Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Und wieder ein Familienroman

Die Auszeichnung Eugen Ruges mit dem Deutschen Buchpreises sei vorhersehbar gewesen, meint Deutschlandfunk-Redakteur Denis Scheck. Er verwende in seinem Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" eine bewährte narrative Technik: die Nachhilfestunde in Zeitgeschichte.

Denis Scheck im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 11.10.2011
    Doris Schäfer-Noske: Bei 30 Prozent lagen die Chancen, dass dieses Jahr ein Roman über die DDR-Vergangenheit mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet würde. Zwei der sechs Bücher von der Shortlist handeln nämlich davon: der Gewinnerroman von Eugen Ruge und "Das Mädchen" von Angelika Klüssendorf, das eine Kindheit in der DDR beschreibt. Die Autoren blicken zurück, ein Trend, der sich auch insgesamt auf dem deutschen Buchmarkt abzeichnet. Frage an Denis Scheck aus unserer Buchredaktion, der gerade zur Buchmesse in Frankfurt ist: Herr Scheck, ein Familienroman über die DDR, das erinnert stark an Uwe Tellkamps "Der Turm". Der wurde vor drei Jahren ja auch mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. In beiden Romanen kommt auch der Deutschlandfunk vor. Was haben denn die Romane sonst noch gemeinsam?

    Denis Scheck: Na ja, sie arbeiten natürlich mit relativ konventionellen ästhetischen Mitteln und sie versuchen, eben deutsche Geschichte in das Gefäß des Familienromans zu gießen und auf diese Weise ja mit einer bewährten narrativen Technik so eine Nachhilfestunde in Zeitgeschichte ihren Lesern zu erteilen. Allerdings gelingt ihnen beiden schon durchaus eindrückliche Charaktere zu zeichnen. Es sind ja auch nicht die einzigen Romane, Frau Schäfer-Noske, die hier vorgestellt werden auf der Frankfurter Buchmesse und die sich mit dem Erbe der DDR und der DDR-Geschichte beschäftigen. Mein Lieblingsroman, den ich für ästhetisch auch aufregender halte als Ruges Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts", ist "Sturz der Tage in die Nacht" von Antje Ravic Strubel, wo der lange Arm der Stasi mit einer Inzestgeschichte kombiniert wird. Das klingt nach Kolportage, aber ich finde, sie macht das ästhetisch eben doch sehr gelungen. Gleichwohl: Man kann an der Entscheidung dieser Jury des Deutschen Buchpreises eigentlich keine große Kritik anbringen, das sind eben meistens Mehrheitsentscheidungen. Jetzt wird der Preis zum siebten Mal vergeben und nach Julia Franck, was ja im Grunde auch eine Familiengeschichte war, mit Arno Geiger, der im Grunde dasselbe aus österreichischer Sicht versuchte, war es eben nun wieder ein Familienroman. Im Grunde bekommt es so langsam fast was Formelhaftes, wir könnten uns überlegen, dass wir den Gewinner des nächsten Jahres dann selber schreiben.

    Schäfer-Noske: Was steckt denn hinter dieser DDR-Renaissance?

    Scheck: Na ja, das ist natürlich im Grunde eine Illustration von Walker Percys berühmtem Diktum. Der wurde mal gefragt, warum denn die Südstaatenliteratur so stark sei, mit Faulkner, mit ihm selber, und er antwortete da ganz knapp und lakonisch: "Cause we lost". Literatur ist natürlich immer das Medium, das sozusagen die Sache, die verloren hat, beschreibt. Das sind natürlich auch Prägungen, die Menschen das ganze Leben mit sich herumtragen und die abgearbeitet werden wie alle historischen Traumen in dem Sinne. Warum das in diesem Herbst nun so ausgeprägt ist? Vielleicht, kann man spekulieren, schielen natürlich auch Autoren auf einen breiten Massenmarkt. Vielleicht ist es aber auch so, dass ihre individuellen Biografien, wie das im Fall von Eugen Ruge ganz sicher der Fall war, diese eine große Geschichte ihnen aufträgt zu erzählen. Das ist, man könnte es mit einer Formulierung aus der Familienaufstellung nehmen, der geheime Auftrag, der quasi in den Köpfen der Autoren wirkt - um eine These in den Raum zu stellen.

    Schäfer-Noske: Interessant ist ja auch, dass zum Beispiel die Autoren, die zu DDR-Zeiten schon geschrieben haben, wie Christoph Hein und Volker Braun, nicht so gefragt zu sein scheinen.

    Scheck: Da gilt natürlich wie immer die Devise in der Kunst: Make it new. Das heißt, die Versionen von Braun und von Hein, die kennen wir ja nun, aber der Neuigkeitswert des Literaturbetriebes, die Gier nach neuen Namen, nach angeblich unverbrauchten Talenten, hat natürlich auch zufolge, dass man sich sozusagen lieber mit den Romanen beschäftigt, deren Machart man nicht ganz so genau vorhersagen kann, wie das vielleicht bei Christoph Hein der Fall ist.

    Schäfer-Noske: Besteht denn da auch ein bisschen die Gefahr der Deutschtümelei in der deutschen Literatur?

    Scheck: Na ja, wer sollte sich denn mit Deutschland beschäftigen, wenn nicht wir Deutschen. Also das ist ja im Grunde auch der Auftrag einer Nationalliteratur, die eigene Geschichte sich immer wieder vor Augen zu führen. Nur die größere Gefahr sehe ich in dem Mechanischen, in dem, dass man sich sozusagen in geborgte Stoffe hüllt und sagt, na ja, wenn ich den Zusammenbruch der DDR beschreibe, dann ist das eben viel, viel aufregender als Sujet, als wenn ich den Zusammenbruch eines Drogeriemarktes beschreibe wie in Jan Brandts aufregendem Debütroman "Gegen die Welt", der eine Kleinstadt in Ostfriesland als Sujet nimmt und die wirklich wie Sherwood Anderson in "Winesburg, Ohio" zum Leben erweckt, mit unzähligen Figuren ein ganz großes breites Tableau auswälzt und das wirklich mit literarischer Grandeur zu einem sensationellen sehr langen Roman macht, der sich tatsächlich vergleichen lässt mit den Meisterwerken der amerikanischen Postmoderne, mit einem David Foster Wallace und seinem unendlichen Spaß beispielsweise. Das wäre mein Favorit gewesen, aber Ruges Auszeichnung ist in meinen Augen jetzt auch kein Debakel, sondern es hat so was Spieldosenhaftes ein bisschen, es ist voraussehbar mit Sätzen wie "Der Kommunismus, Charlotte, ist wie der Glaube der alten Azteken: Er frisst Blut."