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Und es ist doch ein van Gogh

Ein van Gogh ist offenbar nicht immer gleich erkennbar: Das jetzt wiederentdeckte Bild war zwar schon im Nachlass des berühmten Malers registriert worden, aber nicht als Original. Nun wurde vom Van-Gogh-Museum offiziell die Echtheit bestätigt.

Christoph Schmitz im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 09.09.2013
    Christoph Schmitz: Nur zwei Jahre vor seinem Tod, also 1888, war van Gogh in den Süden Frankreichs gegangen. Dort sollte sich das Genie des Malers voll entfalten. Das Licht der Provence hatte ihn angezogen, die leuchtenden Farben. Eigentlich wollte er nach Marseille, um dort für seinen Bruder Theo als Kunsthändler zu wirken. Aber Vincent blieb in Arles, knüpfte Kontakte mit den Einheimischen, gewann Freunde, malte sie, wie den Postmeister Joseph Roulin und seine Familie. Und dann wollte er sein Atelier des Südens ins Leben rufen, aber nur Paul Gauguin meldete sich. Bis zu seiner Ankunft malte van Gogh wie verrückt, unter anderem die Serie mit Sonnenblumen. In diese Zeit entstand aber auch etwas, was heute Morgen im Van-Gogh-Museum in Amsterdam verhandelt worden ist. Hatte das Museum den von überall eingeladenen Journalisten wirklich eine Sensation zu verkünden? Das habe ich meinen Kollegen Stefan Koldehoff gefragt.

    Stefan Koldehoff: Na ja, es war in der Tat eine zumindest kunsthistorische Sensation, denn es gibt seit heute ein neues unbekanntes Bild von Vincent van Gogh aus genau der Zeit, die sie gerade beschrieben haben Herr Schmitz, also aus der wichtigen Zeit in Südfrankreich, als er nicht mehr wie in Paris rumprobiert hat, wie das denn mit den Farben und den Formen und dem Licht hinhauen könnte, sondern aus genau jener Zeit, in der er der van Gogh ist, den wir alle kennen und schätzen. Es ist eine Landschaft aus Südfrankreich, eine Landschaft, die dominiert wird von grünen, ockerfarbenen und leicht gelblichen Tönen. Man sieht fern im Hintergrund die Ruine der alten Abtei von Montmajour in der Nähe von Arles. Da ist bekannt, dass van Gogh dort viel gezeichnet hat, auch einige wenige Bilder gemalt hat. Man sieht im Vordergrund die typischen Bäume der Vegetation, die es dort gibt, so kleine, etwas krumm gewachsene Eichen. Man sieht Felsen im Hintergrund, dieses Kloster ist auf einer Felsenlandschaft gebaut worden damals im Mittelalter von den Mönchen. Also stilistisch passt das alles schon mal und es haben tatsächlich in den letzten beiden Jahren hier im Van-Gogh-Museum in Amsterdam jetzt auch die materialtechnischen Untersuchungen ergeben, dass es genau die Leinwand ist, dass es genau die Farben sind, genau die Pigmente, die van Gogh damals benutzt hat.

    Schmitz: Wie groß ist das Bild?

    Koldehoff: Es ist relativ groß: 93 mal 73 Zentimeter. Das passt schon gut übers Sofa oder über den Wohnzimmertisch. Das ist eine Standardleinwandgröße, übrigens die van Gogh auch relativ regelmäßig benutzt hat. Auch das führte dazu, dass man es als echt anerkannt hat.

    Schmitz: Das Bild war unbekannt bisher, oder galt als verschollen.

