Danach versucht er, sein bisheriges Leben als U-Boot fortzusetzen. Der Komponist Gottfried von Einem überläßt ihm sogar Juni 1944 seinen Staatsopernausweis und verschafft ihm einen Ausweis der Reichsmusikkammer, ausgestellt auf den Namen Konrad Bauer. Doch Konrad Bauer alias Konrad Latte wird es in Berlin schließlich zu heiß: er verläßt Berlin, um als Kapellmeister mit dem Hessischen Volkstheater Frankfurt auf Wehrmachtstournee zu gehen. Die dafür notwendige Garderobe leiht er sich u.a. bei Erich Kästner und Hans Söhnker zusammen.
So weit die Geschichte, die in Peter Schneiders Buch noch einmal erzählt wird. Es gibt mehrere Gründe, warum auf dieses Buch hinzuweisen ist:
Erstens ist Schneider ein guter Erzähler, der ein feines Gespür für den verständlichen historischen und aktuellen Zynismus seiner Hauptperson hat: so, wenn die Rede von den "Aufbewahriern" ist, also den Deutschen, die für bedrohte Juden Sachen aufbewahren. Oder wenn gerade das ironisch-distanzierte Verhältnis zur eigenen Religion Echtheit verbürgt: die Kenntnis der Schriften des jüdischen Gelehrten Moses Ben Moimon Maimonides wäre kein Erkennungszeichen, ihn dagegen kurz und knapp "Rambam" nennen zu können schon.
Schneider fügt bekannten Fakten aber auch weitere hinzu und schafft neue Zusammenhänge. Da Konrad Latte mit den Lasker-Schwestern die Jugend in Breslau verbringt, bezieht Schneider auch die neueren Veröffentlichungen von Inge Deutschkron (Sie blieben im Schatten Berlin 1996) und Anita Lasker-Walfisch (Ihr sollt die Wahrheit erben Bonn 1997) mit ein.
Und schließlich interessiert sich Schneider auch für die inner-familiäre Nachkriegs-Geschichte Lattes: warum kann ein mit viel Glück überlebender Jude seine eigene Geschichte noch nicht einmal seiner eigenen Tochter erzählen? Warum erfährt Tochter Gabi erst 1958, was ihren Eltern widerfahren ist? Woher kommt dieses neuerliche Schweigen und die Scham ausgerechnet des Überlebenden?
Schneiders Buch ist wichtig: es gehört zu den Veröffentlichungen, die uns immer mehr klar machen, daß unsere oberflächliche Sicht auf die Täter- ,Opfer- und Helfer -Psychologie differenziert werden muß. Weder die Überlebenden noch die Helfer taugen dabei zu Helden, zu denen wir sie gern formen möchten. Es ging um spontane Mitmenschlichkeit - und die war in Deutschland selten. Schlimm genug, daß im Rinnsal des Widerstands jeder Tropfen gezählt werden muß, aber gerade Konrad Lattes Schicksal zeigt, daß der Widerstand auf der untersten privaten Ebene unterschätzt wird. Konrad Latte zählt an die 50 Helfer auf, die den Mut zur Unterstützung hatten. Von der Quäkerin bis zum Hausmeister, vom Laubenpieper bis zum Drucker, von einer Journalistin bis zu einem Komponisten oder Dirigenten. Niemand kann so naiv sein, und einfach multiplizieren, aber eine ungefähre Größenordnung des "kleinen" Widerstands ergibt sich daraus schon.