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Und über allem thront die Currywurst

Um Haaresbreite wäre Werner Büttner Jurist geworden. Doch Martin Kippenberger und Albert Oehlen gewannen den 1954 geborenen Münchner für die neuwilde Kunst. Auf der Karlsruher Retrospektive seiner Arbeiten aus mehr als 30 Jahren wird es dem Betrachter nicht langweilig.

Von Christian Gampert |
    Über dem deutschen Wald schwebt, groß und prachtvoll drohend, eine Currywurst, schön garniert mit roter Soße. "Der romantische Imperativ" heißt das Bild, es ist von 2007 und damit relativ neu. Und es zeigt, dass der anarchische Sinn für den Widerspruch bei dem jetzt bald 60jährigen Werner Büttner immer noch lebendig ist. Auf solche Bildideen muss man ja erst mal kommen.

    Die Karlsruher Retrospektive versammelt über 300 Büttner-Werke, vom Ölbild über die Collage bis zur Skulptur, und man muss sagen: Es wird einem nicht langweilig dabei. Als Büttner 1981 mit einem "Selbstbildnis, im Kino onanierend" die Szene betrat, war der deutsche Herbst gerade vorbei, und eine Gruppe sogenannter neuer Wilder versuchte, die von Konzept und Abstraktion verstopfte Kunst zu entlüften. Es stellte sich dabei nicht nur die Frage: Wie male ich? Oder: Kann man überhaupt noch malen? Sondern auch: Was male ich. Figurativ? I bäh. Nun, Büttner malte zum Beispiel "Badende Russen", im Großformat, wobei man von den Russen nur häßliche Schaftstiefel und abgelegte Uniformen an einem Wasser zu sehen bekam.

    Das war 1982, als die liberale Presse die liebe DDR umgarnte und die liebe Sowjetunion auch. Büttner aber, so wie sein ebenfalls humorbegabter Kollege Georg Herold in der DDR geboren, sah die Brüchigkeit beider deutscher Systeme und bekämpfte sie mit dadaistischem Sarkasmus. Aufgewachsen ist Büttner, dessen Eltern kurz vor dem Mauerbau die Flucht ergriffen hatten, im Münchner Problembezirk Hasenbergl, wo die städtische Leihbücherei ihn rettete. Seitdem pflegt er ein intimes Verhältnis zur Sprache, was auch in seinen Bildtiteln zum Ausdruck kommt – und zur Kunstgeschichte. Wer "Probleme des Minigolfs in der europäischen Malerei" auf Leinwand bannt (man sieht in der Tat eine Minigolfanlage), der ist jenseits von Gut und Böse.

    Zuvor aber studierte Werner Büttner an der FU Berlin allen Ernstes Jura, mit bescheidenem Erfolg.

    "Das Jurastudium musste ich beginnen, weil meine Abiturnote furchtbar war und es noch keinen Numerus Clausus bei Juristerei gab. Abbrechen musste ich es, weil mit mir 5000 Jurastudenten studierten, deren Väter und Großväter schon Juristen gewesen sind und mit denen keine Kontaktaufnahme möglich war, keine menschliche."

    Dann lernte er Martin Kippenberger und Albert Oehlen kennen und machte Kunst.

    "Und zur Kunst bin ich durch die Bekanntschaft mit Albert Oehlen gekommen. Wir haben uns ein paar Jahre lang unterhalten, was könnte man noch anrichten in der Kunst, was geht überhaupt noch. Und nach den drei Jahren haben wir losgelegt."

    Und wie. Während Joseph Beuys in Düsseldorf zum irgendwie sakralen Guru aufstieg und überall nette Pop-Art in den Galerien hing, manschten die Antikünstler der Neuen Figuration seltsame Dinge ins Bild, eine "mutwillig beschädigte Telefonzelle" etwa oder eine "Ampel in Jena". In der Serie "Schrecken der Demokratie" sieht man bei Büttner 1981 ein "Selbstbildnis als Eierwärmer", wahrscheinlich die Antwort auf Birne Helmut Kohl; dann gibt es eine "Evangelische Installation", auf der fein verzeichnet ist, wer wen zeugte im Alten Testament, man erkennt aber hauptsächlich Penisse. Nach der sogenannte Wende sieht man "Neun flüchtig hingeworfene alte Männer" als Linolschnitt, sie heißen Honecker oder Mielke, aber auch, in Öl, den "Künstler in Zeiten der Fernbedienung".

    Die Malweise ist gewalttätig. "Das Rohe und das Gekochte" heißt der erste Band der "Mythologies" von Lévi-Strauss; und roh und ungeschlacht wirkt, wie Büttner malt - aber es ist genau durchkalkuliert. Hier hält jemand der angeblichen Kultur, dem politischen Establishment, die Rohnatur dieser Gesellschaft entgegen – in der malerischen Stilistik. "So geht es allen Kinderfickern" droht ein sehr braunes Bild. In einer Bettdecke erscheint eine Beule, und eine Frau betrachtet diese surreale Erektion. Aber Büttner ist auch gut bewandert in der Kunstgeschichte, die bei ihm ein bisschen umgebogen wird. Das Topos der "Lesenden" heißt bei ihm: "meine Frau liest – und deine?" Der Akt erscheint als "kleiner Hängebusen voller Fingerabdrücke". Daneben gibt es hübsche Veräppelungen von Margritte oder Jeff Koons – oder auch "Die Avantgarde von hinten".

    In jüngster Zeit arbeitet Büttner vermehrt mit Prints und Collagen, letztere werden immer noch mit Messer und Schere gefertigt. Er nimmt auch Bilder vom Flohmarkt, also: Hirsche, Toreros, realsozialistische Erbauungsbilder, und verfremdet sie durch geringfügige Eingriffe. Nietzsche sitzt in der Badewanne, Mutti ist die Beste, und über allem thront wollüstig die Currywurst. Das mindeste, was man über diese Ausstellung sagen kann: Sie macht gute Laune. Das ist doch mal was!