deshalb sollten Sie uns wählen." Simon Adams ist UN-Experte und leitet das sogenannte "Global Centre for the Responsibility to Protect", angesiedelt an der New Yorker CUNY-Universität.

Neben den mächtigen fünf sitzen zehn weitere Länder am Rund des Tisches - jeweils für zwei Jahre, gewählt von der UN-Generalversammlung aus Ländergruppen, etwa der Westeuropas. Das sind die so genannten nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Sie brauchen mindestens eine Zwei-Drittel-Zustimmung der Generalversammlung. Bei der Wahl am 8. Juni will Deutschland sich erneut einen solchen nichtständigen Sitz sichern - diesmal für die Jahre 2019 und 2020.
"Es gab eine lange Zeit in der UN-Geschichte, in der man ein Werben als fast schon unpassend empfunden hat. Stattdessen gab es ein paar diplomatische Noten. Briefwechsel. Händeschütteln. Und das war es dann auch schon."
"Ich freue mich heute, hier in New York bei den Vereinten Nationen zu sein, so kurz nach meinem Amtsantritt. Wir leben in einer Zeit, in der es sehr viele Konflikte auf der Welt gibt. Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr Vereinte Nationen brauchen und nicht weniger – wie das einige glauben. Und das wollen wir heute auch mit diesem frühen Besuch deutlich machen: Wir übernehmen Verantwortung und wollen auch in Zukunft Verantwortung übernehmen. Und das machen wir deutlich, in dem wir für 2019, 2020 erneut für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat kandidieren."

"Hier trifft sich die Welt. Dass Deutschland dort dabei ist – auch bei unserer ganz speziellen Vergangenheit – und dass wir hier sehr, sehr freundlich aufgenommen werden und es sehr, sehr viel Vertrauen gegenüber uns gibt, ist schon wahrzunehmen. Und davon wollen wir auch etwas zurückgeben."
Krisen vorzubeugen, statt Feuerwehr spielen zu müssen. Wenn es dann aber doch so weit kommt: Dann bitte besser ausgebildete und ausgerüstete Blauhelme. Kampf dem Klimawandel. Deutsche Vernunft in den Zeiten von Fake-News. Und eine Reform des Sicherheitsrates wie der schwerfälligen Vereinten Nationen insgesamt - das sind einige Themen, für die der deutsche Außenminister wirbt.
"Ich freue mich auch, nachher mit UN-Generalsekretär Guterres sprechen zu können. Er hat eine große Reformagenda für die Vereinten Nationen. Das ist auch nötig und wir unterstützen ihn in seinen Reformbemühungen."
Bei diesem ersten UN-Besuch des neuen deutschen Außenministers spricht alles noch dafür, dass es Anfang Juni in der Generalsversammlung zu einer echten Kampfabstimmung kommen wird - zumal zu einer besonders heiklen. Denn neben Deutschland bewirbt sich nicht nur Belgien um lediglich zwei Sitze, sondern auch noch Israel. Alle drei kommen aus der Regionalgruppe der West-Europäischen und anderen Staaten. Zu diesen ‚anderen‘ gehört Israel. Erst im Jahr 2.000 dort aufgenommen, nachdem arabische Staaten die Mitgliedschaft in der eigentlich geografisch richtigen Gruppe verweigert hatten.
"Ich habe mir das natürlich auch angeschaut und nachgefragt, wo eine solche Vereinbarung herkommen kann? Das ist nirgendwo zu eruieren gewesen."
Keine anderthalb Monate später ist eine Kampfabstimmung vom Tisch. Bei einer Vorstellungsrunde mit den Bewerbern sind es auf einmal nur noch zwei: Deutschland und Belgien.
"Es ist mir ein Vergnügen und eine Ehre, die UN-Botschafter kurz vorzustellen. Unmittelbar links von mir: Botschafter Heusgen aus Deutschland. Weiter rechts: Marc Pecsteen aus Belgien, UN-Botschafter seit 2016."
Nur Minuten, bevor die UN-Botschafter der eigentlich drei Länder sich vorstellen sollten, hat Israel Anfang Mai seine Kandidatur zurückgezogen. Gründe aber nennt das Land dafür nicht. Die geringen Aussichten auf einen Wahlerfolg in der Generalversammlung könnten dazu gehören. In einer schriftlichen Erklärung heißt es lediglich, die Entscheidung sei gefallen nach "Konsultationen mit unseren Partnern, darunter unseren guten Freunden".
