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Unabhängigkeit Schottlands
Raus aus Großbritannien und rein in die EU?

Die klare Mehrheit der Schotten möchte Teil der EU bleiben, der Brexit hat daher die Debatte um die schottische Unabhängigkeit befeuert. Eine knappe Mehrheit ist momentan dafür, und die Schottische Nationalpartei will dieses Momentum nutzen. Doch kann so der Verbleib in der EU gelingen?

Von Burkhard Birke | 08.03.2020
Die schottischen Flagge und die Fahne der EU flattern zusammen im Wind
Die EU ist in Schottland momentan beliebter als das Vereinigte Königreich (picture alliance / empics / Jane Barlow)
Hunderte Menschen haben sich am Abend des 31. Januar, des Brexit, in Edinburgh vor Holyrood eingefunden. Am Sitz des schottischen Parlamentes schwenken sie schottische Nationalfahnen – weißes Andreaskreuz auf blauem Grund – und die Europafahne, die laut Beschluss des schottischen Parlamentes auch künftig über Holyrood, dem Parlamentsgebäude wehen darf. Trauer, Trotz und Hoffnung kennzeichnen die Stimmung an diesem verregneten Abend. Einige haben Kerzen angezündet.
"Lasst das Licht im Europaparlament für uns an. Wir wollen dorthin zurückkehren. Fast zwei Drittel der Menschen in Schottland haben für den Verbleib in der EU gestimmt, aber unsere Stimmen wurden überhört. Alle Vorschläge des schottischen Parlaments hat das britische Unterhaus einfach ignoriert."
"Westminster entscheidet gegen unsere Interessen, und wir müssen es ausbaden!" Immer häufiger führen Unabhängigkeitsbefürworter dieses Argument ins Feld. Von der konservativen Regierung unter Premierminister Boris Johnson in London erwarten sie nichts, zumal diese seit der vergangenen Wahl im Dezember mit satter Mehrheit regiert: Mit 43,6 Prozent Stimmenanteil errangen die Tories aufgrund des Mehrheitswahlrechtes eine Mehrheit von 80 Sitzen im britischen Unterhaus.
"Da die britische Regierung überhaupt keine Anstalten macht, mit Schottland, Nordirland oder Wales zu verhandeln, und somit Verhandlungen oder ein Kompromiss unmöglich erscheinen, bleibt nur der Weg in die Unabhängigkeit. Das ist es! Unsere Zukunft liegt in Europa."
In diesen Tagen trifft man nur wenige Menschen im nördlichsten Teil des Vereinigten Königreichs, die sich über das Ausscheiden aus der EU freuen. Ob die Unabhängigkeit der richtige Weg ist, die Entscheidung für die Schotten wieder rückgängig zu machen, bezweifeln aber dennoch viele. Pam Nash hat wie 62 Prozent der Schotten für den Verbleib in der EU gestimmt. Als Geschäftsführerin von "Scotland in Union" tritt sie aber vehement für den Verbleib im Vereinigten Königreich ein.
"Die Existenzberechtigung der SNP gründet doch darauf, Schottland aus dem Vereinigten Königreich herauszubrechen. Sie wird immer tagesaktuelle Ereignisse für das Ziel der Unabhängigkeit instrumentalisieren. Gleich welches die Konsequenzen des Brexits für Schottland sind, sie werden nicht dadurch gelöst, dass wir das Vereinigte Königreich verlassen."
Knappe Mehrheit für die Unabhängigkeit
Das Stimmungsbarometer schwenkt jedoch immer deutlicher in Richtung Unabhängigkeit. Eine Meinungsumfrage von You Gov attestierte sogar erstmals seit langem eine Mehrheit von 51 Prozent für die Unabhängigkeit. Beim Referendum 2014 stimmten noch 55 Prozent für den Verbleib Schottlands in Großbritannien.
Böse Zungen behaupten: Der Brexit kommt der Schottischen Nationalpartei SNP sehr zu pass. Denn 2014 hieß es: Ein unabhängiges Schottland würde nicht automatisch Teil der Europäischen Union, sondern müsste seinen Mitgliedsstatus neu verhandeln. Jetzt fliegen die sehr pro europäischen Schotten aus der EU, weil sie im Vereinigten Königreich geblieben sind. 2014 hieß es allerdings auch: Das sei eine Entscheidung, die für eine ganze Generation gelte.
