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Unbestechlich, aber käuflich

Sportwetten in Deutschland, Prüfungen an der Uni in Riad und die Präsidentschaftswahlen in den USA haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Eines aber verbindet sie: Die Resultate werden von den Datenlesern der Firma Datawin aus Niederbayern ermittelt.

Von Torsten Thierbach | 15.02.2013
    "Also der Beleg läuft zwischen zwei Kameras, Vorder- und Rückseite durch. Und während des Durchlaufs wird das Bild erzeugt. Das Bild wird übertragen, ausgewertet, evaluiert. Und wenn der Beleg fast am Auswurf ist, dann kommt der Aussteuerbefehl in die Fächer eins, zwo oder drei zurück."

    Peter Schrittenlocher ist es mittlerweile schon gewöhnt, seinen Hochleistungsscanner vorzuführen und neugierigen Besuchern Details zu erklären. Der Datenleser ist ein Überflieger: In nur 40 Millisekunden erkennt er auf einem Stimmzettel, ob überhaupt und wenn ja an welcher Stelle ein gültiges Kreuzchen gemacht worden ist. Dabei ist das Gerät kaum größer als ein herkömmlicher Bürodrucker oder Kopierer und mit seinen nur 90 Kilogramm Eigengewicht sogar äußerst mobil einsetzbar.

    Die niederbayerische Firma Datawin hat sich mit der Konstruktion und dem Bau solcher Datenleser inzwischen weltweit einen Namen gemacht. Und wenn man weiß, dass sie 75 Hochleistungsscanner für die Wahlen des amerikanischen Präsidenten im vergangenen Jahr geliefert hat, dann wirkt ihr Firmensitz in Ergoldig bei Landshut fast schon bescheiden und unauffällig: mitten in einem verschlafenen Wohngebiet, am Rande eines kleinen Ackers.
    Groß hingegen waren die Anforderungen der Amerikaner, denn die wollen auch in Zukunft eine Pannenserie wie bei der Wahl von George W. Bush in jedem Fall vermeiden. Und deshalb fragten sie bei Herstellern in der ganzen Welt,

    "ob man nicht ein System entwickeln könnte, dass fast 25.000 Belege pro Stunde kann, das Vor- und Rückseite scannt, das in drei Fächer aussteuert und, jetzt kommt eigentlich die größte Gemeinheit, das gefaltete Belege transportieren kann."

    Gefaltetes Papier: eine schlimme Vorstellung für jeden, der sich einmal mit der Konstruktion von Lesegeräten befasst hat. Und ein wenig hört man es Datawin-Chef Peter Schrittenlocher auch an, dass ihm diese Aufgabe einige schlaflose Nächte bereitet hat. Doch gemeinsam mit seinen 25 Mitarbeitern entwickelte er in nur sechs Monaten einen Prototyp, der nicht nur zwei namhafte Mitbewerber aus dem Rennen katapultierte, sondern die Amerikaner so sehr begeisterte, dass sie den Millionenauftrag schon bald nach Ergolding vergaben. Der bislang größte Erfolg in Datawins Firmengeschichte. Denn damit kam das mittelständische Unternehmen zu einem Renommee, das ihm jetzt lukrative Nachfolgeaufträge verspricht:

    "Also, die haben uns gezwungen, besser zu werden. Wir mussten also ISO-Zertifizierungen machen, wir haben einen Datenschutzbeauftragten gekriegt, weil wir Dinge vom amerikanischen Staat hier herinnen bearbeiten. Also wir haben uns in vielen Dingen verbessern müssen. Wir sind eigentlich in einer anderen Liga seitdem."

