"Ja also, ich sehe manchmal den Tod als Erlösung von all meinen Problemen, die ich hier auf der Welt habe. Ich glaube, viele habe die Beziehung zum Tod, dass danach alles Ende ist und dass die nicht sterben wollen, aber bei mir ist das ne andere Beziehung, ich hab das eher so wie einen Freund, der bei mir bleibt, der bei mir ist und wenn alles schlimm ist, kann ich immer noch auf ihn zurückgreifen und dann ist einfach alles Ende."
Maya, die in Wirklichkeit anders heißt, hat schon mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Die 16-jährige Realschülerin mit den weichen, beinahe noch kindlichen Gesichtszügen spricht nur ungern über ihre Probleme. Wenn die große Traurigkeit sie überkommt, fühlt sie sich unendlich müde, selbst das Atmen fällt ihr schwer. Sie hat zu nichts mehr Lust, ist wie erschlagen, liegt nur im Bett, den Kopf voll düsterer Gedanken. Am liebsten würde sie dann aufhören, zu existieren.
"Also es gibt Situationen, da fühle ich mich, als ob ich echt niemanden habe, aber ich weiß, dass ich, ich hab meine Familie, meine Mutter, die stehen total hinter mir, aber ich spüre das manchmal nicht, weil ich hab das Gefühl, als ob eine Glasscheibe manchmal zwischen uns ist und dass ich die Welt anders wahrnehme als sie. Wenn dann Streit mit einer Freundin ist und der ganz schlimm endet, Trennungen, verlassen werden, so was bringt mich total aus der Reihe und wenn ich dann einfach nur noch nachdenke und merke, wie, das ist natürlich meine kranke Sichtweise, denke dann so, ja ich hab niemanden mehr und ihr könnt mich alle mal und dann will ich einfach nur noch gehen."
9451 Menschen haben sich 2008 in Deutschland das Leben genommen. 225 darunter waren jünger als 20 Jahre. Bis heute ist nicht geklärt, warum Menschen überhaupt in der Lage sind, sich selbst zu töten. Denn ein Suizid steht im krassen Gegensatz zum Überlebensinstinkt. Sogar die als Erklärungsversuch oft zitierte Geschichte der Lemminge, die sich in ganzen Horden von Felsklippen in den Tod stürzen, hat sich mittlerweile als Märchen entpuppt. Über die Gründe, warum jemand seinem Leben freiwillig ein Ende setzt, kann auch Christoph Arning, Leiter der Kinder und Jugendpsychiatrie in Essen-Werden, nur spekulieren.
"Eine Voraussetzung, die im Regelfall da ist, ist ein gewisses Ausmaß an Verzweiflung, und Verzweiflung entsteht ja oft in dem Zusammenhang, dass es keine Hoffnung mehr oder sehr wenig Hoffnung gibt, dass sich an einer aktuell sehr schlechten, leidvoll empfundenen Lage etwas verändert. Und dann wird Todessehnsucht langsam zum, ja auch zu einem Inhalt, wenn andere Inhalte fehlen, also ein ganz entscheidender existenzieller Plan, den man verfolgen kann, sozusagen auch der entscheidendste im Leben und der letzte, wenn andere Dinge einen nicht mehr motivieren oder andere Inhalte verloren gegangen sind."
Durchschnittlich alle 56 Minuten scheidet in Deutschland ein Mensch nach einem Suizid aus dem Leben. Alle sechs Minuten, so vermuten Fachleute, versucht sich jemand selbst zu töten. Nachdem die Suizidrate seit Ende der 70er-Jahre kontinuierlich gesunken war und sich beinahe halbiert hatte, ermittelte das Statistische Bundesamt für 2008 erstmals wieder eine leichte Zunahme bei den "vorsätzlichen Selbstbeschädigungen", wie der Freitod im Behördendeutsch heißt. Nach wie vor ist die Zahl der Suizidopfer fast doppelt so hoch wie die der Verkehrstoten.
"Also erst mal zu der Annahme, dass die Rate erfolgreicher - ist immer ein komisches Wort erfolgreich in Zusammenhang mit Suizid und Selbsttötung - also sagen wir mal zum Tod führender Suizidversuche, dass diese, dass das so deutlich zurückgegangen wäre, das kann ich nicht widerlegen, möchte ich auch nicht widerlegen, wäre ja sehr erfreulich, ich will nur noch anmerken, dass bei der, beim Messen, beim Zählen von ... erfolgreichen Suiziden bei Kindern und Jugendlichen es immer schon eine extrem hohe Dunkelziffer gibt, das ist auch nachvollziehbar, weil natürlich in vielen Fällen die Todesursache, sagen wir mal durch Selbstvergiftung oder noch häufiger bei Ereignissen, die nachher aussehen wie Unfälle, weil natürlich auch aus Rücksicht auf die Eltern und auf's soziale Umfeld alleine die Idee, dass es sich auch um einen Selbstmord gehandelt haben könnte oft gar nicht ausgesprochen wird, also man muss davon ausgehen, dass es eine ganze Menge nicht als Selbstmord erkannter Selbsttötungen von Kindern und Jugendlichen gibt."
Wenn ein Kind vor ein Auto läuft, sich aus dem Fenster stürzt, Tabletten aus dem Medizinschrank schluckt oder ätzende Putzmittel trinkt, ist eine Tötungsabsicht nicht unbedingt erkennbar. Es fällt schwer, zu glauben, dass bereits Kinder und Jugendliche so hoffnungslos und verzweifelt sein können, dass sie nicht mehr leben wollen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien im Rheinland berichten davon, dass immer mehr Kinder und Jugendliche nach einem Suizidversuch in die Notaufnahmen gebracht werden. 50 bis 60 akute Fälle jeden Monat zählen beispielsweise Kölner Mediziner seit rund zwei Jahren. Anfang der 90er-Jahre waren es höchstens zehn, sagt Professor Christoph Wewetzer, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an den Städtischen Kliniken in Köln-Holweide.
"Also zu den Zahlen kommen wir, weil wir ja mit den anderen Kliniken im Verband Nordrhein festgestellt haben, dass wir eigentlich in den letzten Monaten eine deutliche Zunahme an solchen akuten Krisen hatten und haben deshalb in allen Kliniken im November eine Bestandaufnahme gemacht, das heißt, wir haben mal in der Nacht, jede Nacht von den Dienstärzten aufschreiben lassen, wie viel Vorstellungen, und da waren es in unserem Haus im Endeffekt 30 Vorstellungen, Notfall davon waren fast 90 Prozent wegen akuter Eigengefährdung und das sind nur die Vorstellungen, die außerhalb der Dienstzeit kommen, als das was in der normalen Dienstzeit kommt, in den normalen acht Stunden, kommt eh noch mal dazu."