    Koldehoff: Ja das ist wirklich das Verrückte. Man sollte ja meinen, dass gerade bei einem Künstler wie van Gogh, der schon mehrfach der teuerste Künstler aller Zeiten gewesen ist, man längst in allen Hühnerställen, auf allen Dachböden und auf allen Flohmärkten nachgeguckt hätte. Aber es gibt tatsächlich noch Bilder, die verschollen sind seit über hundert Jahren, und das ist auch die Geschichte hinter diesem Bild. Das hat sich im Nachlass Vincent van Goghs befunden. 1890 ist ein Inventar aufgestellt worden, da hat es die Nummer 180 und ist beschrieben als Landschaft im Sonnenuntergang, und diese Nummer 180 findet sich bis heute auf der Rückseite der Leinwand auch. Da hat irgendjemand die Nummer notiert, als das Inventar aufgestellt wurde. Das ist dann verkauft worden offenbar von der Erbin, von Johanna van Gogh, der Schwägerin des Malers, an einen französischen Sammler namens Maurice Fabre. Der hat sich um 1908 herum wieder davon getrennt, es an einen norwegischen Sammler weiterverkauft, an Christian Nicolai Mustad, einen Margarineunternehmer, der relativ progressiv schon gesammelt hat, und bei dem hat es dann ein Diplomat gesehen, ein skandinavischer Diplomat in französischen Diensten, der relativ bald gesagt hat, "das ist ja ganz nett, aber van Gogh ist das doch im Leben nicht, da haben Sie sich übers Ohr hauen lassen". Und das hat dann dazu geführt, dass dieser Sammler, Herr Mustad, der in den 70er-Jahren gestorben ist, das Bild auf den Speicher gepackt hat, und da ist es dann auch über hundert Jahre lang geblieben.

    Vincent van Goghs 'Sonnenuntergang bei Mont Majour' Foto: picture alliance/dpa DRA

    Schmitz: Verrückt. – Das hat niemand erkannt? Einen van Gogh erkennt man doch, jedenfalls eine sehr gut gemachte Fälschung, die es ja dann wohl gewesen wäre, wenn man dachte, es sei gefälscht gewesen.

    Koldehoff: Ja, zumal sich der Ort wirklich auch als einer identifizieren lässt, an dem van Gogh nachweislich gemalt hat, und es sogar eine Briefstelle gibt, in der er genau diese Landschaft bei Sonnenuntergang seinem Bruder beschreibt. Romantischer geht’s kaum mehr, heißt es in diesem Brief. Aber es kommt sogar noch dicker: 1991 hat die Familie einen ersten Versuch unternommen und das Bild schon in Amsterdam im Van-Gogh-Museum vorgestellt. Da hat man sich es angeguckt und relativ schnell aber gesagt, ist ganz interessant, für van Gogh halten wir das aber nicht. Und erst als jetzt ein Freund dieser Familie, der selbst aus der Gegend von Arles in Südfrankreich stammt, das Bild noch mal gesehen hat und gesagt hat, aber das ist doch Montmajour, das alte Kloster da im Hintergrund, da hat man es noch mal gewagt, ist jetzt auf andere Wissenschaftler gestoßen und die haben dann nach sorgfältigen Untersuchungen – und man muss da einfach auch sehen: Die Forschung ist inzwischen mehr als 20 Jahre weiter, auch materialtechnisch -, da ist man jetzt der Meinung, man akzeptiert es seit heute als neues Werk im Oeuvre Vincent van Goghs.

    Schmitz: Wird das Werk denn nun in der Privatsammlung wieder verschwinden, oder kann man es eine Weile sehen?

    Koldehoff: Es bleibt zunächst mal in Privatbesitz. Es wird aber ein Jahr lang hier im Van-Gogh-Museum ab Herbst ausgestellt werden. Da spielt vielleicht ein ganz kleines bisschen – so jedenfalls die Kuratoren, mit denen ich vorhin gesprochen habe – eine gewisse Scham eine Rolle: Man hätte es ja eigentlich schon 1991 erkennen müssen. Aber das war eben nicht der Fall.

    Schmitz: Stefan Koldehoff über das wieder entdeckte Gemälde "Sonnenuntergang bei Montmajour" von Vincent van Gogh.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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