"Es gab vorher Gerüchte, dass Israel sich zurückziehen würde. Aber das es jetzt heute kam, war überraschend. Wir respektieren natürlich den Schritt Israels, nicht zu kandidieren. In gewissem Sinne bedauere ich das. Deutschland hat es jetzt auf jeden Fall einfacher, gewählt zu werden. Eins ist sicher für uns: Deutschland und Israel sind sehr eng miteinander verbunden. Wenn wir dann gewählt werden in den Sicherheitsrat, werden wir auch sicher die Interessen Israels verteidigen."
Zuletzt war Deutschland in den Jahren 2011 und 2012 im Sicherheitsrat vertreten. Außenminister damals: Guido Westerwelle. UN-Botschafter: Peter Wittig. Viel ist in diesen zwei Jahren im mächtigsten UN-Gremium verhandelt worden. In seinem Bericht vom Dezember 2012 erinnert Westerwelle an den Arabischen Frühling, den Beginn des Syrien-Krieges, an die Gründung des Südsudans, ein Land, das heute in Bürgerkriegswirren unterzugehen droht.
Ergebnis: Zehn Ja-Stimmen. Keine Nein-Stimme. Fünf Enthaltungen. Darunter die üblichen Verdächtigen wie Russland und China. Darunter aber auch Deutschland. Zwar ist die Resolution für eine Flugverbotszone in Libyen "zum Schutz der Bevölkerung" damit dennoch verabschiedet, der deutsche Außenminister Westerwelle jedoch in Erklärungsnot.
"Es gibt Teile in dieser Resolution, weite Teile, die wir nachdrücklich unterstützen. Wir unterstützen die erhebliche Verschärfung der Sanktionen gegen das Regime von Oberst Gaddafi. Wir sind aber in der Abwägung auch der Risiken zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns mit deutschen Soldaten an einem Krieg, an einem militärischen Einsatz in Libyen nicht beteiligen werden. Und deswegen hat sich Deutschland bei der Abstimmung auch enthalten."
Ruprecht Polenz, damals leitet er den Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, warnt, dass Deutschland isoliert werden könnte. Und der frühere CDU-Generalsekretär Geißler wirft Westerwelle gar vor, er habe Deutschland - Zitat - "in die Kumpanei mit Russland und China und in die Isolation gegenüber den arabischen Staaten und unseren westlichen Verbündeten geführt".
Auch er werde immer wieder - zumal in Deutschland - auf diese Enthaltung angesprochen, sagt der UN-Experte Simon Adams von der New Yorker CUNY-Universität. Er versteht die Aufregung von damals, teilt sie aber nicht.
"Wir waren damals zwar sehr enttäuscht. Aber es war nur eine Abstimmung. Schauen wir uns Deutschlands Arbeit im Sicherheitsrat allein im Jahr 2011 an: Sie hatten mit der Krise an der Elfenbeinküste zu tun. In Libyen. In Syrien. In allen drei Fällen stand Deutschland grundsätzlich auf der richtigen Seite der Geschichte. Mit klaren Vorstellungen von Menschenrechten. Und wie die internationale Gemeinschaft Völker schützen muss. Sollten sie wiedergewählt werden, werden sie hoffentlich genauso wieder handeln."

"Nicht ständige Mitglieder können viel bewirken. Denken Sie an den Völkermord in Ruanda von 1994. Da war ein gewähltes Mitglied, Neuseeland nämlich, ein winziges Land im Südpazifik, das zufällig gerade den Vorsitz im Sicherheitsrat innehatte. Und es war Neuseeland, das die Alarmglocken geläutet hat, das die ständigen Mitglieder zum Handeln gedrängt hat."
Am 24. April ist Heiko Maas zum zweiten Mal in New York, zum zweiten Mal bei den Vereinten Nationen. Auch er verteidigt im ARD-Interview die Bedeutung des weniger bedeutenden nichtständigen Sitzes.