Ein Auszug aus dem Klinikprotokoll eines ganz gewöhnlichen Dienstags:
"18.30 Uhr: Ein zehnjähriger Junge wird als Notfall vorgestellt. Er hat Depressionen. Vor zwei Wochen wollte er sich erhängen, wurde von seiner Mutter gerade noch daran gehindert. 20 Uhr: Eine 14-Jährige hat sich mit einem Messer die Innenseite des Oberarms massiv geritzt und sich damit selbst verletzt. Sie klagt über Belastungen in Schule und Familie, fühlt sich überfordert und nicht verstanden, hat bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich. Sie wird auf der geschützten Station untergebracht. 22 Uhr: Ein in der Klinik bekannter 16-Jähriger mit einer depressiven Störung droht, sich umzubringen. Der Mutter wird nahegelegt, ihn vorzustellen. 1 Uhr: Auf der Jugendstation können zwei Patientinnen wegen ihrer hohen Anspannung und ihrer Verzweiflung nicht schlafen. Sie berichten, dass sie Selbstmordgedanken haben."
"Unser Eindruck ist, dass das schon auch durch die mediale Präsenz einfach für Jugendliche präsenter ist, Suizidalität oder überhaupt einen Suizidversuch zu machen. Bisher, muss man ja sagen, gab es ja eigentlich mit der Presse gerade auch mit dem Fernsehen eigentlich ne Absprache unausgesprochen, dass man solche Fälle nicht in der Form darstellt, eben nicht mehr die Brücke zu zeigen, nicht mehr die Brücke abzubilden, von der jemand gesprungen ist, eben nicht mehr den Zug zu zeigen, nicht mehr das Hochhaus zu zeigen. Und das ist natürlich auch was, wenn Sie jetzt einen Jugendlichen haben und wir wissen, dass sehr viele Jugendliche suizidale Gedanken haben, das ist fast bis 30 Prozent, sagen manche Untersuchungen und ich bin in einer Notlage und ich habe dann so ein Modell, hat das einen unheimlichen Aufforderungscharakter."
Da spektakuläre Berichte in der Presse selbstmordgefährdete Menschen enorm beeinflussen können, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention den Medien auf allzu detaillierte oder romantisierende Darstellungen zu verzichten. Als Robert Enke, Torhüter des Bundesligisten Hannover 96, sich im November vergangenen Jahres das Leben nahm, war von der erbetenen Zurückhaltung allerdings nichts zu spüren.
"Robert Enke war eigentlich in meinen Augen ein Tabubruch. Also wir haben alle sofort gesagt, dass wird uns die nächsten Nächte viel Ärger bereiten. Ich fand es völlig unangemessen, das ist ne Heroisierung, das ist für Jugendliche ja jemand wie ein Nationaltorhüter ein unheimliches Identifikationsobjekt, denken Sie an die Darstellung, das halbe Stadion voll mit dem Sarg, mit dem Raustragen, also das war in meinen Augen ein Tabubruch. So etwas ist sofort eine Verschärfung, das war auch ganz klar, haben wir auch gemerkt, bis dahin, dass wir tatsächlich Jugendliche haben, die Torleute waren, ja, also so eine ganz enge Identifikation mit dem Opfer."
Seit Goethes literarischer Held Werther sich aus unerfüllter Liebe das Leben nahm, und damit 1775 eine wahre Selbstmordwelle unter jungen Männern auslöste, ist das Phänomen des Nachahmereffektes bekannt. So stieg Anfang der 80er-Jahre nach der Ausstrahlung der ZDF-Serie "Tod eines Schülers" die Suizidrate bei männlichen Jugendlichen um 175 Prozent. Wie viele Folgetaten der Freitod Robert Enkes nach sich gezogen haben könnte, darüber gibt es keine Zahlen.
"Wir hatten hier in der Umgebung, das ist Gott sei Dank nicht durch die Presse gegangen, einen Suizidversuch, war keine Patientin von uns, ich glaube in Wermelskirchen ist ein Mädchen von einem Schulgebäude gesprungen, hat sich erfolgreich suizidiert, da haben wir in der Folgezeit aus der Schule acht Jugendliche aufgenommen, die sich damit auseinandergesetzt haben, die selber so etwas gedacht haben, in Würzburg hat sich letztens ein Mädchen erfolgreich damit suizidiert, dass sie von der Brücke gesprungen ist, zwei Wochen später die beste Freundin. So dass wir mittlerweile schon fast fordern, wenn so etwas ist in der Schule, man müsste fast eine Prävention machen, müsste in die Schule gehen, müsste aufklären, die Würzburger Kollegen haben das auch gemacht, die sind dann in diese Schulen gegangen, um Folgesuizide zu verhindern, also dieser Aufforderungscharakter ist nicht zu unterschätzen."
Große Sorge bereitet dem Kölner Mediziner Wewetzer auch das Internet. Mit einem Mausklick können labile Jugendliche dort mit Gleichgesinnten in Sachen Suizid oder Selbstverletzung in Kontakt treten und sich über ihre Ängste und Sehnsüchte austauschen. Auch makabere Tipps über die besten Methoden, inklusive Wirksamkeit, Dauer und Schmerz sind auf diesen Seiten zu finden. Die Anonymität schafft Vertrauen, es gibt keine Kontrolle und keine Tabus.
"Wenn Sie mal reingehen und gucken sich an, was es für Foren gibt in Hinblick auf Selbstverletzungen, wie dort Jugendliche und auch Erwachsene intensiv beschreiben wie sie das erleben, wie das ist, wenn die Haut aufgeht, wenn das Blut fließt, wie das entspannend ist, hat das natürlich einen starken Aufforderungscharakter und wir haben hier Patienten, die sich regelrecht über das Internet in solchen Foren mit anderen Jugendlichen verabreden zum gemeinsamen Schneiden, obwohl man sich noch nie gesehen hat. Ja, also man beschreibt seinen Gefühlszustand und dann sitzt man da sozusagen am PC und schneidet sich und kommuniziert darüber."
Wie viele Selbstverletzungs- und Suizidforen sich im Dickicht des Internets tummeln, weiß niemand genau. Sicher ist, dass die morbiden Gesprächskreise fast genauso alt sind wie das Netz selbst und die Mehrzahl der Nutzer jünger als 30 Jahre ist. Die 16-jährige Maya lässt von solchen Foren allerdings lieber die Finger.
