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Unbewusste Ressentiments

Experimentell arbeitende Psychologen beschäftigen sich mit der Frage: Warum verhalten wir uns so, wie wir uns verhalten? Die Ergebnisse ihrer Arbeit können ganz praktischen Nutzen zeigen - wie eine Untersuchung über Vorurteile gezeigt hat.

Von Barbara Weber |
    "Das ist die Tagung experimentell arbeitender Psychologen und Psychologinnen. Das, was die Beiträge eint, ist, dass es immer eine experimentelle Methode des Zugangs ist, also gezielt mit apparativen Verfahren, mit Computern, mit EEG, mit Blickbewegung wird untersucht, wie bestimmte Grundprozesse beim Menschen ablaufen."

    Zum Beispiel: Was beim Hören passiert.

    "Liebe Kolleginnen und Kollegen!"

    Prof. Erich Schröger von der Universität Leipzig begrüßt die Teilnehmer. Das Mikrofon ist in der ersten Reihe platziert und fängt technisch sauber die akustischen Signale ein. Trotzdem ist Erich Schröger bei der Wiedergabe der Aufzeichnung schwer zu verstehen. Für die Zuhörer im Raum ist es hingegen kein Problem, dem Vortrag des Wissenschaftlers zu lauschen, denn im Gegensatz zum technischen Apparat hat das Gehirn gelernt, die wichtigen von den unwichtigen akustischen Signalen zu unterscheiden: den Hall des Raumes, das dezente Hüsteln eines Teilnehmers oder den Stift, der auf den Boden fällt. Das alles stört die Zuhörer nicht. Das Mikrofon hingegen kann nur alle akustischen Reize aufnehmen. Es fehlt das Gehirn, um sie einzuordnen und abzuspeichern.

    Wir konstruieren uns im Laufe des Lebens ein Hör–Modell, erklärt der Wissenschaftler. Das passiert automatisch. Dieses Modell ist aber auch so flexibel, dass es neue Reize einbauen kann und zum Beispiel eine Warnfunktion erfüllt. Das Geräusch eines Autos signalisiert uns, dass wir jetzt besser nicht die Straße überqueren, auch wenn wir den PKW nicht sehen.

    Unser Gehirn ist sogar so trainiert, dass es prädiktiv arbeitet, das heißt, es erwartet bestimmte Geräusche. Wenn wir einen Hammer sehen oder beim Anblick einer Fliege: Wir erwarten, ein Surren zu hören. Das sich anschließende Geräusch wird als Fliegenklatsche interpretiert. Unser Gehirn leitet aus dem gelernten akustischen Modell einen physikalischen Vorgang ab.

    Wir konstruieren unsere Wirklichkeit.

    Zum Beispiel: Wie beeinflusst Angst die Aufmerksamkeit?

    "Sie müssen sich ja vorstellen, dass unser - ich nenne es manchmal den kognitiven Apparat - eine ganz heikle Balance ausüben muss"," sagt Dirk Wentura, Professor für allgemeine Psychologie und Methodenlehre, Universität Saarbrücken.

    ""Wir müssen uns ja einerseits auf das konzentrieren, was für uns wichtig und relevant ist. Das schaffen wir auch recht gut. Das ist eine Leistung unseres Apparates, dass wir uns fokussieren können, aber das darf natürlich nicht zulasten gehen, dass wir irgendwelche Signale von übergeordneter Bedeutung, Fahrsignale zum Beispiel übersehen."

    Diese Balance zwischen dem, was wir machen und wichtigen Signalen von Außen, kann bei jedem unterschiedlich ausgeprägt sein. So gibt es Menschen, die sehr ängstlich sind und ihre Aufmerksamkeit überwiegend auf bedrohliche Signale richten.

    "Um das zu untersuchen, da fragt man die Leute nicht einfach, weil Leute können nicht einfach Auskunft darüber geben über diese ganz feinen Prozesse, die bei ihnen ablaufen, sondern man nimmt bestimmte computerunterstützte Aufgaben etwa."

    Diese Aufgaben sind ganz simpel:

    "Auf dem Bildschirm erscheint ein kleines Kreuz, da sollen sie ihren Blick drauf richten. Sie wissen, nach ein, zwei Sekunden wird dieses Kreuz abgelöst durch ein einfaches Symbol, sagen wir mal, zwei Punkte, die waagerecht angeordnet sind oder zwei Punkte, die senkrecht angeordnet sind. Diese beiden Punkte erscheinen entweder links oder rechts auf dem Bildschirm. Ihre Aufgabe ist, nichts anderes zu tun als möglichst schnell, eine linke Taste zu drücken, wenn die beiden Punkte waagerecht sind oder eine rechte Taste zu drücken, wenn die beiden Punkte senkrecht sind. Ganz einfache Aufgabe."

    Damit lässt sich natürlich noch nicht der Grad der Ängstlichkeit einer Person feststellen.

