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Und dann zum Anwalt

Meinungsverschiedenheiten, Streitereien, für viele Berufstätige gehört das zum Arbeitsalltag. Anstrengend wird es erst, wenn ein Problem eskaliert, vor allem dann, wenn es Chef und Mitarbeiter betrifft. Mit solchen Fällen kennt sich Tim Wissmann aus. Er ist Anwalt für Arbeitsrecht und kennt beide Seiten: die des Chefs und die des Mitarbeiters.

Von Anne Allmeling |
    Probleme mit dem Chef – das hat Tim Wissmann selbst nie erlebt. Trotzdem weiß der 35-Jährige ganz genau, was ein Streit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedeuten kann – schließlich ist Wissmann Anwalt in einer Kölner Kanzlei mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht. Tagtäglich hat er hier mit seinen Mandanten zu tun – mit Firmenchefs genauso wie mit Angestellten.

    "Der klassische Fall, wenn Arbeitnehmer hierher kommen, ist natürlich, dass jemand gerade eine Kündigung bekommen hat, oftmals weiß der Mitarbeiter gar nicht ganz genau, was Hintergrund dieser Kündigung ist, weil in Kündigungsschreiben das normalerweise auch gar nicht ausgeführt wird, und dann versucht man mit dem Mitarbeiter, gemeinsam zu erörtern, was denn die Ziele sind des weiteren Vorgehens, wie man sich gegen die Kündigung zur Wehr setzt."

    Für seinen Mandanten das Optimale herauszuholen, ist das Ziel von Tim Wissmann – egal, ob es um eine Weiterbeschäftigung geht oder um eine Abfindung. Das verlangt vom Anwalt Verhandlungsgeschick und Fingerspitzengefühl. Denn gerade eine Klage ist oft erst der Auftakt von langwierigen Verhandlungen.

    "Kündigungsschutzverfahren, also Klagen vor Gericht gegen eine Kündigung, enden nur in den aller-, allerwenigsten Fällen dadurch, dass tatsächlich ein Urteil ergeht zugunsten des Arbeitnehmers und er dadurch dann wieder eingestellt wird, auch wenn er natürlich genau das einklagt und auch genau das theoretisch vollstrecken könnte. Um die 90 Prozent solcher Verfahren enden früher oder später mit einem gerichtlichen Vergleich. Damit kauft sich (wenn Sie so wollen) der Arbeitgeber frei, und der Arbeitnehmer versucht dadurch, sein wirtschaftliches Risiko, also auch seine Arbeitslosigkeit vielleicht, ein wenig aufzufangen."

    Ein Vergleich ist allerdings längst nicht für alle Arbeitnehmer akzeptabel – selbst wenn sich Probleme mit dem Chef nicht dauerhaft lösen lassen. Ein Dilemma:

    "Es gibt natürlich durchaus auch Situationen, wo ein Mitarbeiter sagt, natürlich ist durch die Kündigung, auch wenn sie vielleicht nur betriebsbedingt ist, das Verhältnis ein bisschen zerrüttet, aber ich bin 50 Jahre alt, ich finde nichts anderes – jedenfalls nichts anderes mehr, was mich in die Lage versetzt, meinen Kredit weiterzuzahlen, ich muss da wieder weiter arbeiten, und keine Abfindung der Welt kann den wirtschaftlichen Verlust, den ich ansonsten hätte, ausgleichen. Das heißt, ich muss dann theoretisch auch den gleichen harten Weg gehen und mich wieder einklagen und dann letztlich beim Arbeitgeber auch wieder arbeiten."