Mit dem Hinweis auf dieses Argument weigert sich London bislang hartnäckig, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum derzeit auch nur in Betracht zu ziehen. Dabei, so glaubt der Fernsehjournalist Colin Mackay vom Sender STV, wirkt der Brexit als Beschleuniger für das Unabhängigkeitsstreben.
"Ohne Brexit gäbe es jetzt gar keine Diskussion um Unabhängigkeit. Was die Politiker im Süden akzeptieren müssen, vor allem die konservative Partei, die sich ja auch unionistisch nennt, ist, dass ihr Streben nach dem Brexit die Unabhängigkeitsbewegung gestärkt hat, und sie wird noch stärker werden."
In der Fischhalle im schottischen Peterhead liegen Fische in weißen Boxen, dazwischen stehen die Händler
Die Schotten und der Brexit – Meinungsvielfalt in der Fischhalle
Das schottische Städtchen Peterhead ist der größte Marktplatz für Fisch mit weißem Fleisch in der EU. Während Großhändler mehr Bürokratie und zusätzliche Kosten durch den Brexit fürchten, sehen Fischer ihre Chance, die südeuropäische Konkurrenz loszuwerden.
Einige Schotten haben seinerzeit sogar gegen ihre Überzeugung für den Brexit gestimmt, um den Weg für die Unabhängigkeit zu ebnen. Der Spirituosenhändler Stephen Moore aus Stirling ist einer von ihnen.
"Aus rein taktischen Erwägungen habe ich für den Brexit gestimmt. Ich wollte die EU nicht verlassen, aber als Nationalist wollte ich ein zweites Referendum erzwingen. Und dann möchte ich, dass Schottland seinen Platz am Tisch der europäischen Partner einnimmt."
Noch vor dem EU-Austritt Großbritanniens am 31. Januar hat das schottische Regionalparlament die Weichen für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum gestellt. Mit 64 zu 54 Stimmen billigten die Abgeordneten in Edinburgh die Resolution für eine erneute Volksabstimmung – Indy2 genannt.
Für Schottlands Regierungschefin, First Minister Nicola Sturgeon, gilt es keine Zeit zu verlieren. Am Tag des Brexit setzte sie deshalb eine Pressekonferenz an, um ihr Credo eines Referendums noch in diesem Jahr einmal mehr gebetsmühlenartig vorzutragen:
"Das Timing ist entscheidend. Ich habe das Datum nicht herbeigeträumt – aber wir müssen den Schaden durch den Brexit vermeiden und auf den richtigen Pfad zurückkehren. Deshalb plädiere ich für ein Unabhängigkeitsreferendum in diesem Jahr. Gleich wann wir jedoch das Referendum bekommen, und es wird kommen, muss es in dem rechtlichen Rahmen stattfinden, der es uns erlaubt uns für die Unabhängigkeit zu entscheiden, und diese Entscheidung auch umzusetzen. Darauf arbeite ich hin."
Nicola Sturgeon spricht im schottischen Parlament.
Nicola Sturgeon ist seit 2014 Erste Ministerin Schottlands (imago / Andrew Milligan)
Die Strategie ist offensichtlich: Nicola Sturgeon will die derzeitige pro EU und anti Brexit Stimmung nutzen. Selbst bei einem pro Unabhängigkeitsvotum noch in diesem Jahr wäre eine quasi automatische Mitgliedschaft in der EU jedoch illusorisch. Natürlich hätte Schottland noch eine EU-konforme Gesetzgebung, dennoch könnten die 27 EU-Staaten Schottland nicht ohne gezielte Verhandlungen über den Zugang zu den EU-Finanztöpfen, über Fragen der Finanzierung und der Fischerei etwa als Mitglied in der EU akzeptieren.
Premierminister Boris Johnson blockt ab
Ohnehin zeigt London beharrlich die rote Karte: Für Premierminister Boris Johnson kommt ein zweites Unabhängigkeitsreferendum nicht in Frage. Das hat er vor der Wahl in einer Fernsehdebatte gesagt:
"Ich kann jedwedes Referendum absolut ausschließen. Ich glaube, dass wäre schlecht für unser Land. Das ist jetzt nicht der Weg nach vorne. Wir müssen die Demokratie respektieren, die Wirtschaft in Schwung bringen. Das ist eine Transformationsagenda für eine Nation und die wollen wir abarbeiten."
