Die Phrase, dass sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten lasse, ist ein Totschlagargument: Es öffnet die Diskussion für alle, die offensichtlich keine Ahnung haben, aber trotzdem mitreden wollen. Nein, über sogenannten Geschmack lässt sich sehr gut streiten: Es geht dabei ja nicht um Gaumenkitzel, sondern um das Vorzeigen von Argumenten. Man hat, bitteschön, die eigenen Kriterien zu benennen, nach denen man ein Kunstwerk beurteilt.
Am schwierigsten ist das in der Gegenwartskunst, denn da sind die Kategorien völlig ins Rutschen geraten. Es zeugt von Mut, vielleicht auch von Selbstbewusstsein, wenn der Chef eines Staatsinstituts, das sich um aktuelle Kunst zu kümmern hat, zu Beginn seiner Amtszeit sich öffentlich fragt, was denn eigentlich seine Aufgabe sei im weitgehend kommerzialisierten Kunstzirkus.
Johan Holten, der gerade die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden übernommen hat, arbeitet nämlich in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Privatmuseum, dem Museum Frieder Burda. Während dort ein Privatier (natürlich unter fachkundiger Beratung) sammelt und ausstellt, was ihm persönlich gefällt, muss sich Holten vor der Öffentlichkeit verantworten, vor dem Bürger, der ihn und sein Institut ja bezahlt.
Was soll, was muss ein öffentliches Museum also ausstellen? Was ist repräsentativ für die Gegenwart? Nichts. Es gibt keine verbindlichen Werte, vom Geld mal abgesehen.
Es herrscht Beliebigkeit, der Kunstmarkt regiert – und es ist nicht die schlechteste Strategie, genau das zu Beginn eines Direktorats mit einer Ausstellung zu thematisieren. "Geschmack" heißt sie, "der gute, der schlechte und der wirklich teure". Johan Holten inszeniert das sehr geschickt: Gleich zu Beginn der Schau haut er uns 160 Kleinstgemälde um die Ohren, die der Chinese Zhou Tiehai von seinen Assistenten hat anfertigen lassen – der gesamte europäische Bilderkanon, von Delacroix' Freiheits-Marianne über Hieronymos Bosch bis zu Cézanne und Dix, abgemalt in peinigender Simplizität für die sofortige Verwertung, wahrscheinlich im Kaufhaus. So ist die Lage. Gleich daneben Anselm Reyles "Weideglück", ein dümmliches, puzzle-artiges Pferdebild, das einer Malanleitung für Anfänger nachempfunden ist: die einzelnen Segmente des Bildes sind aber aufwendig bearbeitet, mit Spiegeln und Spachtelungen, und dadurch entsteht Wert – zumindest auf dem Kunstmarkt. Oder auch auf dem Markt der Ironie, wie Johan Holten meint.
"Ich glaube, die Ausstellung ist eher eine Feststellung als eine Antwort. Die Ausstellung versucht aufzuzeigen, wie diese Kategorien von Gut und Schlecht sich vermischt haben, und wie es eben auch Künstler gibt, die eher kritisieren, über welche Mechanismen heute der teure Geschmack inszeniert wird."
Selig die Zeiten, da man noch wusste, wo es langgeht. In einem historischen Rückgriff präsentiert Holten elf Landschaftsgemälde aus dem 19.Jahrhundert, von Johann Christian Reinhart über Anselm Feuerbach bis Johann Wilhelm Schirmer: Es geht um die Aneignung des Klassischen, um Rom und Pompeji, aber auch um die Heimat, um den Rhein und die badischen Täler. Um 1800 entstanden ja – jenseits der geschlossenen fürstlichen Sammlungen - die ersten öffentlichen Bildergalerien, und hier herrschten klare Vorgaben – und zwar sowohl ästhetischer wie auch moralischer Art.