"Ich hab mir eine Seite davon einmal angeguckt, aber das war einfach, das waren alles so Trittbrettfahrer, das waren, ich konnte diese Leute einfach nicht ernst nehmen, ich konnte mir nicht vorstellen, dass die genauso fühlen wie ich. Das sind alles Seiten, wo man sich hochjubelt. Ich habe da nicht ein vernünftige Antwort gelesen, ich lese dann nur so: Ja, ich verstehe Dich, xy, du musst das so und so machen, dann geht es schneller, ... das sind einfach nur alles Hochpush-Seiten."
Dass Jugendliche sich im Internet zum gemeinsamen Freitod verabreden, wie manche befürchten, scheint eher die Ausnahme zu sein. Doch Untersuchungen, ob Selbstmordforen junge Menschen zu einem Suizid anstiften können, gibt es bislang nicht. Genauso wenig lässt sich die Frage beantworten, wie viele Suizide die Foren vielleicht schon verhindert haben.
"Man weiß ja auch bei den Risikofaktoren für Suizidalität, dass Selbsttötungen im näheren Umfeld ein erheblicher Risikofaktor sind, wahrscheinlich alleine dadurch, dass das als eine Möglichkeit, die im Horizont des Machbaren überhaupt auftaucht dadurch für Jugendliche präsent wird und in diese Funktion kann jetzt natürlich auch ein Medium wie das Internet kommen, dass dadurch der Gedanke, dass es nicht was völlig Unvorstellbares ist, sondern dass man chatten kann mit anderen Leuten, die sagen, ja, ich denk da auch oft dran oder ich würde es so machen oder ich würde es so machen, dass dadurch einfach die, ja ich will nicht sagen die Verlockung aber die Möglichkeit, dass das eine Variante des Handelns ist, die wird einfach greifbarer, das mag einen Einfluss haben. Ich würde mich allerdings sehr davor hüten dem Internet jetzt wie bei vielen anderen Fragen auch den Schwarzen Peter der Verursachung oder der Schuld zuzuschieben, denn die Ursachen, auch so individuell die sein mögen, aber die Ursachen, sich einen solchen Schritt zu überlegen oder sich dem anzunähern, die kann man sicher nicht in einem Wissen über die Möglichkeiten diesen Schrittes sehen. Die Schwelle wird niedriger, aber die Ursachen können das meiner Ansicht nach nicht sein."
Einen Grund für die Zunahme von Suizidversuchen bei Minderjährigen sieht Christoph Arning vielmehr darin, dass immer mehr Kinder in zerrütteten Familien aufwachsen und ihnen die Ansprechpartner für ihre Probleme fehlen. Nicht wenige Eltern fühlen sich mit der Erziehung überfordert, versäumen es, Grenzen zu setzen und verwöhnen lieber anstatt sich Zeit für Gespräche mit ihren Kindern zu nehmen.
"Ein anderer Faktor, der zumindest meiner Ansicht nach eine Rolle spielt, kann auch sein, dass der Leistungsanspruch an Jugendliche im Lauf der Jahre immer höher geworden ist, also so ist es zum Beispiel vielen Jugendlichen, die eine Hauptschule besuchen oder in Richtung eines Hauptschulabschlusses sich bewegen, schon relativ klar oder haben das Gefühl und äußern das oft, dass sie damit eigentlich schon auf der Seite der gesellschaftlichen Verlierer stehen, viele Jugendliche stehen da unter einem enormen Leistungsdruck, was schulischen Erfolg angeht, später auch Lehrstellen zu kriegen, irgendwie in den Arbeitsmarkt zu kommen und das ist sicher auch was, was viele Jugendliche dann chronisch überfordern kann."
"Wir haben eine ganze Reihe von Jugendlichen, die kommen, die sagen, ich halt dem Druck nicht mehr stand, ich möchte Abitur machen, aber ich schaffe das nicht und jetzt wird das noch mehr und ich muss noch mehr lernen, ich lern eh schon soviel. ... Wir erleben es schon so, dass ein Großteil der Jugendlichen Schule immer stärker als eine Drucksituation erlebt, als Anspannung, ... unsere ruhigste Zeit sind die sechs Wochen Sommerferien, wenn keine Schule ist."
Vor allem in der Pubertät müssen Jugendliche ständig mit Krisen und Veränderungen zurechtkommen. Das Ende der ersten großen Liebe, Stress in der Schule und mit den Eltern, Drogenprobleme, Gefühle von Chancenlosigkeit und Ausgrenzung schüren Verzweiflung und Hilflosigkeit. Extreme Stimmungsschwankungen, mal himmelhochjauchzend, dann wieder zu Tode betrübt, Unsicherheit, Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexe machen den Heranwachsenden zu schaffen. Der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein ist eine Zeit des äußeren und inneren Umbruchs, in der sich immer wieder die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt.
"Wer bin ich eigentlich, wo stehe ich, für was stehe ich, was will ich eigentlich, für was lebe ich, das sind ja Dinge, die im jugendlichen Alter adäquate Dinge sind, mit denen man sich auseinandersetzt. Aber so etwas bis hin zu dem Schritt, ich tu wirklich was, ist ein großer Schritt. Eigentlich. Da haben wir eben das Gefühl, dieser Schritt ist in den letzten, muss in den letzten Jahren kleiner geworden sein, weil es einfach schneller geht. Wir haben manchmal schon das Gefühl, eine kleinere emotionale Krise reicht, dass jemand sagt, ich bring mich um, möchte nicht mehr leben."
"Ich habe versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden, auch mehrmals, aber ich kann selber nicht so gut Blut sehen und wenn ich dann angefangen habe, so ganz kurzen Schnitt und da kam schon das Blut, bin ich umgekippt und das war halt echt Scheiße. Als ich dann wieder aufgewacht bin und gesehen habe, dass ich immer noch lebe, da war ich von mir selber enttäuscht vor allem und ich fand es auch blöd, dass es nicht funktioniert hat und dann der nächste Gedanke war einfach nur, dass es mir leid tut, was ich für einen Mist ich meinen Eltern und meinen Freunden antue damit, dass ich mich halt schuldig fühle."
Während Mädchen in der Regel sanftere Methoden wählen, sich durch Ritzen lebensgefährliche Verletzungen zufügen oder Tabletten nehmen, versuchen Jungen eher, sich zu erhängen oder vor einen Zug zu werfen. Vollendete Selbsttötungen kommen deshalb bei ihnen häufiger vor, während die Zahl der Suizidversuche bei Mädchen deutlich höher liegt. Besonders gefährdet sind junge Frauen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, wobei das Selbstmordrisiko bei türkischen Mädchen höher ist als das bei deutschen. Einen möglichen Grund dafür sehen Wissenschaftler in der Diskrepanz zwischen den traditionellen Werten der Familie und dem deutschen Alltag. Doch nur ganz wenige, die nach einem Suizidversuch in der Klinik landen, wollten sich tatsächlich das Leben nehmen.
