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Und vor dem Wetter zunächst das Erdbeben...

Geologie. – Erdbebenvorhersagen sind nicht möglich. Kurzfristige Aussagen über die unmittelbare Bebenbedrohung machen angesichts von Nachbeben starker Erschütterungen durchaus Sinn. In der aktuellen "Nature" stellen US-Geologen eine solche tagesaktuelle Bebenvorhersage vor.

Von Dagmar Röhrlich | 19.05.2005
    "Sie hören RSAB, den Radiosender von Antonia Bay, Kalifornien. Bevor wir unseren Wettermann fragen, ob uns die Wolken vom Pazifik endlich Regen bringen, schauen wir erst einmal auf die Bebenvorhersage für heute. Es sieht sehr gut aus. In ganz Kalifornien ist die Wahrscheinlichkeit eines starken Erdbebens äußerst gering. Nun zum Wetter...."

    Vielleicht wird der Radiohörer einmal so gut über die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens informiert sein, wie über die Wetterentwicklung. Jedenfalls wagt der Geologische Dienst der Vereinigten Staaten, USGS, ab heute eine 24-Stunden-Beben-Vorhersage im Internet: Die sagt den Kaliforniern, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es an ihrem Wohnort bebt. Matt Gerstenberger vom USGS in Pasadena:

    "Wir haben ein Vorhersagesystem entwickelt, das die Wahrscheinlichkeit angibt, mit der ein Beben der Intensität 6 auf der Mercalli-Skala eintreten wird. Wir haben diese Skala gewählt und nicht die Richterskala, weil die Mercalli-Scala beschreibt, was ein Beben anrichtet. Intensität 6 ist noch kein großes Beben, aber es treten Schäden auf, und jeder hat es gefühlt."

    Mit dieser Information können auch Laien etwas anfangen, und sie interessiert die Nutzer - also Bürger, Behörden und Rettungsdienste. Der weitaus größte Teil des Sonnenstaates zeigt auf der Bebenkarte im Internet sanfte Blau- und Grüntöne. Die stehen für ein derzeit äußerst geringes Erdbebenrisiko. Aber an ein paar klar umrissenen Orten mischt sich Gelb dazu - dort ist die Wahrscheinlichkeit eines spürbaren Bebens höher. Die täglich aktualisierte Karte beruht auf rein statistischen Daten, auf dem gesammelten Wissen über Erdbeben in Kalifornien:

    "Unserem Modell liegen die Informationen aus der allgemeinen Erdbeben-Gefährdungskarte Kaliforniens zugrunde. Dazu kommt die aktuelle Aktivität der Erde und ausserdem Daten über die Nachbeben früherer Ereignisse, und wie sie sich entwickelt haben. Ausserdem setzen wir statistische Beziehungen ein, etwa, dass auf zehn Beben der Stärke 5 100 der Stärke 4 kommen und so weiter. Bebt die Erde, beginnen wir zu rechnen und sagen dann voraus, wie sich die Nachbeben in einer spezifischen Region verhalten."

    Und zwar so dass die Vorhersagen auf ein paar Straßenzüge genau sind.

    "Wir berechnen die Wahrscheinlichkeiten fortlaufend, denn irgendwo bebt in Kalifornien immer die Erde. Und die Hälfte aller großen Ereignisse in Kalifornien kündigen sich durch Vorbeben, also kleinere Beben, an. Wir müssten dann in unseren Daten sehen, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Bebens erhöht. Aber die Wahrscheinlichkeiten, werden wohl nie so hoch sein, dass wir sagen können: Morgen wird ein Beben der Stärke 7 erwartet."

    Das Programm zielt derzeit vor allem auf die Vorhersage von Nachbeben, die durchaus auch Schäden anrichten können. Die lokal stark eingegrenzten Aussagen zu Wahrscheinlichkeit sollen den Behörden bei der Arbeit helfen:

    "Nach einem Beben der Stärke 7 kommt es in einem Radius von mehr als 70 Kilometern zu Nachbeben, deren Stärke innerhalb dieser Zone stark variiert: Es ist also sinnvoll, in dieser Zone unterschiedliche Maßnahmen zu ergreifen. In dem am stärksten gefährdeten Bereich sollten beispielsweise Fabriken abgeschaltet bleiben, oder Stromleitungen und Pipelines. Und auch Privatleute können aufgrund unserer Vorhersagen weitere Schäden vermeiden, indem sie beispielsweise den Wassererhitzer herunterfahren."

    In der nächsten Stufe sollen physikalische Parameter die statistischen ergänzen: Beispielsweise was ein Beben im Untergrund verändert hat. Das System kann taugt nicht nur für Kalifornien. Vielmehr kann es überall eingesetzt werden, wo die statistische Datenlage ausreicht, also über Jahre ein dichtes Netz an seismischen Stationen existiert hat: in Japan beispielsweise oder in Neuseeland. Und vielleicht gibt es dort dann die Bebenvorhersage im Radio.