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Unbeschreiblich weiblich

Manchmal kommen Kunstbücher auf den Markt, die sind nicht nur schwer, groß, teuer und bunt. Es gibt Bücher, die all das sind und doch viel mehr. Sarah Schumanns dickes Buch, das ihre Werke aus den Jahren 1958 bis 2002 in Auszügen vorstellt, beginnt auf der ersten Seite mit einem im Jahr 2000 entstandenen Selbstportrait. Es zeigt die Künstlerin im Profil, in die linke Bildhälfte hat sie ihre Interpretation von Leonardo da Vincis Gemälde "Dame mit dem Hermelin" gesetzt. Die Spur für einen Kampf der Giganten ist ausgelegt. Viele "Ikonen" haben in ihrem Werk einen Auftritt, von eben dieser "Dame" bis zu Marilyn Monroe oder Mohammed Ali. "Ab mittags", schreibt Sarah Schumann in einem ihrer im Buch abgedruckten Texte, "ab mittags, dirigiere ich die Farben zu Kompositionen. Ich kann die nuanciertesten Töne mischen."

Von Verena Auffermann | 05.11.2003
    Sarah Schumann ist Berlinerin, beide Eltern waren Bildhauer. Gestaltete Formen umgaben sie von frühester Kindheit, die Farbe hat sie sich selbst erarbeitet. Sie war von Surrealismus und Dadaismus beeinflusst, lebte in den frühen Sechzigern in London und dann fünf Jahre in Italien. Kam Ende der sechziger zurück nach Berlin, engagierte sich in der Berliner Frauengruppe "Brot + Rosen", malte informelle Wolkenbilder, collagierte, ließ sich vom Kino beeinflussen, begann früh, Buchumschläge zu gestalten und tut das bis heute. Die faszinierenden Umschläge der Virginia Woolf Gesamt-Ausgabe im S. Fischer Verlag sind von ihr entworfen. Auf die Frage, wovon alles ausging, gibt Sarah Schumann Hinweise

    Auf eine gewisse Faszination für die Zeitschriften damals und für die Ereignisse, die in der Welt passierten: Time Magazine und Paris Match, in Deutschland gab es noch keine Zeitschriften, die das Dramatische des Weltgeschehens abgebildet hätten, andererseits der Hang zum Kino. Ich habe sehr viele Filme gesehen und das nun miteinander zu komponieren und daraus einen Schock entstehen zu lassen. Surrealismus in erster Linie, Dadaismus, um dieses, was in der Welt passierte, in Abbildungen zu meinem eigenen zu machen. Und habe parallel dazu reine Farbstudien gemalt, sozusagen informelle Bilder, heute dies abends das und habe dies und habe das rein Ästhetische mit den Schockcollagen verbunden für mich.

    Der von Kathrin Mosler herausgegebene Band über das Werk der Künstlerin Sarah Schumann enthält Texte von Gisela von Wysocki, Silvia Bovenschen, Klaus Reichert, dem Sammler Carl Vogel, von Peter Gorsen und Texte von Sarah Schumann selbst. Auch ihre Bilder enthalten oft Schrift, Bildtitel, Hinweise, Gedichtzeilen, oft rätselhaft. Ihr Werk lässt sich in Zyklen einteilen: in die Collagen, Landschaftsbilder, Tierbilder und die Portraits. In den letzten Jahren beschäftigte sich Sara Schumann mit Madonnen.

    Irgendwie taucht in meinen Madonnenbildnissen die Ikonographie der Madonnenbildnisse, die wir kennen, auch auf, sie sind sie aber gleichzeitig zerschnitten worden, das Geschlossene des alten Madonnenbilds habe ich aufgelöst, die Madonnen, die ich gemalt habe, sind in einem ganz anderen Raum,, die haben Gliedmaßen, wo man nicht genau weiß, gehören die zur Madonna oder gehören die ganz wo anders hin. Ich habe versucht, ein Madonnenbildnis zu schaffen, wie ich es mir vorstelle. Im Gegensatz zu den Portraits, die überwiegend Aufträge sind. Ich wollte da einer hohen Kunst gerecht werden.

    Sarah Schumann hat immer das getan, was sie und nicht das, was der Kunstmarkt für richtig hielt:

    Entweder ich mache das, was ich für richtig halte, oder ich lasse es sein, nehme einen anderen Beruf. Ich konnte das nicht anders machen. Es gibt Phasen, in denen ich gerne ins Kino gehe, in zeitgenössische Ausstellungen, alte Gemälde sehe. Irgendwelche. Warum gucke ich mir das jetzt an? Bei dem Buch, die Choreographie des Buches ist aufgebaut nach dem Film "Teorema" von Pasolini.

    Zweifellos ist eines ihrer Hauptthemen die Weiblichkeit, die Auseinandersetzung mit der Frage einer weiblichen Ästhetik. Das schließt die Wunde, das Geschlecht, die Poesie und alte Motive von Raum und Fenster und Bett und Baum nicht aus. Ihr Werk ist geprägt, das sieht man besonders an den zarten Zeichnungen und den frühen Collagen, von einer entschiedenen Uneindeutigkeit. Einer Konkurrenz der Farben und Formen.

    Silvia Bovenschen, seit Jahren ihre Arbeit begleitende Freundin, interpretiert Sarah Schumanns Werk so:

    Mich interessiert das Verhältnis von einem starkem Traditionsbewusstsein mit einem starken Zerstörungsimpuls. Diese erste, wie ich meine, ist eine Grunddissonanz. Was sie auch immer wieder dazu geführt hat, alte Themen wie Landschaften, Landschaftsmalerei, Portraitmalerei, Madonnenmalerei in Zeiten, wo das alles andere als angesagt war, aufzunehmen und gleichzeitig neu zu erfinden. Also eine neue Form der nicht psychologischen, nicht identifikatorischen Portraitmalerei . Formen, sich mit der Ikone und dem Madonnenbildnissen auseinander zusetzen, was dann von zwei Seiten geführt wurde, einmal die moderne Ikone, die Beschäftigung mit einer Ikone wie Marilyn Monroe, lange vor Warhol, oder Mohammed Ali, und auf der anderen Seite die Beschäftigung wirklich mit der Tradition dieser Malerei und die Zusammenführung, die gleichzeitig immer beide Elemente enthält, nämlich die der Traditionsvergewisserung. Es ist keine Traditionsblindheit, keine Naivität, in der Malerei und dem Impuls, das zu übermalen und zu zerstören und nicht einfach nur zu denunzieren, sondern es sozusagen, ja, zu wiederholen, wiederholen in eine ganz neue und eigene teildestruktive Form. Das zweite was mich interessiert, hat das Thema der Destruktion auf der einen und der Schönheit auf der anderen Seite. Wie kann man überhaupt noch Schönheit in dieser Zeit denken, malen, erfinden, und da finde ich, dass sie das ganz gut geschafft hat, dass Schönheit immer etwas Außenstehendes hat. Es ist sozusagen in dieser Malerei keine Versöhnung. Dort wo Schönheit ist, ist auch immer Gefahr. Die Elemente sind immer zusammen. Ich kenne kein Bild, wo das nicht aufeinander prallt.

    Dieser künstlerisch und kulturhistorisch interessante Band, der über die Epoche des Aufbruchs der Weiblichkeit, subtil malerisch, filmisch Auskunft gibt, zeigt den Zusammenprall von Schönheit und Gefahr, von Oberfläche und Hintergrund, von Denken, Sehen und Malen.

    Sarah Schumann. Werke 1958-1002
    Herausgegeben von Kathrin Mosler
    Nicolai Verlag, 295 S., EUR 49.90