"Zu diesen Suizidversuchen muss man aber auch sagen, auf keinen Fall darf man die verharmlosen, denn selbst wenn ein Jugendlicher sagt, na ja, ich begebe mich mal in eine Grauzone von Gefahr, dass ich vielleicht auch daran sterbe, dann kann er das, was er tut eventuell auch eklatant falsch einschätzen, zum Beispiel Tabletten nehmen, die seiner Ansicht nach vielleicht nicht direkt zum Tode führen dann es aber letzten Endes doch tun oder zumindest schwere organische Schäden verursachen und so weiter, also auch diese Art von Suizidversuchen sind oft sehr ernst zu nehmen, das ist keine Sache, die man abtun sollte als ja, da will jemand Aufmerksamkeit."
Ein Selbsttötungsversuch kommt nie aus heiterem Himmel, sagt der Experte. Wenn Kinder und Jugendliche sich plötzlich zurückziehen, ihre Hobbys vernachlässigen, viel grübeln und häufig niedergeschlagen sind, sollten bei Eltern die Alarmglocken läuten. Maya ist 14 Jahre alt, als ein Erlebnis, über das sie lieber nicht sprechen möchte, sie aus der Bahn wirft. Sie fällt immer tiefer in ein schwarzes Loch voller Trauer und Verzweiflung, bis auch ihre Mutter die Veränderung bemerkt.
"Das fing an mit ihren Haaren, dass sie irgendwie den Pony ganz lang wachsen ließ, damit sie die Leute nicht so anschauen musste und alles so in diese Richtung, dass sie sich von der Kleidung geändert hat, ein bisschen ruhiger wurde, so in die Richtung. Dann habe ich gedacht, die ist inne Pubertät, lasse mal, das wird schon, wenn was ist, wird sie dich schon ansprechen und die Mode ist ja sowieso total, weiß ich nicht, in alle Richtungen, ob lang, ob kurze Haare und dann habe ich sie erst mal gelassen, ja."
Dass ihre Tochter sich regelmäßig selbst verletzt und oft an Selbstmord denkt, ahnt Monika Schmidt damals noch nicht. Bis sie im Kinderzimmer Mayas Tagebuch findet.
"Das lag offen auf dem Boden und zwar so, als ob das so aus Versehen war, aber ich hatte doch das Gefühl, sie wollte mir da einen Wink geben und da hatte ich das dann gelesen. Da ist ein Loch im Boden aufgegangen, ich bin versunken im ersten Moment. Dann gedacht eigentlich gar nicht, total hilflos war man gewesen, weil mit sowas hat man ja nie wat zu tun gehabt. Und ich bin direkt ein paar Tage später zu einer Kinder- und Jugendpsychologin und hab da mal vorgesprochen und erklärt, was da ist und um einen Termin gebeten. Und dann begann die Wartezeit, um einen Termin zu kriegen."
Laut einer Erhebung des Robert-Koch-Instituts leiden fünf Prozent aller Jugendlichen an akuten psychiatrischen Erkrankungen. Weitere 15 bis 20 Prozent zeigen Symptome, die zumindest eine Beratung erfordern würden. Doch die Hilfe ist begrenzt, und das Angebot deckt bei weitem nicht die Nachfrage. So ist die Klinik in Köln-Holweide mit 44 stationären Betten und 16 Plätzen in der Tagesklinik seit ihrer Eröffnung 2006 chronisch überbelegt. In manchen Nächten werden für akute Notfälle sogar Matratzenlager in den Fluren aufgebaut. Klinikleiter Christoph Wewetzer:
"Letztes Jahr gab es eine Umfrage der Bezirksregierung mit der Anfrage an alle Kliniken, es wäre ihnen zu Ohren gekommen, dass doch manche Kinder- und Jugendpsychiatrische Kliniken Wartezeiten hätten, sie würden jetzt mal eine Erhebung machen, da haben wir schon ein bisschen lachen müssen, da haben wir haben dann eine Erhebung mit gemacht, wir hatten zu diesem Zeitpunkt eine komplette Klinik auf der Warteliste. Also 60 Jugendliche und Kinder. Und das ist natürlich eigentlich nicht gut ... . Krisen nehmen wir immer, ganz klar, aber für in Anführungszeichen Regelfälle, das heißt aber nicht Regelfall, dass das harmlos ist sondern das sind ganz klarstationär bedürftige Kinder und Jugendliche müssen warten im Moment."
"Das ist auch Grund dafür, dass wir jetzt als Vertreter des Fachgebiets nicht müde werden anzumahnen, dass die Anzahl Kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlungsplätze immer noch zu gering ist. Dass wir alle ein Großteil damit beschäftigt sind, Leute zu vertrösten und auf Wartelisten zu verweisen und immer wieder zu erklären, dass wir schon einsehen, dass die Behandlungsbedürftigkeit da ist und die Not groß ist, aber wir einfach nicht können, weil unser Platzangebot nicht größer ist. Also insofern können Sie fragen, wen Sie möchten, ohne Wartezeiten ist da eigentlich nirgendwo was zu machen."
Der Psychologe Arning ist skeptisch, ob das Sofortprogramm, mit dem das Land Nordrhein-Westfalen die Kapazitäten in Kliniken und Tageskliniken um 30 Prozent steigern will, tatsächlich eine Entspannung bringt.
"Ich kann nur jedem raten, einmal die Woche antreten und immer wieder vorsprechen und vorsprechen und immer fragen, ob einer abgesprungen ist oder ein Termin frei geworden ist, solange, bis man Sie nicht mehr sehen kann. Bis Sie dann einen Termin kriegen Das war meine Strategie. Geh immer hin, irgendwann wollen sie nicht mehr, dass Du kommst."
Drei lange Monate hat Monika Schmidt um einen Platz für ihre Tochter gekämpft. In der Tagesklinik einer Kinder- und Jugendpsychiatrie lernt Maya jetzt mit ihren Ängsten und der Verzweiflung umzugehen. Sie versucht, das Leben nicht mehr so schwer zu nehmen, sie will sich wieder ehrenamtlich engagieren und vielleicht anderen jungen Menschen mit psychischen Problemen helfen.
"Jetzt momentan so gerade fange ich wieder an so Lebenssinn zu sehen und dass ich doch was ändern möchte und dass ich nicht einfach so gehen kann ohne was vorher in dieser Welt zu ändern. Weil wenn mir die Welt so nicht gefällt, dann muss ich sie einfach ändern. Also ich finde es natürlich nicht schlecht, dass ich anders bin, ich bin ein bisschen extrovertierter, ich schockiere gerne, provoziere gerne, aber ich wäre gerne auf eine andere Art anders. Eher so, ich würde mich freuen, wenn ich einfach nur der Freak wäre, der gerne Rockmusik hört und mit komischen Schuhen rumläuft und ich wäre nicht so gerne das Mädchen, das über den Tod nachdenkt, das ist nicht so lustig."