Und auch nach der Wahl ließ Boris Johnson keine Zweifel aufkommen. Schriftlich teilte der britische Premierminister Schottlands First Minister seine Ablehnung eines zweiten Unabhängigkeitsreferendums mit: Als eine Gelegenheit in einer Generation sei das Referendum 2014 vereinbart worden – so Johnson – kein Grund also erneut abstimmen zu lassen. Und laut Autonomiegesetzgebung muss London zustimmen. Wirklich? An dieser Frage scheiden sich die Geister, wie Christine Bell, Verfassungsrechtlerin der University of Edinburgh, betont:
"Verfassungsrechtlich wird gestritten, ob Schottland die Zustimmung für ein zweites Referendum benötigt. Letztes Mal wurde diese Frage nicht geklärt, weil sich die britische und schottische Regierung auf ein Unabhängigkeitsreferendum und die Rahmenbedingungen dafür verständigt hatten. Das bedeutet aber, die schottische Regierung kann nicht einfach abstimmen lassen, ohne dass die Gerichte das zuvor geklärt haben."
Europaexperte zum Brexit - "In diesem Jahr kommt sicher noch keine Ruhe rein"
Die Briten hätten es zwar geschafft, die quälende Brexit-Debatte zu Ende zu bringen, aber jetzt beginne die eigentliche Auseinandersetzung, sagte Josef Janning, Europaexperte beim European Council on Foreign Relations, im Dlf.
Eine gerichtliche Klärung ist langwierig. Die durch den Brexit gewonnene Unabhängigkeitsdynamik könnte erlahmen. Dennoch wollen die schottischen Nationalisten keinesfalls den katalanischen Weg einer nicht verfassungskonformen Volksabstimmung gehen. Verfassungsminister Michael Russel:
"Wir haben immer gesagt, dass wir nur verfassungskonform und legal vorgehen, weil die EU nur diesen Weg anerkennt. Die Frage der Unabhängigkeit ist eine politische, keine rechtliche, aber natürlich wird darüber viel in Schottland diskutiert. Die Aufgabe der Regierung ist, herauszufinden, was funktioniert. Und bis jetzt bin ich nicht überzeugt davon, dass der Rechtsweg der richtige ist. Aber das könnte sich ändern."
Somit halten sich die schottischen Nationalisten sämtliche Optionen offen. Zunächst will die Partei weiter Überzeugungsarbeit leisten und wird dafür auch mehr Mittel für ihre Unabhängigkeitskampagne zur Verfügung stellen.
Der Traum von einer anderen Gesellschaft
Propagiert wird ein unabhängiges Schottland in der EU, in dem die Queen durchaus Staatsoberhaupt bleiben könnte und das Pfund Währung bleiben sollte – sofern die Bank of England mitmacht. Auch die Einführung eines schottischen Pfundes oder des Euro wäre denkbar. Vor allem aber könnte ein unabhängiges Schottland Akzente für eine fortschrittlichere Gesellschaft setzen, glaubt Pat Kane, Schriftsteller und Musiker der Band Hue and Cry.
"Bei einem Votum für die Unabhängigkeit lägen 20, 30 phantastische Jahre vor uns. Wenn nicht Schottland, wer sonst hätte denn die Ressourcen und Voraussetzungen für Unabhängigkeit? Die kommenden Jahrzehnte sind entscheidend: Sowohl aus ökologischer als auch aus technologischer oder geopolitischer Perspektive. Wie toll wäre es, Teil eines Landes zu sein, das die neuen Entwicklungen aushandelt und daraus das Beste macht, indem es seine Ressourcen und Menschen nutzt, um eine vorbildliche Gesellschaft zu schaffen."
In der Tat strebt die Schottische Nationalpartei, SNP, nach einem völlig anderen Gesellschaftsmodell als die Konservativen in London. Ökologisch, sozial, anti-Atom sind einige Stichworte.
Gegründet wurde die SNP 1934 als Fusion der National Party of Scotland und der Scottish Party. Lange Jahre blieb die SNP weitgehend bedeutungslos. Die Labour-Regierung von Tony Blair ebnete Ende des vergangenen Jahrhunderts dann den Weg für die Teilautonomie von Schottland, Nordirland und Wales. In einer Volksabstimmung sprach sich 1997 eine große Mehrheit der Schotten für ein eigenes Parlament mit teilweiser Steuerhoheit aus. Bildung, Gesundheit, Soziales, Wohnungsbau, Justiz und Polizei, Umwelt, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, Sport, Tourismus sowie Wirtschaft und Verkehr gehören zu den Kompetenzen von schottischem Parlament und Regierung.
