Die Autoren der Biografie, Dorothee von Meding und Hans Sarkowicz, beide Redakteure des Hessischen Rundfunks, haben bereits Erfahrungen mit Literatur über den deutschen Widerstand. Umso erstaunlicher ist, dass sie die allgemeine Einführung in das Thema einem anderen überlassen.
Romedio Galeazzo Reichsgraf von Thun-Hohenstein ist sicher ein intimer Kenner des Widerstands, seine Einführung jedoch gerät als Einladung zum Lesen arg steif und militärisch. Zwar erfährt der Leser vieles über die Attentatspläne vor dem 20. Juli 1944, aber kaum etwas über den Helden des Buches, Philipp von Boeselager. Hier muss der Leser erst einmal durch. Ärgerlich ist auch, dass schon im Vorwort die Fußnoten durcheinander geraten.
Ganz anders die Autoren: Mit wenigen Sätzen zeichnen sie zu Beginn ein sehr plastisches Bild von der fatalen militärischen Lage an der Ostfront im Bereich der Heeresgruppe Mitte kurz vor dem Attentat auf Hitler: Die Rote Armee hatte ihre Sommeroffensive gestartet, die Wehrmacht war durch wahnwitzige Befehle gezwungen, ihre Stellungen zu halten, was Zehntausenden Soldaten das Leben kostete.
In dieser Situation sollte der damals 26-jährige Kavallerie-Major Philipp von Boeselager 1200 Mann zur Unterstützung des Staatsstreichs nach Berlin bringen - ohne dass dies an der Front auffallen durfte. Ein Husarenstück! Sein Vorgesetzter Henning von Tresckow hatte sich in seinem Stab die stärkste und homogenste Widerstandsgruppe in Deutschland organisiert. Gemeinsam hatten sie von den Massakern der Einsatzgruppen an den Juden erfahren.
"Und dann eben die Frage von Tresckow: Machst Du mit, das zu stoppen? Es war mir sehr unangenehm; ich sage immer: Ich wäre lieber am Nordpol gewesen, dass man mich nicht gefragt hätte. Aber man hat mich gefragt, und nach zwei Tagen habe ich gesagt: Ja. Und war immer wieder mal schwankend, muss ich sagen! Aber ich wusste jetzt wieder: 250.000 Juden - das ist ja Völkermord! Und wenn man dann gefragt wird: Stoppst Du das? Stoppst Du das nicht? Da bleibt einem nichts anderes übrig, wenn man nachts schlafen will, wie zu sagen: Ja."
Dieses "unheldenhafte" und uneitle ist es, was die Person Philipp von Boeselager so faszinierend macht. Ihm ging es schlicht um die Wiederherstellung des Rechts. Von Demokratie hatte er keine Vorstellung: Die Nazis verachtete er, weil sie ihm zu primitiv waren. Aber die militärischen Erfolge Hitlers bewunderte er zunächst. Umso erstaunlicher, wie schlüssig der damals 26-jährige den Bedenken begegnete, die alle militärischen Verschwörer umtrieben.
"Die Eidfrage war für mich kein Problem: Als Jesuitenschüler hatte ich gelernt, dass der Eid eine zweiseitige Bindung ist. Und wenn der eine den Eid bricht, dass der andere nicht gebunden ist. Und dass der Hitler jeden Tag den Eid brach, zum Wohle des deutschen Volkes seinen Dienst zu tun, das war mir völlig klar. Also für mich war das Eidproblem kein Problem.
Das andere war schon ein Problem - mit dem Mord. Aber es ist ja etwas anderes, wenn ich einen Mord begehe, um für mich irgendwo einen Vorteil herauszuschinden, oder ob ich einen Mord begehe in gewisser Notwehr. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf mich, das Leben oder die Ehre von einem anderen abzuwehren. Das lernte jeder Soldat auswendig, bevor er seinen ersten Urlaub hat.
Und hier ging es darum, einen Angriff auf das Leben von vielen, vielen Tausend Juden abzuwehren. Und ich erinnere mich daran, wie der Tresckow eines Tages zu mir sagte: Boeselager, denken Sie daran: 16.000 Menschen werden täglich umgebracht, das wollen wir stoppen. Und wenn man dann den Mord dagegenrechnet, gegen die 16.000, dann bin ich eben zu dem Schluss gekommen, dass das richtig war. Da konnte einem keiner raten. Das musste man selbst entscheiden."
Diese moralischen Fragen geraten zum Kern des Buches. Sie zeigen, wie man sich entscheiden konnte, wenn man wollte und die entscheidende innere Festigkeit dazu besaß. Dorothee von Meding, die Autorin würdigt dies in ihrem Nachwort:
"Die Suche nach einem makellosen Helden ist die Suche nach einer Romanfigur. Die Wirklichkeit ist komplizierter, rauer. Die Guten sind nicht nur die Guten und die Bösen nicht nur die Bösen."
Einen ersten Vorgeschmack darauf, mit wem wir es bei Boeselager zu tun haben, bringt eine Begebenheit aus dem Frankreich-Feldzug hervor: Boeselager, da-mals 22 und Leutnant, hatte mit einem französischen Offizier die kampflose Übergabe einer Ortschaft vereinbart. Als ein - deutlich ranghöherer - deutscher Major die Franzosen trotzdem angreifen wollte, hielt Boeselager ihn mit gezogener Pistole davon ab. Die Episode machte ihn schnell in der Wehrmacht bekannt und empfahl ihn für den Widerstand. Boeselager war auch bereit gewesen, persönlich auf Hitler zu schießen, die Gelegenheit dazu war sogar günstig, aber der zögerliche Generalfeldmarschall von Kluge verbot das Attentat.