Maya, die in Wirklichkeit anders heißt, hat schon mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Die 16-jährige Realschülerin mit den weichen, beinahe noch kindlichen Gesichtszügen spricht nur ungern über ihre Probleme. Wenn die große Traurigkeit sie überkommt, fühlt sie sich unendlich müde, selbst das Atmen fällt ihr schwer. Sie hat zu nichts mehr Lust, ist wie erschlagen, liegt nur im Bett, den Kopf voll düsterer Gedanken. Am liebsten würde sie dann aufhören, zu existieren.
"Also es gibt Situationen, da fühle ich mich, als ob ich echt niemanden habe, aber ich weiß, dass ich, ich hab meine Familie, meine Mutter, die stehen total hinter mir, aber ich spüre das manchmal nicht, weil ich hab das Gefühl, als ob eine Glasscheibe manchmal zwischen uns ist und dass ich die Welt anders wahrnehme als sie. Wenn dann Streit mit einer Freundin ist und der ganz schlimm endet, Trennungen, verlassen werden, so was bringt mich total aus der Reihe und wenn ich dann einfach nur noch nachdenke und merke, wie, das ist natürlich meine kranke Sichtweise, denke dann so, ja ich hab niemanden mehr und ihr könnt mich alle mal und dann will ich einfach nur noch gehen."
9451 Menschen haben sich 2008 in Deutschland das Leben genommen. 225 darunter waren jünger als 20 Jahre. Bis heute ist nicht geklärt, warum Menschen überhaupt in der Lage sind, sich selbst zu töten. Denn ein Suizid steht im krassen Gegensatz zum Überlebensinstinkt. Sogar die als Erklärungsversuch oft zitierte Geschichte der Lemminge, die sich in ganzen Horden von Felsklippen in den Tod stürzen, hat sich mittlerweile als Märchen entpuppt. Über die Gründe, warum jemand seinem Leben freiwillig ein Ende setzt, kann auch Christoph Arning, Leiter der Kinder und Jugendpsychiatrie in Essen-Werden, nur spekulieren.
"Eine Voraussetzung, die im Regelfall da ist, ist ein gewisses Ausmaß an Verzweiflung, und Verzweiflung entsteht ja oft in dem Zusammenhang, dass es keine Hoffnung mehr oder sehr wenig Hoffnung gibt, dass sich an einer aktuell sehr schlechten, leidvoll empfundenen Lage etwas verändert. Und dann wird Todessehnsucht langsam zum, ja auch zu einem Inhalt, wenn andere Inhalte fehlen, also ein ganz entscheidender existenzieller Plan, den man verfolgen kann, sozusagen auch der entscheidendste im Leben und der letzte, wenn andere Dinge einen nicht mehr motivieren oder andere Inhalte verloren gegangen sind."
Durchschnittlich alle 56 Minuten scheidet in Deutschland ein Mensch nach einem Suizid aus dem Leben. Alle sechs Minuten, so vermuten Fachleute, versucht sich jemand selbst zu töten. Nachdem die Suizidrate seit Ende der 70er-Jahre kontinuierlich gesunken war und sich beinahe halbiert hatte, ermittelte das Statistische Bundesamt für 2008 erstmals wieder eine leichte Zunahme bei den "vorsätzlichen Selbstbeschädigungen", wie der Freitod im Behördendeutsch heißt. Nach wie vor ist die Zahl der Suizidopfer fast doppelt so hoch wie die der Verkehrstoten.
"Also erst mal zu der Annahme, dass die Rate erfolgreicher - ist immer ein komisches Wort erfolgreich in Zusammenhang mit Suizid und Selbsttötung - also sagen wir mal zum Tod führender Suizidversuche, dass diese, dass das so deutlich zurückgegangen wäre, das kann ich nicht widerlegen, möchte ich auch nicht widerlegen, wäre ja sehr erfreulich, ich will nur noch anmerken, dass bei der, beim Messen, beim Zählen von ... erfolgreichen Suiziden bei Kindern und Jugendlichen es immer schon eine extrem hohe Dunkelziffer gibt, das ist auch nachvollziehbar, weil natürlich in vielen Fällen die Todesursache, sagen wir mal durch Selbstvergiftung oder noch häufiger bei Ereignissen, die nachher aussehen wie Unfälle, weil natürlich auch aus Rücksicht auf die Eltern und auf's soziale Umfeld alleine die Idee, dass es sich auch um einen Selbstmord gehandelt haben könnte oft gar nicht ausgesprochen wird, also man muss davon ausgehen, dass es eine ganze Menge nicht als Selbstmord erkannter Selbsttötungen von Kindern und Jugendlichen gibt."
Wenn ein Kind vor ein Auto läuft, sich aus dem Fenster stürzt, Tabletten aus dem Medizinschrank schluckt oder ätzende Putzmittel trinkt, ist eine Tötungsabsicht nicht unbedingt erkennbar. Es fällt schwer, zu glauben, dass bereits Kinder und Jugendliche so hoffnungslos und verzweifelt sein können, dass sie nicht mehr leben wollen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien im Rheinland berichten davon, dass immer mehr Kinder und Jugendliche nach einem Suizidversuch in die Notaufnahmen gebracht werden. 50 bis 60 akute Fälle jeden Monat zählen beispielsweise Kölner Mediziner seit rund zwei Jahren. Anfang der 90er-Jahre waren es höchstens zehn, sagt Professor Christoph Wewetzer, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an den Städtischen Kliniken in Köln-Holweide.
"Also zu den Zahlen kommen wir, weil wir ja mit den anderen Kliniken im Verband Nordrhein festgestellt haben, dass wir eigentlich in den letzten Monaten eine deutliche Zunahme an solchen akuten Krisen hatten und haben deshalb in allen Kliniken im November eine Bestandaufnahme gemacht, das heißt, wir haben mal in der Nacht, jede Nacht von den Dienstärzten aufschreiben lassen, wie viel Vorstellungen, und da waren es in unserem Haus im Endeffekt 30 Vorstellungen, Notfall davon waren fast 90 Prozent wegen akuter Eigengefährdung und das sind nur die Vorstellungen, die außerhalb der Dienstzeit kommen, als das was in der normalen Dienstzeit kommt, in den normalen acht Stunden, kommt eh noch mal dazu."