Linker Nationalismus
Zunächst wurde Schottland von Labour regiert. Seit 2007 führt jedoch die Schottische Nationalpartei, SNP, die Regierungsgeschäfte. National ist zwar Teil des Namens und Programms der SNP, es handelt sich aber nicht um ausgrenzenden, sondern zivilen Nationalismus, erläutert Andreas Wolff, der als Deutscher für das gälische Programm der BBC arbeitet.
"Die Schottische Nationalpartei ist mit Sicherheit nicht rechtsradikal, ist eher leicht links von der politischen Mitte anzusiedeln, etwa vergleichbar mit einer SPD oder so, und ist auch ganz klar internationalistisch ausgerichtet. Die Schotten wollen sich also nicht von der Welt absondern, sondern sie wollen im Gegenteil wieder mit am europäischen Tisch sitzen und in der Familie der Europäer mitwirken."
Historisch fühlte sich Schottland stets dem Kontinent enger verbunden als England. Mit am deutlichsten ist das im Justizwesen zu spüren: Die Rechtsprechung in Schottland ist holländisch-römisch geprägt. Im Act of Union wurde 1707 festgeschrieben, dass Schottland sein eigenes Rechtssystem beibehalten durfte, das sich bis auf den heutigen Tag deutlich vom englischen "Common Law" unterscheidet. Rechtsprofessorin Christine Bell von der University of Edinburgh:
"Die größten Unterschiede gibt es im Bodenrecht. Einige Kernelemente im Strafrecht unterscheiden sich. Das bekannteste Beispiel ist da ein Urteil, das auf ‚Schuld nicht bewiesen‘ lauten kann im Gegensatz zu schuldig oder unschuldig im Rest Großbritanniens. Darüber hinaus existierte seit je her eine eigene Gerichtsstruktur im schottischen Justizsystem, auch vor der Teilautonomie. Erst mit der Einrichtung des britischen Obersten Gerichtshofes 2009 und der Menschenrechtsgesetzgebung wurde ein Berufungsrecht jenseits der schottischen Gerichte geschaffen."
Skulptur der britannischen Königin und Heerführerin Boudicca vor dem britischen Parlament in London
Die Briten und Europa - Schon zur Römerzeit ein widerspenstiges Inselvolk
Vom Kontinent droht Gefahr – das Gefühl scheint sich tief in das Bewusstsein der Briten eingegraben zu haben. Genauso wie die Mythen um ihre Widerstandskraft. Die bekamen schon die Römer zu spüren.
Auch im Bildungswesen existierten und existieren fundamentale Differenzen zwischen Schottland und England: Das Grundstudium ist in Schottland auf vier, in England auf drei Jahre ausgelegt. Während in England Studiengebühren zu entrichten sind, brauchen schottische und EU Studenten in Schottland für ihr Grundstudium nichts zu bezahlen. Vor allem aber betrachteten sich die Schotten stets als eigene Nation: Im Rugby und Fußball tritt Schottland als eigene Nation an – ebenso wie Wales und Nordirland.
Klischeehaft mag der Hinweis auf Schottenrock, also den Kilt, Karos und Dudelsack wirken. Bis heute haben diese kulturellen Identitätsmerkmale jedoch Bestand und dienen dazu, schottische Identität zu zelebrieren – vielleicht gerade, weil es in der Geschichte immer wieder Versuche gab, sie zu unterdrücken und englischen Gepflogenheiten unterzuordnen.
Für viele Schotten war die Vereinigung mit England nie eine Liebesbeziehung, zumal nicht nur kulturelle Identitätsmerkmale, sondern auch die gälische Sprache systematisch marginalisiert wurden, mit dem Ergebnis, dass heutzutage gerade einmal noch ein Prozent der Schotten die Ursprache als Muttersprache spricht. Hassliebe? Zweckgemeinschaft? Harmonische Union? Was ist die nunmehr 313 Jahre währende Vereinigung – die Union zwischen Schottland und England, beziehungsweise Schottland und dem Rest des Vereinigten Königreichs? Sie ist eine Mischung aus allem. Der von der Mehrheit der Schotten abgelehnte Brexit hat dabei eine neue Distanz vor allem zu England und Wales, den pro Brexit Landesteilen, geschaffen und die schottische Identität gestärkt – mit unterschiedlichen Konsequenzen:
"Ich bin Schottin und stolz darauf, aber das muss nicht heißen, dass ich für die Unabhängigkeit bin."
Schüler im Kilt stehen nebeneinander.
