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Unauffällig, hilfsbereit, rechtsradikal

Frauen mit rechtsextremer Gesinnung drängen vermehrt in pädagogische Berufe, sagt der NDR-Journalist Andreas Speit. Die NPD habe das erkannt und rufe rechte Frauen ausdrücklich dazu auf, Lehrerin oder Kindergärtnerin zu werden.

Andreas Speit im Gespräch mit Sandra Pfister | 20.12.2011
    Sandra Pfister: Zunächst galt sie als Betthäschen in einer rechtsextremen Ménage à trois – allmählich wird klar, Beate Zschäpe war keineswegs nur die Muse der Zwickauer Terrorzelle, sondern mit ihr hat der Rechtsextremismus in Deutschland zum ersten Mal ein weibliches Gesicht bekommen. Das Gewalttätige aber, das versuchen die Rechten in der Selbstdarstellung eher den Männern zu überlassen. Frauen sind eher fürs Mutterhafte und Soziale zuständig, und deshalb sind sie oft auch dafür da, rechtsextremes Gedankengut in Bildungseinrichtungen und Kinderköpfe zu transportieren. Die Journalisten Andrea Röpke und Andreas Speit haben über Frauen in der Neonazi-Szene ein Buch geschrieben, es heißt "Mädelssache" und ist im Sommer erschienen. Guten Tag, Herr Speit!

    Andreas Speit: Schönen guten Tag!

    Pfister: Herr Speit, die rechte Sache, die ist auch eine Mädelssache, wie Sie schreiben. Nun gab es ja schon immer Anhaltspunkte, dass Neonazifrauen sich gerne im Nachhilfemarkt tummeln, also quasi so eine vermeintlich softe Schiene der Infiltration wählen – welches Ausmaß hat das denn?

    Speit: Da müssen wir wirklich sehr vorsichtig sein. Die NPD und gerade ihre Frauen propagieren das ganz oft und sehr schnell und stellen das auch meistens sehr schnell ins Internet, aber muss eben schauen, ob die Projekte auch wirklich umgesetzt werden. Hier und da hat es das bundesweit gegeben, vor allem erleben wir aber etwas anderes, dass Frauen ganz bewusst versuchen, ihre eigenen Kinder mehr und mehr, sag ich mal, dem staatlichen Erziehungsmonopol zu entziehen, um quasi ihre Kinder im rechtsextremen bis im nationalsozialistischen Geiste zu erziehen.

    Pfister: Und das bedeutet dann, sie müssen die aber von der Schule nehmen und zu Hause unterrichten, oder? Und das ist in Deutschland ja extrem schwer.

    Speit: Die Frauen gehen tatsächlich so weit nicht, sie vermeiden natürlich den Rechtsstreit. Aber gerade dort, wo mehrere rechtsextreme Familien angesiedelt haben, erleben wir, dass gerade die Frauen dann versuchen, quasi ein eigenes Erziehungsmonopol aufzuziehen, quasi ehrenamtlich werden dann die Kinder in der rechtsextremen Szene weiter erzogen. Man schickt sie zu den staatlichen Kindergärten, man schickt sie natürlich auch in die Schulen, aber bemüht sich danach, sozusagen das Weltbild wieder gerade zu rücken. Und wir wissen leider auch, dass dort, wo mehrere rechtsextreme Familien leben, dass dann ganz gezielt auch versucht wird, auf die staatlichen Einrichtungen sozusagen Einfluss zu nehmen, dass dann auf einmal ehrenamtlich angeboten wird, im Kindergarten etwas zu unternehmen oder sogar in der Schule Projekte angeboten werden.

    Pfister: Und fruchtet das denn? Das müsste doch eigentlich relativ leicht zu durchschauen sein?

    Speit: Die rechtsextremen Frauen unterlaufen leider unsere Klischeevorstellungen, und oft merkt man dann zu spät, oh Mensch, das ist ja eine rechtsextreme Dame, die dort auf einmal Backen nach alter Tradition anbietet, und man dann ganz überrascht ist, was so nebenbei beim Backen den Kindern so erzählt wird.

    Pfister: Aber das ist schon diese traditionelle Schiene, so haben wir uns die Frauen vorzustellen, irgendwie ein bisschen deutsches Mädel. Wird diese Ideologie da hochgehalten?