Ein Auszug aus dem Klinikprotokoll eines ganz gewöhnlichen Dienstags:
"18.30 Uhr: Ein zehnjähriger Junge wird als Notfall vorgestellt. Er hat Depressionen. Vor zwei Wochen wollte er sich erhängen, wurde von seiner Mutter gerade noch daran gehindert. 20 Uhr: Eine 14-Jährige hat sich mit einem Messer die Innenseite des Oberarms massiv geritzt und sich damit selbst verletzt. Sie klagt über Belastungen in Schule und Familie, fühlt sich überfordert und nicht verstanden, hat bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich. Sie wird auf der geschützten Station untergebracht. 22 Uhr: Ein in der Klinik bekannter 16-Jähriger mit einer depressiven Störung droht, sich umzubringen. Der Mutter wird nahegelegt, ihn vorzustellen. 1 Uhr: Auf der Jugendstation können zwei Patientinnen wegen ihrer hohen Anspannung und ihrer Verzweiflung nicht schlafen. Sie berichten, dass sie Selbstmordgedanken haben."
"Unser Eindruck ist, dass das schon auch durch die mediale Präsenz einfach für Jugendliche präsenter ist, Suizidalität oder überhaupt einen Suizidversuch zu machen. Bisher, muss man ja sagen, gab es ja eigentlich mit der Presse gerade auch mit dem Fernsehen eigentlich ne Absprache unausgesprochen, dass man solche Fälle nicht in der Form darstellt, eben nicht mehr die Brücke zu zeigen, nicht mehr die Brücke abzubilden, von der jemand gesprungen ist, eben nicht mehr den Zug zu zeigen, nicht mehr das Hochhaus zu zeigen. Und das ist natürlich auch was, wenn Sie jetzt einen Jugendlichen haben und wir wissen, dass sehr viele Jugendliche suizidale Gedanken haben, das ist fast bis 30 Prozent, sagen manche Untersuchungen und ich bin in einer Notlage und ich habe dann so ein Modell, hat das einen unheimlichen Aufforderungscharakter."
Da spektakuläre Berichte in der Presse selbstmordgefährdete Menschen enorm beeinflussen können, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention den Medien auf allzu detaillierte oder romantisierende Darstellungen zu verzichten. Als Robert Enke, Torhüter des Bundesligisten Hannover 96, sich im November vergangenen Jahres das Leben nahm, war von der erbetenen Zurückhaltung allerdings nichts zu spüren.
"Robert Enke war eigentlich in meinen Augen ein Tabubruch. Also wir haben alle sofort gesagt, dass wird uns die nächsten Nächte viel Ärger bereiten. Ich fand es völlig unangemessen, das ist ne Heroisierung, das ist für Jugendliche ja jemand wie ein Nationaltorhüter ein unheimliches Identifikationsobjekt, denken Sie an die Darstellung, das halbe Stadion voll mit dem Sarg, mit dem Raustragen, also das war in meinen Augen ein Tabubruch. So etwas ist sofort eine Verschärfung, das war auch ganz klar, haben wir auch gemerkt, bis dahin, dass wir tatsächlich Jugendliche haben, die Torleute waren, ja, also so eine ganz enge Identifikation mit dem Opfer."
Seit Goethes literarischer Held Werther sich aus unerfüllter Liebe das Leben nahm, und damit 1775 eine wahre Selbstmordwelle unter jungen Männern auslöste, ist das Phänomen des Nachahmereffektes bekannt. So stieg Anfang der 80er-Jahre nach der Ausstrahlung der ZDF-Serie "Tod eines Schülers" die Suizidrate bei männlichen Jugendlichen um 175 Prozent. Wie viele Folgetaten der Freitod Robert Enkes nach sich gezogen haben könnte, darüber gibt es keine Zahlen.
"Wir hatten hier in der Umgebung, das ist Gott sei Dank nicht durch die Presse gegangen, einen Suizidversuch, war keine Patientin von uns, ich glaube in Wermelskirchen ist ein Mädchen von einem Schulgebäude gesprungen, hat sich erfolgreich suizidiert, da haben wir in der Folgezeit aus der Schule acht Jugendliche aufgenommen, die sich damit auseinandergesetzt haben, die selber so etwas gedacht haben, in Würzburg hat sich letztens ein Mädchen erfolgreich damit suizidiert, dass sie von der Brücke gesprungen ist, zwei Wochen später die beste Freundin. So dass wir mittlerweile schon fast fordern, wenn so etwas ist in der Schule, man müsste fast eine Prävention machen, müsste in die Schule gehen, müsste aufklären, die Würzburger Kollegen haben das auch gemacht, die sind dann in diese Schulen gegangen, um Folgesuizide zu verhindern, also dieser Aufforderungscharakter ist nicht zu unterschätzen."
Große Sorge bereitet dem Kölner Mediziner Wewetzer auch das Internet. Mit einem Mausklick können labile Jugendliche dort mit Gleichgesinnten in Sachen Suizid oder Selbstverletzung in Kontakt treten und sich über ihre Ängste und Sehnsüchte austauschen. Auch makabere Tipps über die besten Methoden, inklusive Wirksamkeit, Dauer und Schmerz sind auf diesen Seiten zu finden. Die Anonymität schafft Vertrauen, es gibt keine Kontrolle und keine Tabus.
"Wenn Sie mal reingehen und gucken sich an, was es für Foren gibt in Hinblick auf Selbstverletzungen, wie dort Jugendliche und auch Erwachsene intensiv beschreiben wie sie das erleben, wie das ist, wenn die Haut aufgeht, wenn das Blut fließt, wie das entspannend ist, hat das natürlich einen starken Aufforderungscharakter und wir haben hier Patienten, die sich regelrecht über das Internet in solchen Foren mit anderen Jugendlichen verabreden zum gemeinsamen Schneiden, obwohl man sich noch nie gesehen hat. Ja, also man beschreibt seinen Gefühlszustand und dann sitzt man da sozusagen am PC und schneidet sich und kommuniziert darüber."
Wie viele Selbstverletzungs- und Suizidforen sich im Dickicht des Internets tummeln, weiß niemand genau. Sicher ist, dass die morbiden Gesprächskreise fast genauso alt sind wie das Netz selbst und die Mehrzahl der Nutzer jünger als 30 Jahre ist. Die 16-jährige Maya lässt von solchen Foren allerdings lieber die Finger.
"Ich hab mir eine Seite davon einmal angeguckt, aber das war einfach, das waren alles so Trittbrettfahrer, das waren, ich konnte diese Leute einfach nicht ernst nehmen, ich konnte mir nicht vorstellen, dass die genauso fühlen wie ich. Das sind alles Seiten, wo man sich hochjubelt. Ich habe da nicht ein vernünftige Antwort gelesen, ich lese dann nur so: Ja, ich verstehe Dich, xy, du musst das so und so machen, dann geht es schneller, ... das sind einfach nur alles Hochpush-Seiten."