    "Der Witz der Aufgabe liegt darin, dass zwischendrin zum Beispiel zwei emotionale Gesichter erscheinen, eines links, eines rechts. Das eine zeigt ein wütendes Gesicht, ein etwas bedrohliches Gesicht. Das andere ist ein neutrales Gesicht. Diese Gesichter sind vollkommen irrelevant für sie. Aber manchmal erscheint das bedrohliche Gesicht an der Stelle, wo nachher die Punkte kommen und in anderen Durchgängen an der Stelle, wo die Punkte gerade nicht sind. Wenn also ihre Aufmerksamkeit unwillkürlich auf das bedrohliche Gesicht geht, dann werden sie etwas schneller diese beiden Punkte kategorisieren, wenn die an der Stelle des bedrohlichen Gesichts auftauchen und etwas langsamer, wenn sie an der Stelle des nichtbedrohlichen Gesichts auftauchen. Man hat jetzt mit der Computeraufgabe eine Basis, wo man schauen kann, was ist möglicherweise in der Biologie anders bei Leuten."

    Die Frage ist - und daran arbeitet unter anderem Elaine Fox von der University of Essex - ob durch entsprechende Trainingsprogramme, die Ängstlichkeit reduziert werden kann.

    Zum Beispiel: Wie schnell reagieren wir auf emotionale Gesichter?

    "Im nachfolgenden werden Ihnen am Bildschirm Bilder mit verschiedenen emotionalen Gesichtsausdrücken: Freude, Ärger, Trauer oder Furcht präsentiert."
    Die Versuchsperson sitzt am Computer. Sie hat vier bunt markierte Tasten zur Verfügung, um schnell auf die gezeigten Bilder zu reagieren.

    "Also erst mal muss ich das starten. Und ich lege meine Finger auf die Tasten, die erklärt wurden, die Antworttasten. Und dann fängt es an. Dann kommen Bilder, und ich muss auf die reagieren. Möglichst schnell, gerade mache ich viele Fehler."
    "Die Gesichter werden tatsächlich sehr kurz präsentiert"," erklärt die Psychologin Michaela Rohr.

    ""Uns geht es um automatische Prozesse und nicht strategisch kontrollierte Prozesse, wenn man sehr lang ein Gesicht sieht, dann kann man mit Sicherheit sagen, welche Emotion das ist und das klar einordnen, wenn man das kurz sieht, ist es aber schwieriger."

    Was die Wissenschaftlerin in ihrer Dissertation herausfinden will, ist, wie schnell wir nicht nur eine grobe Zuordnung treffen können, sondern ob wir auch genauso schnell ganz spezifische Reaktionen auf eine Emotion haben. Bislang ging man davon aus, dass erst eine grobe Einteilung in positiv oder negativ erfolgt. Das macht, evolutionär gesehen, wenig Sinn.

    "Eine giftige Schlange erfordert eine ganz andere Reaktion als verfaultes Essen."

    Michaela Rohr ist überzeugt, dass wir sehr schnell in der Lage sind, bestimmte Reize schnell und spezifisch zu verarbeiten. Diese Reaktion lässt sich verstärken, indem kurz und ohne, dass die Versuchspersonen es bewusst registrieren, ein anderes Gesicht eingeblendet wird. Zeigt das die gleichen Emotionen wie das folgende Gesicht, beschleunigt das die Reaktion. Zeigt das Gesicht eine andere Emotion, wird die Reaktion langsamer.

    Zum Beispiel: die Sache mit den Gesichtern und Vorurteilen.

    "Jetzt stellen Sie sich vor, statt sehr klar positiver, negativer eingeblitzter Bilder, nehme ich Bilder von etwa türkischen Mitbürgern oder deutschen Mitbürgern. Was hier passiert ist, dass wenn das Bild eines Türken einem negativen Bild vorangeht, ich etwas schneller reagiere relativ gesehen, als wenn ein deutsches Bild zuvor eingeblitzt wird und umgekehrt wenn deutsch, türkische Bilder vor positiven Bildern eingeblitzt werden."

    Das Erstaunliche daran ist, dass die Versuchspersonen vor dem Test einen anonymisierten Fragebogen ausfüllten, auf dem ausdrücklich auch nach Vorurteilen gegenüber Ausländern gefragt wurde. Dabei zeigten sich keinerlei Auffälligkeiten, die womöglich Rückschlüsse auf den Test zuließen. Fraglich ist, ob Menschen sich über diese unbewussten Ressentiments im Klaren sind, denn diese können direkte Auswirkungen auf den Alltag haben, so Prof.Dirk Wentura, zum Beispiel wenn in Personalabteilungen jemand "Auszubildende auswählen muss, der da Hundert Mappen auf dem Schreibtisch hat und sehr zügig durchgeht und schaut, wer kommt für uns in Frage, könnte es sein, nur als Frage hingestellt, dass hier doch subtil solche leichten Negativbewertungen die Auswahl lenken."