Der Teufel sitzt im Detail. Der Underwriter, der das Risiko leichtfertig auf seine Klienten verteilt, kassiert in jedem Fall eine satte Prämie. Je mehr Verträge er abschließt, um so reicher wird er. Mehr als eine nur moralische Verpflichtung, die Interessen seiner Names zu wahren, hat er nicht; und vom Gesamtorganismus Lloyd's drohen auch keine Sanktionen, weil jeder Underwriter auf eigene Rechnung arbeitet. So kann es also sein, daß er sämtliche seiner Names ruiniert, während er seine Vermittlungsprovisionen in einem höchst profitablem Nachbarsyndikat unterbringt und die vierzigfache Rendite erzielt. "Wissen ist Macht", mag er schmunzelnd denken; in der Börse sind solche Insidergeschäfte verboten. Adam Raphael listet unzählige dieser Fälle auf, die zumindest den Ruf von Lloyd's ruinierten. Aber warum sind die Names so dumm, sich auf dieses Spiel einzulassen? Ein kapitalistisches Märchenmotiv hilft, sie zu verstehen: Geld nicht nur im Schlaf verdienen zu wollen, sondern es doppelt arbeiten zu lassen. Da man bei Lloyd's nicht mit dem Katastrophenfall rechnet, müssen die Names ihren Reichtum nur auf dem Papier nachweisen; eine Bankbürgschaft genügt. Ihre Gewinnbeteiligung bekommen sie also auf ein bloßes Lippenbekenntnis hin aus-gezahlt, ohne je einen Penny einsetzen zu müssen. Derweil arbeitete das Geld anderswo und wirft nochmals eine Rendite ab.
Eine leichte Häme kann man sich nicht verkneifen angesichts der zahllosen Sirs und Dames der englischen Oberschicht, die so ein paar Hektar Land oder eines ihrer Sommerhäuser einbüßten. Doch mit sprichwörtlich verhagelten Bilanzen in den Sechzigern hielt der Mittelstand Einzug bei Lloyd's - bis hin zur Sekretärin, die das Wort "unbegrenzte Haftung" gar nicht wahrgenommen haben will. Diese Names bürgten mit ihren bescheidenen Einfamilienhäusern, und unter ihnen ist die Selbstmordrate nun enorm. Seltsamerweise gerieten gerade sie gehäuft in Syndikate mit katastrophalen Schadensbilanzen, etwa denen, die Asbestschäden zu regulieren haben - aus Policen, die teilweise mehr als fünfzig Jahre alt sind. "Allmählichkeitsschäden" nennt das der Versicherer. Zugleich mit diesen unbedarften Geldgebern wich der distinguierte und vorsichtige Underwriter-Typus dem jungen alerten Aufsteiger der Thatcher-Ära. Gier und Gewissenlosigkeit ließ ihn horrende Verträge übernehmen. Die Praxis der Rückversichung - also ein großes Risiko wiederum auf vielen Schultern zu verteilen - führte über verschlungene Transaktionen am Ende doch wieder dazu, daß ein und dasselbe Syndikat den Löwenanteil des Risikos trug; jeder Zwischenschritt vergrößterte die Prämie des Underwriters.
Die Idee der Versicherung ist eine glorreiche in der Menschheitsgeschichte. Zugleich ist sie wohl die am meisten pervertierte. Ein System, das den Schaden vieler begrenzen soll, wird ausgenutzt zur Gewinnmaximierung weniger. Im Falle Lloyd's mußte, wer Pech hatte, plötzlich mit ein paar Tausend anderen eine ganze Bohrinsel bezahlen; Solidarität ad absurdum getrieben. Man wünscht sich, daß ein Romancier vom Format Uwe Timms dieses Sachbuch in die Finger kriegt. Er, der mit seinem Roman "Kopfjäger" den falschen Zauber der Börsenspekulation so lehr-reich wie spannend beschrieb, müßte aus dem Lloyd's-Material ein wahres Feuerwerk zaubern können. Adam Raphael entschied sich hingegen für die juristisch sichere Form; sein detailreicher Bericht ist spröde und mühsam zu lesen. Indes: Wer sich durchgekämpft hat, wird sein Leben lang ein vorsichtiger Geldanleger sein.