    Was Schrittenlocher mit "anderer Liga" meint, versteht man erst richtig, wenn man ihn durchs Erdgeschoss seiner Firma begleitet. In einem der vorderen Räume, kaum größer als ein Klassenzimmer, sind mehrere Fertigungsplätze eingerichtet. Sauber aufgeräumt sind Schraubendreher neben Messgeräten platziert. Der 64-Jährige steuert zielstrebig auf handtellergroße Geräte zu, die auf einer Werkbank in Reih und Glied nebeneinanderliegen. Bei ihnen handelt es sich um sogenannte Beleglesegeräte, erklärt Schrittenlocher. Der Laie hätte sie glatt für Scanner im Hosentaschenformat gehalten. Doch das sind verschiedene Welten. Und die teilen nicht nur das Portfolio des Mittelständlers in zwei völlig unterschiedliche Produktlinien auf, sondern werden selbst von langjährigen Kunden schon mal durcheinandergebracht. Doch ein Belegleser

    "sucht Koordinaten an fest vorgegebenen Positionen. Sie brauchen also einen qualifizierten und einen sehr präzis gedruckten Beleg, sonst ist das Zeug nicht lesbar. Ein Scanner liefert im ersten Moment nichts anderes wie eine Digitalkamera, nämlich ein Image."

    Mit dem Bau von Beleglesern hat nicht nur Schrittenlocher als junger Ingenieur seine ersten Gehversuche unternommen. Die Konstruktion dieser Geräte war auch die Grundlage, auf der er Datawin gründete und die Firma in 30 Jahren vom Ein-Mann-Betrieb zum mittelständischen Unternehmen führte. Rund fünf Millionen Euro beträgt inzwischen der Jahresumsatz. 80 Prozent erwirtschaftet Datawin im Ausland.

    Kamen Beleglesegeräte bis vor einigen Jahren noch vor allem im Medizinbereich bei Laboruntersuchungen zum Einsatz, so sind sie heute zunehmend in deutschen Wettbüros und mit steigendem Korrekturdruck auch an Universitäten anzutreffen. Dort machen die Studierenden bei Multiple-Choice-Prüfungen ihre Kreuzchen nun auf vorgefertigten Markierungsbelegen:

    "Mit dem Markierungsbelegleser werden die Koordinaten gesammelt, wo die Kreuze sind. Und hinterher wird eine Auswertung gefahren, weil das System, das dahinter steht, natürlich die richtigen Antworten kennt."

    Inzwischen lassen unter anderem die Unis in Riad und in Bangladesch, aber auch die Fachhochschule in München ihre Prüfungsbögen von Datawin-Lesern bearbeiten.

    Das Erfolgsgeheimnis des Unternehmens findet der Besucher ein paar Treppen tiefer. In einer hellen Werkhalle stehen große Fräs- und Drehmaschinen, kistenweise Alubleche.

    "Wir arbeiten hier wirklich vom Rohmaterial weg. Damit sind wir in der Lage vollkommen autark die Prototypen sehr schnell zu erstellen. Gerad aus Riad, wenn die anrufen, dann wollen die innerhalb von vier Wochen, weil es meistens um Ausschreibungen geht, die Ware haben. Dann laufen hier die Maschinen im Mehrschichtbetrieb."

    Von den hochpräzisen Kameras bis hin zu den kleinen Silikonrädchen, die bis zu zehn Millionen Blätter bewegen: Fast sämtliche Einzelteile für Scanner und Belegleser stellen die Ergoldinger in eigener Produktion her. Diesen Vorteil will sich nun auch ein Bankhaus in Südkorea sichern und hat Datawin einen millionenschweren Auftrag in Aussicht gestellt. Es gilt, Kundenschreiben, Kontoberichte und Schecks zu sortieren. Aufgaben, bei der sich die entwickelten Hochleistungsscanner als äußerst zuverlässig erwiesen haben, so Schrittenlocher:

    "Dort laufen im Moment 30 Scanner aus Japan. Die müssen abgelöst werden. Und wenn wir in den nächsten zwei Monaten schnell und gut genug sind, dann werden die durch uns abgelöst. Das heißt also, das ist wieder ein Auftrag, wo man sagt, der bringt´s."