"Und Vater tanzte" hat Nick Papandreou seine "erfundenen Erinnerungen" genannt, fünf Worte Titel und Untertitel , die das Ausmaß seiner Klemme beschreiben. Obgleich er eine Jugend zwischen Griechenland, Amerika und Kanada schildert, den Zwiespalt eines Kindes zwischen zwei Kulturen thematisiert, rutscht ihm der prominente Vater immer wieder zwischen die Zeilen. Dabei ist der meistens abwesend, sitzt abwechselnd im Gefängnis oder im Parlament, macht Wahlkampf oder baut Widerstandszellen auf. Den Sohn nimmt er eigentlich nur als künftigen Funktionär wahr, schon neunjährig muß er den Vater als Taufpaten in der Provinz vertreten, mit elf oder zwölf eine Grabrede auf ein verdientes Parteimitglied halten und immer ertragen, daß man in ihm nur die kleine Ausgabe der beiden großen Papandreous sieht. Dabei sind schon die Voraussetzungen falsch, denn er ist viel mehr Amerikaner als Grieche, spricht die Vatersprache eher mangelhaft und fühlt sich der dörflich-raunenden, an den bösen Blick glaubenden griechischen Volkskultur kaum verbunden. Bei einem Sommeraufenthalt in den Bergen muß er erkennen, daß der allseits verehrte Dorfintellektuelle zwar Bücher besitzt, aber gar nicht lesen kann; es gehört zu seiner wohleinstudierten Inszenierung, jeden Tag eine halbe Stunde auf die unverständlichen Zeichen zu starren. Auch ihm selbst, dem Sohn einer amerikanischen Mutter, muß die griechische Großmutter mühselig das fremde Alphabet beibringen, was sie mit so großem Erfolg tut, daß diese Passage mühelos Eingang in den Griechischunterricht eines humanistischen Gymnasiums finden könnte. Die Buchstaben nämlich haben ein Eigenleben, an dem man sie erkennt und sie sich gut merken kann.
Ein seltsames Buch. Selbstfindung und politische Zeitgeschichte der sechziger und siebziger Jahre, merkwürdig vage miteinander vermischt, ohne je eindeutig zur einen oder anderen Seite auszuschlagen; Griechenland-Schwärmerei wie aus einem alternativen Reiseführer, naiv, bisweilen poetisch-kitischig - dann aber bricht das jähe Befremden eines High-School-Boys durch, der sich in ein Entwicklungsland versetzt sieht. Auffallend die historischen Lücken in Papandreous belletristischem Wechselbalg: Vom Angst und Schrecken der Militärdiktatur wird seltsam spröde berichtet, die Folter scheint dem prominenten Vater nicht zu drohen. Seine Frau und seine Kinder fahren auch bei nächtlicher Ausgangssperre mit ihrem US-Autokennzeichen unbehelligt durch die Stadt. Hier wird die Fremdheit zur Überlebenshilfe, und als der ältere Bruder beim Plakatekleben gegen die Junta erwischt wird, schlägt man ihn zwar zusammen, sperrt ihn aber nicht ein. In der Vogelperspektive tritt so ein bizarres Muster zutage, das nicht wenige Exilpolitiker dieses Jahrhunderts charakterisiert: Als Außenstehende betreiben sie den politischen Wechsel und werden zu Führungsfiguren einer Gemeinschaft, der sie innerlich längst entwachsen sind. Noch in der zweiten Generation plagen sich die Hin- und Hergewanderten mit der Diskrepanz zwischen Entfremdung und politischer Bedeutung; Nick Papandreou schrieb sein Buch in Athen, doch auf Englisch. Er ist immer noch nicht angekommen.