Der Kilt wird weiterhin als Symbol für schottische Identität genutzt (dpa / Franz-Peter Tschauner)
"Ich will so schnell wie möglich ein Unabhängigkeitsreferendum. 62 Prozent haben für die EU gestimmt und jetzt verlassen wir die EU gegen unseren Willen. 62 Prozent verglichen mit den 52 Prozent für Brexit in England ist doch überzeugend!"
So wie der Handwerker Alan Waldron denken immer mehr der knapp fünfeinhalb Millionen Schotten. Wobei laut Umfrage viele erst einmal abwarten wollen, was der Brexit ihnen beschert, bevor sie in einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum erneut über eine so schicksalshafte Frage entscheiden.
Die Unabhängigkeit könnte teuer werden
Ohnehin stellen sich viele Menschen die Frage, ob und wie ein unabhängiges Schottland existieren könnte. Pam Nash von der pro UK Organisation "Scotland in Union":
"Als Teil des Vereinigten Königreichs bekommt jeder Schotte knapp 2.000 Pfund pro Jahr: Das nennen wir die UK-Dividende. Es ist die Differenz zwischen den öffentlichen Ausgaben und den Steuereinnahmen. Und der Handel mit dem Rest Großbritanniens ist drei Mal so umfangreich wie unser Volumen mit der EU. Es geht aber mehr als um Finanzen. Es geht um unsere gemeinsame Kultur, Geschichte und Zukunft. Und ich glaube wir sind besser in Großbritannien aufgehoben."
Andere Schätzungen beziffern die UK-Dividende auf nur rund 1.200 Pfund. Fakt ist jedoch: Schottland profitiert vom reichen englischen Süden, zumal die Einnahmen aus dem meist in schottischen Gewässern geförderten Öl und Gas weniger ertragreich sprudeln.
Die Kritiker der Unabhängigkeitsbestrebungen rechnen zudem vor: Mit sieben Prozent höheren öffentlichen Ausgaben als Einnahmen würde Schottland nicht die Maastricht-Stabilitätskriterien der EU erfüllen. 545.000 Jobs würden durch die wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem restlichen Vereinigten Königreich abgesichert und ein Großteil der Forschungsgelder für Universitäten stamme aus London.
Alltag in Aberdeen - Die Brexit-Sorgen eines deutsch-schottischen Paares
Klappt der Import von europäischen Medikamenten weiterhin? Gilt der EU-Führerschein noch? Für das deutsch-schottische Künstlerpaar Bibo und Brian Keeley sind das essenzielle Fragen.
Schottlands Wirtschaft wickelt drei Fünftel ihrer Geschäfte mit dem restlichen Vereinigten Königreich ab: Ohne ein weitreichendes Abkommen über freien Waren- und Personenverkehr zwischen einer EU mit Schottland und Rest-Großbritannien würde unweigerlich eine harte Grenze zwischen England und Schottland entstehen. Zu klären wäre auch die Frage der Verteidigung und der in Schottland stationierten Atom-U-Boote.
Schottische Unabhängigkeit, der Bruch, der seit mehr als drei Jahrhunderten währenden Union, hätte weitreichende Konsequenzen. Die öffentliche Debatte ist derzeit jedoch vor allem von der Enttäuschung über den Brexit geprägt und lässt wenig Raum zum Nachdenken über fundamentale Fragen nach Staatsoberhaupt, Währung, Verteidigung, Einnahmequellen, Grenzen und Selbstständigkeit eines unabhängigen Schottlands.
Genau diese Fragen gilt es aber zu klären und zu erklären, bevor die Wähler ein zweites Mal mit einer simplistischen Frage konfrontiert werden wie: Wollen Sie, dass Schottland unabhängig wird? Die Schottische Nationalpartei wird nicht locker lassen, denn sonst verlöre sie quasi ihre Existenzberechtigung.
Angesichts der ablehnenden Haltung Londons scheint ein Referendum in diesem Jahr so gut wie ausgeschlossen. Im kommenden Jahr wird jedoch ein neues schottisches Regionalparlament gewählt. Das Programm der SNP steht schon fest: Unabhängigkeit! Der frühere Kommunikationsberater der schottischen Tories Andy Macgiver.
"Die SNP wird mit der klaren Forderungen nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum antreten. Jeder wird also wissen, wofür er stimmt. Sollte die SNP gewinnen und die Regierung stellen, dann wird es sehr schwer, ja illegitim für Westminster, ein zweites Referendum zu verweigern. Und ich glaube in diesem Fall wird man es ihnen geben."