Archiv


Und das Gute liegt so nah

Medizin. - Stammzellen faszinieren Forscher, Investoren und Politiker gleichermaßen. Über die ganze Vielseitigkeit verfügten bislang allerdings nur die embryonalen Stammzellen, über deren Gewinnung es tiefe ethische Kontroversen gibt. Jetzt haben Forscher aus Lübeck und St. Ingbert im Saarland eine neue Art von Stammzellen vorgestellt: Sie stammen aus dem Körper von Erwachsenen sollen aber so fit und vielseitig wie embryonale Stammzellen sein.

Von Volkart Wildermuth |
    Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. In jedem Menschen stecken gut erreichbare Stammzellen, die sich beliebig vermehren lassen und die in der Lage sind, alle wichtigen Gewebe des Körpers zu bilden. Das stand zumindest in der Einladung zur Pressekonferenz. Worin diese Stammzellquelle aber besteht, wurde bis zuletzt geheimgehalten. Die mögliche Sensation sollte nicht durchsickern und das, obwohl das erste Patent schon erteilt ist und die Forschungsergebnisse seit zwei Tagen im Internet stehen. Teamleiter Professor Günter Fuhr, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik in St. Ingbert im Saarland, bereitete dem Rätselraten dann schließlich ein Ende:

    Wir freuen uns, Ihnen ein medizinisch wie biologisch außerordentliches Forschungsergebnis vorstellen zu können, was möglicherweise Auswirkungen auf alle von uns, auch so wie Sie hier sitzen, haben wird. Bei Mensch und Ratte sind es die exokrinen Drüsen. Und damit ist es jetzt einmal heraus, was gesagt werden muss, was die Quelle ist, also Drüsen die nach außen etwas absondern. Zu diesen Drüsen gehören Teile des Pankreas zu diesen Drüsen gehören die Speicheldrüsen, die Schweißdrüsen, aber auch viele andere, wir haben davon sehr viele.

    Damit ist die erste Bedingung für eine praktisch brauchbare Stammzellquelle gegeben, die leichte Zugänglichkeit. Diese Hürde haben allerdings schon andere genommen. Adulte Stammzellen lassen sich aus der Haut isolieren, aus dem Fettgewebe und dem Knochenmark. Sie alle aber haben ein Problem: Sie vermehren sich nur schlecht, es ist schwierig, ausreichend Material für eine künftige Therapie zusammen zu bekommen. Das ist bei den neuen Stammzellen, die von Dr. Charli Kruse an der Universität Lübeck isoliert wurden, anders. Sie stammen aus den Bauchspeicheldrüsen von bisher acht Ratten und drei menschlichen Patienten. Alle Zelllinien wachsen im Reagenzglas munter weiter, zum Teil schon seit über einem Jahr. Bleibt die dritte Bedingung für eine praktikable Stammzelltherapie: die Vielseitigkeit. Bisher ließen sich nur embryonale Stammzellen in wirklich alle Gewebetypen des Körpers verwandeln. Anders als die bekannten adulten Stammzellen scheinen die neuen Zellen aus der Bauchspeicheldrüse hier mithalten zu können. Fuhr:

    Diese bilden gewebeähnliche Strukturen aus und wachsen. Und sensationell ist, dass diese Keime bei geeigneter Kultur im Reagenzglas weiter wachsen , in den Petrischalen, und eine Größe von fünf Millimetern und mehr erreichen können und wir dort schon sehr dichte zell- und gewebeähnliche Formationen finden, das ist ein ganz neuer, ganz wichtiger Ansatzpunkt für das Tissue engineering.

    In den winzigen Gewebekügelchen finden sich Muskelzellen und Nerven, Knorpel und Haut, Leberzellen und Drüsenstrukturen. Damit sind die wichtigsten Zelltypen für eine zukünftige Therapie vorhanden. Es sieht wirklich so aus, als hätten das Forscherteam von der Universität Lübeck, von der Fraunhofer- und der Max-Planck-Gesellschaft wirklich einen Durchbruch geschafft. Fuhr:

    Wir haben nun neue und sehr gut erreichbare Stammzellquelle, sie haben zum Beispiel sechs Speicheldrüsen im Mund, der Eingriff wäre letztendlich dem Eingriff bei einem Zahnarzt vergleichbar. Wir haben auch und das ist eine Besonderheit der Ergebnisse in Lübeck von einem 74-jährigen Person eine erfolgreiche Isolation solcher Stammzellen belegen können und das ist in sofern auch sensationell denn es eröffnet die Möglichkeit und die Chance, dass man solche Zellpools in jedem Alter anlegt.

    Zellen, die aus dem Körper des Patienten stammen, und die sich deshalb ohne die Gefahr einer Abstoßungsreaktion einsetzen lassen. Günter Fuhr glaubt, dass sich jeder in Zukunft so eine Stammzelle entnehmen lassen sollte, sozusagen als medizinische Versicherung gegen spätere Gesundheitsprobleme. Das aber ist Zukunftsmusik. Auf dem Gebiet der Stammzellforschung gab es schon viele Sensationen, um die es später sehr still wurde. Konkret müssen die deutschen Forscher erst einmal zeigen, ob Zellen aus der leicht erreichbaren Speicheldrüse im Mund tatsächlich genauso vielseitig sind, wie die Zellen der Bauchspeicheldrüse, mit denen sie bislang gearbeitet haben. Zudem nützt es nichts wenn sich die Stammzellen spontan in alle möglichen Gewebe verwandeln. Für die Behandlung der Zuckerkrankheit müssen gezielt und verlässlich insulinproduzierende Zellen erzeugt werden, während Parkinsonpatienten ebenso verlässlich reine Nerven benötigen. Das hier noch jahrelange Arbeit zu leisten ist, weiß auch Günter Fuhr:

    Wir haben deshalb in einer erstaunlich kurzen Zeit und wahrscheinlich auch in einer einmaligen Aktion in Deutschland eine Forschungsallianz zur Sicherung und Nutzung des deutschen Vorsprungs in der adulten Stammzellforschung aufstellen können.

    Ein vielversprechender Ausgangspunkt ist gefunden, bis zu einer praktikablen Stammzelltherapie ist der Weg aber sicher noch weit. Das Team aus Forschern der Universität Lübeck, von Fraunhofer- und Max-Plackgesellschaft ist entschlossen, ihn bis zum Ende zu gehen und sich nicht überholen zu lassen. Das allein ist schon eine gute Nachricht vom Forschungsstandort Deutschland, egal ob die Stammzellen aus den Drüsen sich einmal als Allheilmittel entpuppen, oder nur als ein brauchbarer Ansatz unter vielen.