"Wir können dort Themen setzen und wir haben es auch deutlich gemacht im Rahmen unserer Kandidatur, dass Krisenprävention, dass Friedenssicherung, dass Stabilisierung für uns ganz wichtige Themen sind. Aber auch, dass wir auch Themen wie die universelle Geltung der Menschenrechte und auch den Klimawandel, der auch immer mehr eine Sicherheitsfrage wird für viele Länder und Regionen – auch das wollen wir auf die Tagesordnung setzen. Also wir können die Themen mitbestimmen. Und wir können sicherlich auch die Diskussionen, die dort geführt werden, mitbestimmen. Und das haben wir uns fest vorgenommen."
Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen jedenfalls ist das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder eines der vielen UN-Themen, das als dringend reformbedürftig gilt. Beispiel: der Syrienkrieg. Schon zwölf Mal hat Russland im Sicherheitsrat sein Veto eingesetzt: Gegen die Untersuchung von Giftgasattacken. Gegen Sanktionen gegen seinen Verbündeten Assad. Gegen einen Waffenstillstand in Aleppo. Der Sicherheitsrat blockiert. Der Syrienkrieg schreitet fort. Das Veto als Waffe.
"Wenn davon gebraucht gemacht wird von anderen Staaten, das ist deren Recht. Das hat auch durchaus seinen Sinn. Es sollte aber nicht dazu führen, dass permanent bei wichtigen Themen das Veto eingelegt wird. Das werden wir uns mal genauer anschauen. Letztlich geht es aber auch um die Zukunft multilateraler Organisationen wie der Vereinten Nation. Denn wenn sie dauerhaft handlungsunfähig gemacht werden, in welchem Gremium auch immer, dann wird eine solche Organisation nicht funktionieren."
Reformvorschläge gibt es viele. Einer lautet: das Vetorecht bei Gräueltaten auszusetzen. Ein anderer: Es auf bestimmte Themen zu begrenzen. Ein dritter: Es ganz aufzuheben. Aber dafür bräuchte es zunächst eine zwei Drittel Mehrheit in der UN-Generalversammlung und dann, man ahnt es, die Zustimmung im Sicherheitsrat. Wer das Vetorecht abschaffen wollte, der könnte das nur mit Zustimmung der Veto-Länder. Ein Teufelskreis. So sieht es auch UN-Experte Simon Adams. Und ist dennoch zuversichtlich. So sei es an Experten und Lobbyisten für eine machtvolle UN wie ihn selbst, Simon Adams, ihren Einfluss geltend zu machen. Die Veränderung werde kommen. Wann sie aber komme? So gefragt lacht Adams nur. Leider werde das wohl noch dauern.
"Ich habe Kinder. Und ich glaube, dass wir weiterhin irgendwie die Welt so sicher halten müssen, wie es geht."
Das erste Spiel: Europa spielt mit Lothar Matthäus und - zumindest zeitweise - mit dem deutschen UN-Botschafter Christoph Heusgen im Tor gegen den asiatisch-pazifischen Raum mit Wynton Rufer. Stimmen nach dem Spiel: Da ist Lothar Matthäus, der seine Schwalbe schön redet.
"Das war mindestens eine gelbe Karte. So ein Foul darf man nicht machen."
Und da ist Botschafter Heusgen, der sich im Tor dann doch nicht so richtig wohl gefühlt hat.
"Ja, man war schon nervös. Wynton Rufer vor einem, da schlackert es einem schon ganz schön in der Hose."
Großer Spaß auf dem UN-Rasen. Aber was hat all das mit Wahlkampf zu tun?
"Wir haben im Rahmen unserer Kampagne für den Sicherheitsrat natürlich sehr viel gesetzt auf unsere Positionen. Aber dann gehört es hier bei den Vereinten Nationen auch dazu, dass man ein bisschen was zeigt. Und ich glaube, Deutschland wird seit der Weltmeisterschaft 2006 auch ein bisschen damit identifiziert, dass wir auch locker sind, dass wir auch Ereignisse organisieren können, die nicht so ernst sind."

"Bei Sicherheitsrats-Bewerbungen – jeder Staat hat ein gewisses Budget. Und was wir machen hält sich im Rahmen dessen, was auch von anderen Staaten gemacht wird."
Am Ende gewinnt Afrika das Mini-Turnier. Und Lothar Matthäus freut sich auf eine deutsche Stimme im Sicherheitsrat.
"Ich glaube, dass Deutschland großen Respekt in aller Welt sich geschaffen hat. Und deshalb ist es auch wichtig, dass ein Deutscher in so einem Gremium vertreten ist."