    Speit: Die Ideologie wird hochgehalten, aber das heißt nicht, dass das Erscheinungsbild und das Auftreten sich nicht geändert hätten. Wir haben gerade in den Recherchen festgestellt, dass wir uns wirklich verabschieden müssen von den ganz klassischen Rollen- und Klischeevorstellungen. Die rechtsextreme Frau kann mittlerweile in der Szene sich unterschiedlich ausdrücken. Sie kann sehr wohl Kommunalpolitikerin sein und auch eben Häkchen, Heimchen am Herd, sie kann auch sehr wohl Kameradschaftsführerin sein, aber eben dann auch wieder sich nur um den Nachwuchs kümmern. Beides ist mittlerweile möglich, und wir erleben gerade, dass junge Frauen dort auch sehr selbstbewusst in der rechtsextremen Szene auftreten und auch mehr politischen Handlungsspielraum für sich erstreiten wollen.

    Pfister: Sie beschreiben ja so eine subkutane Ebene, so eine Ehrenamtsschiene, über die viele Frauen da versuchen, an die Kinder ranzukommen oder auch an die Erzieher. Ist es auch so, dass viele sich dann bewusst für den Beruf der Erzieherin oder eben für Grundschullehramt und so weiter entscheiden, um dann noch stärker Einfluss zu nehmen?

    Speit: Ja, das ist leider so. In den letzten Jahren ist zu beobachten gewesen, dass Frauen nicht nur auf der Straße mehr und mehr sich für die rechtsextreme Sache einsetzen, sondern auch im Berufsleben. Gerade die NPD hat das erkannt und hat bewusst auch Frauen aufgerufen, in soziale und pflegende Berufe hineinzugehen. Das hat natürlich eine doppelte Funktion: einerseits, weil man sich dann sehr gut in einer Gemeinde als die Helfende, beispielsweise als Altenpflegerin präsentieren kann, und gleichzeitig eben als diejenigen, die doch politisch ganz basistreu bei den Menschen ist. Und diesen Doppelcharakter hofft natürlich die NPD mit ihrer Frauenorganisation "Ring nationaler Frauen" für sich nutzbar zu machen, dass man eben denkt, na ja, man weiß jetzt zwar, das ist eine rechte Frau, die ist vielleicht sogar bei der NPD, aber wir haben doch gesehen, die ist sehr nett, die ist sehr hilfsbereit. Und da erleben wir wirklich, dass dann die Grenze sinkt, sie zu wählen.

    Pfister: Gibt es da Berichte, in welcher Form die Frauen, wenn sie denn in der Schule angelangt sind oder im Kindergarten, wie die dann versuchen, ihr Gedankengut da anzubringen, gab es da auch Beschwerden?

    Speit: Meistens haben wir festgestellt, dass die Beschwerden erst kamen, wenn es öffentlich geworden ist. Und hier beginnen leider auch schon die ersten großen Schwierigkeiten. Die Frauen sind sehr geschickt und geben sich sehr große Mühe, gerade im Berufsalltag nicht als jemand aufzufallen, der rechtsextrem ist. Hier erleben wir auch immer wieder, dass beispielsweise, wenn dann durch Recherchen, meistens durch Querrecherchen wir das dann entdeckt haben, dass man im Kindergarten, in der Schule sehr erschrocken ist, weil man wirklich am Anfang es nicht wahrhaben wollte, vielleicht auch nicht sehen konnte, vielleicht aber auch nicht sehen wollte, dass dort eine Frau im rechten Geist die Kinder oder Jugendlichen erzieht. Wir haben einen ganz eklatanten Fall allerdings dokumentieren können, wo eine Lehrerin während der Schulzeit einen Schutzbefohlenen, wie das ja pädagogisch heißt, tatsächlich angeworben hat, in die rechtsextreme Szene gezogen hat, sodass er sogar Mitglied der Jungen Nationaldemokraten, der NPD-Jugendorganisation geworden ist.

    Pfister: Unterm Strich, was würden Sie sagen, wie gefährlich sind die Neonazi-Frauen im Bildungssektor?

    Speit: Die Frauen sind deshalb so gefährlich im Bildungssektor, weil sie sie dort meistens zu spät erkennen, weil wir uns noch nicht dran gewöhnt haben, dass Frauen mit rechtsextremer Gesinnung in pädagogischen oder in helfenden Berufen tätig sind. Und hier nutzen sie das aus, dass wir nicht richtig schauen.

    Pfister: Rechtsextreme Frauen organisieren Feste und Singkreise und gerieren sich ein bisschen so als echte deutsche Muttertiere, aber sie infiltrieren auch die Bildungslandschaft. Andreas Speit hat zusammen mit Andrea Röpke das Buch "Mädelssache! Frauen in der Neonazi-Szene" veröffentlicht, und wir haben mit ihm über Frauen in der Bildungslandschaft gesprochen, über rechtsextreme Frauen. Danke, Herr Speit!

    Speit: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.