Davon sind wir heute weit entfernt, und Holten lotst uns auf einem erstaunlichen Parcours durch die Geschmacksvorgaben und Weltverbesserungsprogramme der letzten Jahrzehnte. Einerseits sehen wir die beruhigenden Tapetenmuster des Dänen Poul Gernes, der sich ab 1970 auf die Ausschmückung öffentlicher Gebäude spezialisierte – durch Farben den Menschen menschlicher machen, das war die Devise. Dann die Architekturfantasien des Niederländers Constant aus den 60er-Jahren, der die Altstädte mit weitgespannten Stahlkonstruktionen überbauen wollte – selbst als Skizze ist das eindrucksvoll. Schließlich Andy Warhols Pop-Allüren in seinem Camp-Film aus der Factory: das travestiehafte Überzeichnen von Opern-Posen führt zu einem ganz neuen Kunstbegriff.
Und nun, in der Gegenwart, entdecken Künstler die Geschmacksdiktatur des Marktes selber als Thema: Martin Parr zeigt in illustriertenhafter Buntheit die idiotischen Selbstinszenierungen Neureicher in Dubai und Moskau. Josephine Meckseper legt Hammer und Sichel auf ein spiegelndes Pult und stellt Slips und Klobürsten ins Schaufenster: die Art der Inszenierung nobilitiert auch den letzten Kloakenreiniger. Das wiederum sieht Kurator Holten als Diskussions-Anreger:
"Meine Behauptung ist, dass eine Kunsthalle auch heute noch zu gesellschaftlichen Diskursen beitragen kann. Und dass es eben nicht funktioniert, wenn man sich als Leiter ausschließlich auf die – wie inszeniert der Markt die Künstler, wer ist gehypt und wer nicht – wenn also der Kurator sich ausschließlich auf das Bestätigen des teuren Geschmacks zurückzieht."
Den absoluten Höhepunkt bildet dann die Trash-Modenschau des John Bock aus dem Jahr 2009: mit grotesken Kostümen wird die Kopflosigkeit der Modewelt parodiert. Auf einem sehr lustigen Video sehen wir in feindliche Formen eingepferchte Körper, Topflappen als BHs und Pferde und Lamas auf dem Laufsteg, die Hochzeitskleider spazieren tragen. Und die Originalkostüme stehen gleich daneben.
Also: Wir werden in Baden-Baden mit Johan Holten noch viel Spaß haben. Denn neben einer kritischen Sicht auf den Kunstmarkt hat er vor allem eines: Humor.
Am schwierigsten ist das in der Gegenwartskunst, denn da sind die Kategorien völlig ins Rutschen geraten. Es zeugt von Mut, vielleicht auch von Selbstbewusstsein, wenn der Chef eines Staatsinstituts, das sich um aktuelle Kunst zu kümmern hat, zu Beginn seiner Amtszeit sich öffentlich fragt, was denn eigentlich seine Aufgabe sei im weitgehend kommerzialisierten Kunstzirkus.
Johan Holten, der gerade die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden übernommen hat, arbeitet nämlich in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Privatmuseum, dem Museum Frieder Burda. Während dort ein Privatier (natürlich unter fachkundiger Beratung) sammelt und ausstellt, was ihm persönlich gefällt, muss sich Holten vor der Öffentlichkeit verantworten, vor dem Bürger, der ihn und sein Institut ja bezahlt.
Was soll, was muss ein öffentliches Museum also ausstellen? Was ist repräsentativ für die Gegenwart? Nichts. Es gibt keine verbindlichen Werte, vom Geld mal abgesehen.
Es herrscht Beliebigkeit, der Kunstmarkt regiert – und es ist nicht die schlechteste Strategie, genau das zu Beginn eines Direktorats mit einer Ausstellung zu thematisieren. "Geschmack" heißt sie, "der gute, der schlechte und der wirklich teure". Johan Holten inszeniert das sehr geschickt: Gleich zu Beginn der Schau haut er uns 160 Kleinstgemälde um die Ohren, die der Chinese Zhou Tiehai von seinen Assistenten hat anfertigen lassen – der gesamte europäische Bilderkanon, von Delacroix' Freiheits-Marianne über Hieronymos Bosch bis zu Cézanne und Dix, abgemalt in peinigender Simplizität für die sofortige Verwertung, wahrscheinlich im Kaufhaus. So ist die Lage. Gleich daneben Anselm Reyles "Weideglück", ein dümmliches, puzzle-artiges Pferdebild, das einer Malanleitung für Anfänger nachempfunden ist: die einzelnen Segmente des Bildes sind aber aufwendig bearbeitet, mit Spiegeln und Spachtelungen, und dadurch entsteht Wert – zumindest auf dem Kunstmarkt. Oder auch auf dem Markt der Ironie, wie Johan Holten meint.
