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Unbekannter Planet Meer

Meeresbiologie. - In Washington treffen sich heute Meeresforscher aus 45 Ländern zu der Konferenz "

Dagmar Röhrlich |
    Zensus Marinen Lebens". Mit der "Volkszählung" möchte man eine Ahnung bekommen, wie viele und welche Tiere und Pflanzen im Meer leben. Schließlich nehmen die Ozeane zwar 70 Prozent der Erdoberfläche ein, aber wir wissen weniger über diesen Lebensraum als über die Rückseite des Mondes. Bis 2010 soll die von der amerikanischen Sloan-Stiftung geförderte rund 900 Millionen Euro teure Erhebung dauern, an der etwa 300 Forscher aus 53 Nationen beteiligt sind.

    Videos beweisen es: Dorsche sind weder stumm noch dumpf. Sie sind neugierig. Das seltsame Metallgestell mit dem Licht darin interessiert sie. Dieses Gestell am Grund eines norwegischen Fjords ist ein Test für die Lander, die 2004 als untermeerische Forschungsstationen zwischen den Azoren und Island ausgesetzt werden. An dem Lander, der von Wissenschaftlern der Universität Aberdeen und des norwegischen Meeresforschungsinstitut entwickelt worden ist, sind Kameras angebracht, Mikrofone und Aufzeichnungsgeräte. Olaf Rune Godö vom Bergener Institut:

    Wir haben dieses innovative Projekt in Kooperation mit den Schotten entwickelt. Mit diesen Landern wollen wir einen erheblich besseren Einblick in das Verhalten der Tiere bekommen, weil wir erstmals über Monate hinweg eine optische und vor allem akustische Beobachtung der täglichen und saisonalen Verhaltensänderungen im tiefen Wasser durchführen. Das ist aufregend, und wir werden viele neue Informationen bekommen.

    Bei ihren Tests beobachteten die Biologen bei den Dorschen eine Reihe von Verhaltensweisen. So warnen die Tiere mit diesen Klicklauten ihre Artgenossen, dass sie aggressiv sind – und die halten auch prompt Abstand. Diese neuen Lander sind für das Mareco-Projekt entwickelt worden, einem europäisch dominierten Teilprojekt des weltweiten marinen Zensus. Mareco soll das Leben an den fast unerforschten mittelatlantischen Rücken untersuchen.

    1910 gab es die bislang einzige große Spezialexpedition in dieses Meeresgebiet. Ingvar Bjerkjedal ist Kurator der naturkundlichen Sammlung in Bergen, in der die Fundstücke von damals in raumhohen Regalstapeln stehen. Mit einem Schnurren gleiten die Stapel auseinander:

    1910 gab es eine Expedition, die Michael-Sars-Expedition. Es ging von Bergen über Neufundland zu den Kanarischen Inseln und zurück. Die Expedition hat mehr als 10.000 Fische gesammelt, die über 1000 Gläser füllen. Damals wurden 45 neue Arten entdeckt – und die sind hier.

    Der moderne Zensus bringt Hunderte von neuen Arten. Denn während 1910 Netze das Hauptwerkzeug waren und nur robuste Lebewesen den rauen Transport darin überstanden, setzt man heute Hightech ein, erklärt Mareco-Leiter Odd Aksel Bergstad vom norwegischen Meeresforschungsinstitut in Bergen:

    Wir wollen mit modernen Technologie einen viel besseren Job machen, als das bislang möglich war. Wir setzen hochmoderne Echolote und Sonare ein und Lander, die langfristig auf dem Meeresboden Daten sammeln sowie bemannte und unbemannte U-Boote. Dieser Hightech-Einsatz macht das Projekt zu etwas Einmaligem.

    Mit dem auch die Funktionsweise des Lebensraums Meer und das Verhalten der Tiere erkundet wird. Die Forscher erwarten, dass der Zensus viele heute unbekannte Organismen in die Sammlungen bringt, so wie 1910 den Saccopharynx hjorti, den Ingvar Bjerkjedal mit einer Pinzette aus seinem Glas fischt. Saccopharynx ist ein dünnes, wurmförmiges Gebilde mit einem pfeilförmigen Kopf, das seit damals nie wieder gefangen worden ist. Bjerkjedal:

    Das ist schon ein besonderes Gefühl, ihn in der Hand zu halten – dieses Exemplar hier ist alles, was wir über die Art wissen.

    Die Meeresbiologen vermuten, dass in den Ozeanen noch 5000 unbekannte Fischarten auf ihre Entdeckung warten und Hunderttausende anderer unbekannter marinen Organismen. Der Zensus hat bislang schon fast 500 neue Fischarten erbracht. Die landen dann zur wissenschaftlichen Untersuchung in den Sammlungen – und vielleicht ist aber auch ein zweiter Saccopharynx hjorti dabei.