Dass Jugendliche sich im Internet zum gemeinsamen Freitod verabreden, wie manche befürchten, scheint eher die Ausnahme zu sein. Doch Untersuchungen, ob Selbstmordforen junge Menschen zu einem Suizid anstiften können, gibt es bislang nicht. Genauso wenig lässt sich die Frage beantworten, wie viele Suizide die Foren vielleicht schon verhindert haben.
"Man weiß ja auch bei den Risikofaktoren für Suizidalität, dass Selbsttötungen im näheren Umfeld ein erheblicher Risikofaktor sind, wahrscheinlich alleine dadurch, dass das als eine Möglichkeit, die im Horizont des Machbaren überhaupt auftaucht dadurch für Jugendliche präsent wird und in diese Funktion kann jetzt natürlich auch ein Medium wie das Internet kommen, dass dadurch der Gedanke, dass es nicht was völlig Unvorstellbares ist, sondern dass man chatten kann mit anderen Leuten, die sagen, ja, ich denk da auch oft dran oder ich würde es so machen oder ich würde es so machen, dass dadurch einfach die, ja ich will nicht sagen die Verlockung aber die Möglichkeit, dass das eine Variante des Handelns ist, die wird einfach greifbarer, das mag einen Einfluss haben. Ich würde mich allerdings sehr davor hüten dem Internet jetzt wie bei vielen anderen Fragen auch den Schwarzen Peter der Verursachung oder der Schuld zuzuschieben, denn die Ursachen, auch so individuell die sein mögen, aber die Ursachen, sich einen solchen Schritt zu überlegen oder sich dem anzunähern, die kann man sicher nicht in einem Wissen über die Möglichkeiten diesen Schrittes sehen. Die Schwelle wird niedriger, aber die Ursachen können das meiner Ansicht nach nicht sein."
Einen Grund für die Zunahme von Suizidversuchen bei Minderjährigen sieht Christoph Arning vielmehr darin, dass immer mehr Kinder in zerrütteten Familien aufwachsen und ihnen die Ansprechpartner für ihre Probleme fehlen. Nicht wenige Eltern fühlen sich mit der Erziehung überfordert, versäumen es, Grenzen zu setzen und verwöhnen lieber anstatt sich Zeit für Gespräche mit ihren Kindern zu nehmen.
"Ein anderer Faktor, der zumindest meiner Ansicht nach eine Rolle spielt, kann auch sein, dass der Leistungsanspruch an Jugendliche im Lauf der Jahre immer höher geworden ist, also so ist es zum Beispiel vielen Jugendlichen, die eine Hauptschule besuchen oder in Richtung eines Hauptschulabschlusses sich bewegen, schon relativ klar oder haben das Gefühl und äußern das oft, dass sie damit eigentlich schon auf der Seite der gesellschaftlichen Verlierer stehen, viele Jugendliche stehen da unter einem enormen Leistungsdruck, was schulischen Erfolg angeht, später auch Lehrstellen zu kriegen, irgendwie in den Arbeitsmarkt zu kommen und das ist sicher auch was, was viele Jugendliche dann chronisch überfordern kann."
"Wir haben eine ganze Reihe von Jugendlichen, die kommen, die sagen, ich halt dem Druck nicht mehr stand, ich möchte Abitur machen, aber ich schaffe das nicht und jetzt wird das noch mehr und ich muss noch mehr lernen, ich lern eh schon soviel. ... Wir erleben es schon so, dass ein Großteil der Jugendlichen Schule immer stärker als eine Drucksituation erlebt, als Anspannung, ... unsere ruhigste Zeit sind die sechs Wochen Sommerferien, wenn keine Schule ist."
Vor allem in der Pubertät müssen Jugendliche ständig mit Krisen und Veränderungen zurechtkommen. Das Ende der ersten großen Liebe, Stress in der Schule und mit den Eltern, Drogenprobleme, Gefühle von Chancenlosigkeit und Ausgrenzung schüren Verzweiflung und Hilflosigkeit. Extreme Stimmungsschwankungen, mal himmelhochjauchzend, dann wieder zu Tode betrübt, Unsicherheit, Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexe machen den Heranwachsenden zu schaffen. Der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein ist eine Zeit des äußeren und inneren Umbruchs, in der sich immer wieder die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt.
"Wer bin ich eigentlich, wo stehe ich, für was stehe ich, was will ich eigentlich, für was lebe ich, das sind ja Dinge, die im jugendlichen Alter adäquate Dinge sind, mit denen man sich auseinandersetzt. Aber so etwas bis hin zu dem Schritt, ich tu wirklich was, ist ein großer Schritt. Eigentlich. Da haben wir eben das Gefühl, dieser Schritt ist in den letzten, muss in den letzten Jahren kleiner geworden sein, weil es einfach schneller geht. Wir haben manchmal schon das Gefühl, eine kleinere emotionale Krise reicht, dass jemand sagt, ich bring mich um, möchte nicht mehr leben."
"Ich habe versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden, auch mehrmals, aber ich kann selber nicht so gut Blut sehen und wenn ich dann angefangen habe, so ganz kurzen Schnitt und da kam schon das Blut, bin ich umgekippt und das war halt echt Scheiße. Als ich dann wieder aufgewacht bin und gesehen habe, dass ich immer noch lebe, da war ich von mir selber enttäuscht vor allem und ich fand es auch blöd, dass es nicht funktioniert hat und dann der nächste Gedanke war einfach nur, dass es mir leid tut, was ich für einen Mist ich meinen Eltern und meinen Freunden antue damit, dass ich mich halt schuldig fühle."
Während Mädchen in der Regel sanftere Methoden wählen, sich durch Ritzen lebensgefährliche Verletzungen zufügen oder Tabletten nehmen, versuchen Jungen eher, sich zu erhängen oder vor einen Zug zu werfen. Vollendete Selbsttötungen kommen deshalb bei ihnen häufiger vor, während die Zahl der Suizidversuche bei Mädchen deutlich höher liegt. Besonders gefährdet sind junge Frauen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, wobei das Selbstmordrisiko bei türkischen Mädchen höher ist als das bei deutschen. Einen möglichen Grund dafür sehen Wissenschaftler in der Diskrepanz zwischen den traditionellen Werten der Familie und dem deutschen Alltag. Doch nur ganz wenige, die nach einem Suizidversuch in der Klinik landen, wollten sich tatsächlich das Leben nehmen.