"Ich glaube, die Ausstellung ist eher eine Feststellung als eine Antwort. Die Ausstellung versucht aufzuzeigen, wie diese Kategorien von Gut und Schlecht sich vermischt haben, und wie es eben auch Künstler gibt, die eher kritisieren, über welche Mechanismen heute der teure Geschmack inszeniert wird."
Selig die Zeiten, da man noch wusste, wo es langgeht. In einem historischen Rückgriff präsentiert Holten elf Landschaftsgemälde aus dem 19.Jahrhundert, von Johann Christian Reinhart über Anselm Feuerbach bis Johann Wilhelm Schirmer: Es geht um die Aneignung des Klassischen, um Rom und Pompeji, aber auch um die Heimat, um den Rhein und die badischen Täler. Um 1800 entstanden ja – jenseits der geschlossenen fürstlichen Sammlungen - die ersten öffentlichen Bildergalerien, und hier herrschten klare Vorgaben – und zwar sowohl ästhetischer wie auch moralischer Art.
Davon sind wir heute weit entfernt, und Holten lotst uns auf einem erstaunlichen Parcours durch die Geschmacksvorgaben und Weltverbesserungsprogramme der letzten Jahrzehnte. Einerseits sehen wir die beruhigenden Tapetenmuster des Dänen Poul Gernes, der sich ab 1970 auf die Ausschmückung öffentlicher Gebäude spezialisierte – durch Farben den Menschen menschlicher machen, das war die Devise. Dann die Architekturfantasien des Niederländers Constant aus den 60er-Jahren, der die Altstädte mit weitgespannten Stahlkonstruktionen überbauen wollte – selbst als Skizze ist das eindrucksvoll. Schließlich Andy Warhols Pop-Allüren in seinem Camp-Film aus der Factory: das travestiehafte Überzeichnen von Opern-Posen führt zu einem ganz neuen Kunstbegriff.
Und nun, in der Gegenwart, entdecken Künstler die Geschmacksdiktatur des Marktes selber als Thema: Martin Parr zeigt in illustriertenhafter Buntheit die idiotischen Selbstinszenierungen Neureicher in Dubai und Moskau. Josephine Meckseper legt Hammer und Sichel auf ein spiegelndes Pult und stellt Slips und Klobürsten ins Schaufenster: die Art der Inszenierung nobilitiert auch den letzten Kloakenreiniger. Das wiederum sieht Kurator Holten als Diskussions-Anreger:
"Meine Behauptung ist, dass eine Kunsthalle auch heute noch zu gesellschaftlichen Diskursen beitragen kann. Und dass es eben nicht funktioniert, wenn man sich als Leiter ausschließlich auf die – wie inszeniert der Markt die Künstler, wer ist gehypt und wer nicht – wenn also der Kurator sich ausschließlich auf das Bestätigen des teuren Geschmacks zurückzieht."
Den absoluten Höhepunkt bildet dann die Trash-Modenschau des John Bock aus dem Jahr 2009: mit grotesken Kostümen wird die Kopflosigkeit der Modewelt parodiert. Auf einem sehr lustigen Video sehen wir in feindliche Formen eingepferchte Körper, Topflappen als BHs und Pferde und Lamas auf dem Laufsteg, die Hochzeitskleider spazieren tragen. Und die Originalkostüme stehen gleich daneben.
Also: Wir werden in Baden-Baden mit Johan Holten noch viel Spaß haben. Denn neben einer kritischen Sicht auf den Kunstmarkt hat er vor allem eines: Humor.