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Unachtsamkeit mit dramatischen Folgen

Medizin. - Gefahr durch Radioaktivität droht nicht nur von Un- oder Störfällen in Kernkraftwerken. Auch der unsachgemäße Umgang mit Strahlenquellen, die in Medizin, Landwirtschaft und Industrie eingesetzt werden, kostet Menschenleben. Rund 100 Menschen starben in den vergangenen Jahren dadurch. Auf einer internationalen Forschungstagung der Universität Ulm zu den biologischen Effekten radioaktiver Strahlung und Toleranzmechanismen wurden die Folgen der ionisierenden Strahlung erörtert.

    Vergleichsweise kleine Behälter mit strahlendem Cäsium oder Kobalt werden in Medizin, Landwirtschaft und Industrie eingesetzt, für bestimmte Abbildungsverfahren etwa, in der Materialprüfung oder zur Sterilisierung von Pflanzen. Unachtsamkeit beim Betrieb oder, was weitaus häufiger vorkommt, bei der Verschrottung der Geräte führt aber gelegentlich dazu, dass die Strahlenquellen in unbefugte Hände kommen. Man nimmt sie mit, weil das strahlende Material schön leuchtet, oder wertvoll zu sein scheint, manchmal landen die Strahlenquellen auch mit dem Stahlschrott in den Hochöfen der Stahlwerke. In den meisten Fällen wurde das radioaktive Material rechtzeitig durch Detektoren erkannt - nicht so jedoch Anfang der 80er Jahre in Taiwan. Da wurde eine Kapsel mit Radiokobalt eingeschmolzen und kontaminierte unbemerkt eine ganze Charge Baustahl.

    "Mehr als 2000 Tonnen Stahl waren betroffen und wurden in Wohnhäusern, Schulen und Fabriken eingesetzt. Inzwischen kennen wir rund 200 Gebäude", erklärt Wushu Chang vom Zentrum für Strahlenmedizin der Universität Taipeh. 1983 wurde der strahlende Stahl produziert und eingebaut, die Belastung wurde allerdings erst 1992 entdeckt. "10.000 Menschen haben so verschieden hohe Dosen abbekommen", erklärt Chang. Zwischen 100 und 500 Menschen bekamen sogar extrem hohe Strahlendosen ab: bis zu 2 Sievert, was etwa 20.000 Röntgenaufnahmen entspricht. Hausfrauen und Kinder traf es am stärksten. "Die meisten Symptome sehen wir bei Menschen, die sehr jung der Strahlung ausgesetzt wurden, bei ihnen sind verschiedene Arten von weißen Blutkörperchen betroffen", so Chang. Daneben zeigen sich Trübungen der Augenlinsen, geringere Fruchtbarkeit und Chromosomenschäden. Jungen wuchsen langsamer, so lange sie der Strahlung ausgesetzt wurden. Chang: "Insgesamt zeigt sich, dass die chronische Bestrahlung im harten Gamma-Strahlen einen bleibenden Gesundheitseffekt hatte."

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]