"Zu diesen Suizidversuchen muss man aber auch sagen, auf keinen Fall darf man die verharmlosen, denn selbst wenn ein Jugendlicher sagt, na ja, ich begebe mich mal in eine Grauzone von Gefahr, dass ich vielleicht auch daran sterbe, dann kann er das, was er tut eventuell auch eklatant falsch einschätzen, zum Beispiel Tabletten nehmen, die seiner Ansicht nach vielleicht nicht direkt zum Tode führen dann es aber letzten Endes doch tun oder zumindest schwere organische Schäden verursachen und so weiter, also auch diese Art von Suizidversuchen sind oft sehr ernst zu nehmen, das ist keine Sache, die man abtun sollte als ja, da will jemand Aufmerksamkeit."
Ein Selbsttötungsversuch kommt nie aus heiterem Himmel, sagt der Experte. Wenn Kinder und Jugendliche sich plötzlich zurückziehen, ihre Hobbys vernachlässigen, viel grübeln und häufig niedergeschlagen sind, sollten bei Eltern die Alarmglocken läuten. Maya ist 14 Jahre alt, als ein Erlebnis, über das sie lieber nicht sprechen möchte, sie aus der Bahn wirft. Sie fällt immer tiefer in ein schwarzes Loch voller Trauer und Verzweiflung, bis auch ihre Mutter die Veränderung bemerkt.
"Das fing an mit ihren Haaren, dass sie irgendwie den Pony ganz lang wachsen ließ, damit sie die Leute nicht so anschauen musste und alles so in diese Richtung, dass sie sich von der Kleidung geändert hat, ein bisschen ruhiger wurde, so in die Richtung. Dann habe ich gedacht, die ist inne Pubertät, lasse mal, das wird schon, wenn was ist, wird sie dich schon ansprechen und die Mode ist ja sowieso total, weiß ich nicht, in alle Richtungen, ob lang, ob kurze Haare und dann habe ich sie erst mal gelassen, ja."
Dass ihre Tochter sich regelmäßig selbst verletzt und oft an Selbstmord denkt, ahnt Monika Schmidt damals noch nicht. Bis sie im Kinderzimmer Mayas Tagebuch findet.
"Das lag offen auf dem Boden und zwar so, als ob das so aus Versehen war, aber ich hatte doch das Gefühl, sie wollte mir da einen Wink geben und da hatte ich das dann gelesen. Da ist ein Loch im Boden aufgegangen, ich bin versunken im ersten Moment. Dann gedacht eigentlich gar nicht, total hilflos war man gewesen, weil mit sowas hat man ja nie wat zu tun gehabt. Und ich bin direkt ein paar Tage später zu einer Kinder- und Jugendpsychologin und hab da mal vorgesprochen und erklärt, was da ist und um einen Termin gebeten. Und dann begann die Wartezeit, um einen Termin zu kriegen."
Laut einer Erhebung des Robert-Koch-Instituts leiden fünf Prozent aller Jugendlichen an akuten psychiatrischen Erkrankungen. Weitere 15 bis 20 Prozent zeigen Symptome, die zumindest eine Beratung erfordern würden. Doch die Hilfe ist begrenzt, und das Angebot deckt bei weitem nicht die Nachfrage. So ist die Klinik in Köln-Holweide mit 44 stationären Betten und 16 Plätzen in der Tagesklinik seit ihrer Eröffnung 2006 chronisch überbelegt. In manchen Nächten werden für akute Notfälle sogar Matratzenlager in den Fluren aufgebaut. Klinikleiter Christoph Wewetzer:
"Letztes Jahr gab es eine Umfrage der Bezirksregierung mit der Anfrage an alle Kliniken, es wäre ihnen zu Ohren gekommen, dass doch manche Kinder- und Jugendpsychiatrische Kliniken Wartezeiten hätten, sie würden jetzt mal eine Erhebung machen, da haben wir schon ein bisschen lachen müssen, da haben wir haben dann eine Erhebung mit gemacht, wir hatten zu diesem Zeitpunkt eine komplette Klinik auf der Warteliste. Also 60 Jugendliche und Kinder. Und das ist natürlich eigentlich nicht gut ... . Krisen nehmen wir immer, ganz klar, aber für in Anführungszeichen Regelfälle, das heißt aber nicht Regelfall, dass das harmlos ist sondern das sind ganz klarstationär bedürftige Kinder und Jugendliche müssen warten im Moment."
"Das ist auch Grund dafür, dass wir jetzt als Vertreter des Fachgebiets nicht müde werden anzumahnen, dass die Anzahl Kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlungsplätze immer noch zu gering ist. Dass wir alle ein Großteil damit beschäftigt sind, Leute zu vertrösten und auf Wartelisten zu verweisen und immer wieder zu erklären, dass wir schon einsehen, dass die Behandlungsbedürftigkeit da ist und die Not groß ist, aber wir einfach nicht können, weil unser Platzangebot nicht größer ist. Also insofern können Sie fragen, wen Sie möchten, ohne Wartezeiten ist da eigentlich nirgendwo was zu machen."
Der Psychologe Arning ist skeptisch, ob das Sofortprogramm, mit dem das Land Nordrhein-Westfalen die Kapazitäten in Kliniken und Tageskliniken um 30 Prozent steigern will, tatsächlich eine Entspannung bringt.
"Ich kann nur jedem raten, einmal die Woche antreten und immer wieder vorsprechen und vorsprechen und immer fragen, ob einer abgesprungen ist oder ein Termin frei geworden ist, solange, bis man Sie nicht mehr sehen kann. Bis Sie dann einen Termin kriegen Das war meine Strategie. Geh immer hin, irgendwann wollen sie nicht mehr, dass Du kommst."
Drei lange Monate hat Monika Schmidt um einen Platz für ihre Tochter gekämpft. In der Tagesklinik einer Kinder- und Jugendpsychiatrie lernt Maya jetzt mit ihren Ängsten und der Verzweiflung umzugehen. Sie versucht, das Leben nicht mehr so schwer zu nehmen, sie will sich wieder ehrenamtlich engagieren und vielleicht anderen jungen Menschen mit psychischen Problemen helfen.
"Jetzt momentan so gerade fange ich wieder an so Lebenssinn zu sehen und dass ich doch was ändern möchte und dass ich nicht einfach so gehen kann ohne was vorher in dieser Welt zu ändern. Weil wenn mir die Welt so nicht gefällt, dann muss ich sie einfach ändern. Also ich finde es natürlich nicht schlecht, dass ich anders bin, ich bin ein bisschen extrovertierter, ich schockiere gerne, provoziere gerne, aber ich wäre gerne auf eine andere Art anders. Eher so, ich würde mich freuen, wenn ich einfach nur der Freak wäre, der gerne Rockmusik hört und mit komischen Schuhen rumläuft und ich wäre nicht so gerne das Mädchen, das über den Tod nachdenkt, das ist nicht so lustig."