    In großen Unternehmen ist das nicht unbedingt ein Problem – dort, wo es keinen persönlichen Kontakt zwischen dem Arbeitnehmer und dem für die Kündigung Verantwortlichen gibt. Je kleiner die Firma ist und je enger die Verbindung zum Geschäftsführer, desto schwieriger ist die Situation für alle Beteiligten. Tim Wissmann kann sich in beide Seiten gut hineinversetzen – kein Wunder, denn er vertritt – genauso wie seine Kollegen bei "Küttner Rechtsanwälte" – sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber. Sich für eine Seite zu entscheiden, sei nicht erforderlich, sagt er:

    "Es gibt keinen Arbeitnehmer, der der geborene gute Mensch ist, und das gilt auf Arbeitgeberseite auch. Und das hat nichts mit gut oder böse, schlecht oder anderen Wertmaßstäben zu tun, sondern das ist schlicht und ergreifend Interessenvertretung, und von daher sehe ich da überhaupt keinen Konflikt – ganz im Gegenteil, für die tagtägliche Arbeit halte ich das wiederum für eminent wichtig, dass man beide Seiten kennenlernt, weil man dann auch die jeweils andere Seite viel besser beraten kann."

    Trotzdem können Wissmann und seine Kollegen nicht einfach jeden Arbeitnehmer beraten, der zu ihnen kommt. Gerd Schwamborn, der in der gleichen Kanzlei wie Wissmann arbeitet, erklärt warum:

    "Üblicherweise wird beim ersten telefonischen Kontakt abgefragt, bei welchem Arbeitgeber der Arbeitnehmer arbeitet. Hintergrund ist, dass wir natürlich auch einige größere Arbeitgeber, insbesondere hier aus dem Köln-Düsseldorfer Raum vertreten, sodass wir in diesen Fällen natürlich auch eine Beratung des Arbeitnehmers nicht mehr durchführen können, das ist die sogenannte Kollisionsprüfung, die wird automatisch durch die Sekretariate vorgenommen, sodass leider, muss man sagen, eine Vielzahl potentieller Mandanten nicht infrage kommen, alldieweil wir den entsprechenden Arbeitgeber beraten."

    Trotzdem sind etwa die Hälfte der Mandanten bei "Küttner Rechtsanwälte" Arbeitnehmer. Das wirkt sich auch auf die Arbeitszeit der Anwälte aus, sagt Gerd Schwamborn.

    "Für uns ist es üblich, dass wir sehr viele Mandantengespräche um 17 Uhr, um 18 Uhr oder sogar um 19 Uhr führen, weil gerade Arbeitnehmer ja lieber nach der Arbeit kommen, und nicht einen Tag freinehmen wollen mit der Begründung "Ich muss jetzt zu meinem Anwalt, ich habe Probleme mit Ihnen, lieber Arbeitgeber."

    Manche Probleme zwischen Chef und Mitarbeiter ließen sich bereits auf dieser Ebene, also im Rahmen einer Beratung ausräumen, ergänzt Tim Wissmann:

    "(…) Weil man natürlich im Vorfeld sehr, sehr viele Dinge klären kann, ohne dass es überhaupt eskaliert. (…) Das ist natürlich weitaus schwieriger (…) als einen Prozess zu führen, dafür braucht man auch mehr Fingerspitzengefühl und mehr Zeit (…). Also da sind klare Worte natürlich wichtig. Man muss ihnen zuhören, man muss aber auch sagen, wo es Grenzen gibt, wo vielleicht man einem Arbeitgeber sagt, da hat aber der Arbeitnehmer recht und umgekehrt."

    Eine gute und rechtzeitige Beratung sei besonders wichtig, um Probleme zu vermeiden, sagt Tim Wissmann. Und letztlich gelte das auch für ihn und seine Arbeit in der Kanzlei, wo er sich gelegentlich auch Rat von seinen Kollegen holt:

    "Ich könnte nie irgendwo alleine sitzen (…), man möchte auch mal Sachen erzählen, was man auch sonst nach außen nicht darf, um damit umgehen zu können, weil es natürlich auch immer wieder Situationen gibt, wo es sehr, sehr schwierig wird, persönlich oder von der Arbeitsbelastung oder was auch immer (…). Dass man den Austausch hat, ist, glaube ich, damit man selber damit umgehen kann, fast das Wichtigste."