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Unbeschreiblich weiblich

Die documenta 12 in Kassel bringt eine Menge vergessener Positionen ans Tageslicht, die durch das Raster des Kunstmarktes gefallen sind. Die Mehrzahl dieser neu entdeckten Werke stammen von Frauen. Aber auch die jüngere Generation, vertreten durch Cosima von Bonin, Hito Steyerl oder Zoe Leonard, ist an zentralen Stellen präsent.

Von Carmela Thiele |
    Trisha Brown und Yvonne Rainer statt Robert Rauschenberg und Jasper Johns: Die d12 korrigiert ohne viel Aufhebens die Geschichte der Kunst. Beide Frauen revolutionierten in den 1960er Jahren den Tanz und beeinflussten damit auch die bildende Kunst. Oder wie die Künstlerin Valie Export es Ende der 1970er Jahre ausdrückte: "Trisha Brown und Yvonne Rainer liefern Beispiele feministischer Tanzaktionen, die der Phallokratie entkommen sind." Solche radikalen Aussagen vermeiden die documenta-Macher dreißig Jahre später. Kuratorin Ruth Noack spricht lieber davon, dass sie und Roger M. Buergel kein Problem damit hätten, Frauen auszustellen. Noack weist daraufhin, dass es ihnen vielmehr wichtig erschien, zu zeigen, dass in der Kunst viele Dinge immer wieder neu entdeckt würden.

    Trisha Browns Installation "Floor of the Forrest" nimmt den zentralen Saal im ersten Stock des Fridericianums in Kassel ein. Zu sehen ist ein Gerüst mit einem Netz aus Tauen, in die Kleidungsstücke eingeknotet sind. Stündlich führen Tänzer zwei Choreographien aus den 70er Jahren aus, auf dem Gerüst und daneben. Die mechanischen, den Raum auslotenden Bewegungen, die verqueren, durch das Netz, die Ärmel und Hosenbeine gehemmten Körperpositionen, sie wirken wie Sinnbilder gesellschaftlicher Deformation.

    Inwiefern sind uns gesellschaftliche Zwänge überhaupt bewusst? Die maßgeblich von Frauen in die Kunst eingebrachte Diskussion des Körpers, ist auch heute noch aktuell. Etwa in der Installation von Hito Steyerl. Ihr Thema ist "Bondage", eine japanische Fesselungstechnik, die erotischen Zwecken dient. Es steht aber nicht der Missbrauch des weiblichen Körpers im Zentrum ihres Interesses, sondern vielmehr die Darstellung eines allgemeinen, verdrängten Problems. Im Verlauf ihrer Recherche fällt der Satz: "Gibt es so etwas wie Bondage nicht überall auf der Welt?" Es braucht gar nicht die dazwischen geschnittenen Szenen von Guantanamo, um die Idee der 1966 in München geborenen Filmemacherin zu verstehen. Gewalt und gesellschaftliche Zurichtung sind übergreifende Phänomene.

    Kunstvolle Knoten, Seile, die in das Fleisch einschneiden. Diese Bilder haben eine äußerst ambivalente ästhetische Note. Wer im Aue-Pavillon die völlig unbekannten Plastiken von Mária Bartuszová entdeckt, dem gelingt es vielleicht für einen Moment, die suggestiven Formen von der Ausbeutung des weiblichen Körpers zu trennen. Die slowakische Künstlerin schuf in den 70er und 80er Jahren runde, weich erscheinende Formen aus Gips, deren Einschnürungen durch reale Bindfäden oder Plexiglasscheiben betont wurden. Bartuzsová beschäftigte sich aber nicht mit japanischen Fesselungstechniken, sondern mit Prinzipien der belebten und unbelebten Natur und ihrer Flüchtigkeit. Sie erzeugte absurderweise formale Spannungsmomente, die denen der Bondage-Meister ähnelten - freilich ohne weibliche Opfer zu inszenieren.

    Auch wenn offiziell bei der d12 nicht von Feminismus die Rede ist, sind die Zeichen doch unübersehbar. Selbst die Brasilianerin Iole de Freitas, deren aus dem Fridericianum wachsendes Skulpturenband einhellig gelobt wurde, ist ausgebildete Tänzerin und tauchte in den 70er Jahren im Kontext feministischer Ausstellungen auf. Die lange Liste "vergessener" Künstlerinnen und die breite Präsentationsfläche, die Ihnen und jüngeren Kolleginnen zur Verfügung gestellt wurde, sprechen für sich.

    Das nun auch noch pointiert feministische Positionen eingewoben sind in das Tableau der Ausstellungsmacher, fällt schon gar nicht mehr auf. Gemeint sind etwa die skurrilen Foto-Sequenzen von Jo Spence. Die Britin inszenierte in den 1980er Jahren weibliche Körperbilder, die im krassen Widerspruch zum herrschenden Schönheitsideal stehen. Ohne Umschweife kommt auch Mary Kelly zu Sache. Sie organisierte anlässlich der documenta das nächtliche Happening "Flashing Nipple" mit hundert Frauen im Park Wilhelmshöhe, deren Brustwarzen mit Lichtern markiert waren. In der Dokumentation in der Neuen Galerie wirken die Lichtreflexe wie Glühwürmchen, die durch den öffentlichen Raum tanzen. Zu harmlos? zu leicht? Zu unpolitisch? Vielleicht auch einfach nur subversiv.