Die Autoren stellen uns verschiedenste Attentatsversuche und -pläne vor - und entfernen sich dabei über weite Strecken von ihrem Protagonisten Boeselager. Den Leser beschleicht mitunter das Gefühl, dass hier Seiten gefüllt werden sollten, die Philipp von Boeselager mit seinen Erinnerungen nicht füllen konnte. In einem Buch über den "letzten Zeugen des 20. Juli" könnte man mehr Konkretes erwarten.
Mitunter geht es auch recht durcheinander zu. Das Buch zerfällt geradezu in disparate Teile. Fast ein Drittel besteht aus der Widergabe des Interviews, das die Autoren mit dem 90-jährigen Philipp von Boeselager geführt haben. Auch eine CD liegt bei, die Teile dieses Interviews enthält. Eine stärkere Verschränkung der Teile dieses Buches hätte ihm gutgetan. Dies hätte dem Leser auch er-spart, dass manche Zitate dreimal im Buch auftauchen - und noch einmal auf der beiliegenden CD.
Aus dem Interview erfährt man mehr über Boeselager, seine Herkunft und Motivation, als auf den 130 Seiten davor. Hier, im Interview, kommt man dem jüngsten Verschwörer des 20. Juli 1944 sehr nahe. Glaubwürdig erscheint er gerade durch seine Zweifel, seine Schwächen, seine Zerrissenheit. Am faszinierendsten ist sein "politisch unkorrektes" Nachdenken darüber, was bei einem gelungenen Staatsstreich aus Deutschland geworden wäre
"Ich bin mir manchmal nicht klar, ob es nicht ganz gut war, dass nichts funktioniert hat. Denn den heutigen Staat hätten wir ja bestimmt in der Form nicht bekommen, wenn der 20. Juli geglückt wäre! Ich weiß nicht, was wir für einen Staat bekommen hätten. Wir hätten sicher einen Staat des Rechtes und der Freiheit bekommen, aber dadurch, dass alles kaputt war, hat man ja eine ganz andere Chance gehabt, den Neuaufbau zu beginnen. Ich habe großes Vertrauen zu Goerdeler gehabt und zu Beck und so. Aber vielleicht waren die Chancen noch größer dadurch, dass das At-tentat missglückt ist. Ich weiß es nicht."
Philipp von Boeselager starb am 1. Mai dieses Jahres - unmittelbar vor Drucklegung des Buches.
Hans Sarkowicz, Dorothee von Meding: Phillipp von Boeselager. Der letzte Zeuge des 20. Juli 1944
Zabert Sandmann Verlag, 192 Seiten, 19,95 Euro
Romedio Galeazzo Reichsgraf von Thun-Hohenstein ist sicher ein intimer Kenner des Widerstands, seine Einführung jedoch gerät als Einladung zum Lesen arg steif und militärisch. Zwar erfährt der Leser vieles über die Attentatspläne vor dem 20. Juli 1944, aber kaum etwas über den Helden des Buches, Philipp von Boeselager. Hier muss der Leser erst einmal durch. Ärgerlich ist auch, dass schon im Vorwort die Fußnoten durcheinander geraten.
Ganz anders die Autoren: Mit wenigen Sätzen zeichnen sie zu Beginn ein sehr plastisches Bild von der fatalen militärischen Lage an der Ostfront im Bereich der Heeresgruppe Mitte kurz vor dem Attentat auf Hitler: Die Rote Armee hatte ihre Sommeroffensive gestartet, die Wehrmacht war durch wahnwitzige Befehle gezwungen, ihre Stellungen zu halten, was Zehntausenden Soldaten das Leben kostete.
In dieser Situation sollte der damals 26-jährige Kavallerie-Major Philipp von Boeselager 1200 Mann zur Unterstützung des Staatsstreichs nach Berlin bringen - ohne dass dies an der Front auffallen durfte. Ein Husarenstück! Sein Vorgesetzter Henning von Tresckow hatte sich in seinem Stab die stärkste und homogenste Widerstandsgruppe in Deutschland organisiert. Gemeinsam hatten sie von den Massakern der Einsatzgruppen an den Juden erfahren.
"Und dann eben die Frage von Tresckow: Machst Du mit, das zu stoppen? Es war mir sehr unangenehm; ich sage immer: Ich wäre lieber am Nordpol gewesen, dass man mich nicht gefragt hätte. Aber man hat mich gefragt, und nach zwei Tagen habe ich gesagt: Ja. Und war immer wieder mal schwankend, muss ich sagen! Aber ich wusste jetzt wieder: 250.000 Juden - das ist ja Völkermord! Und wenn man dann gefragt wird: Stoppst Du das? Stoppst Du das nicht? Da bleibt einem nichts anderes übrig, wenn man nachts schlafen will, wie zu sagen: Ja."
Dieses "unheldenhafte" und uneitle ist es, was die Person Philipp von Boeselager so faszinierend macht. Ihm ging es schlicht um die Wiederherstellung des Rechts. Von Demokratie hatte er keine Vorstellung: Die Nazis verachtete er, weil sie ihm zu primitiv waren. Aber die militärischen Erfolge Hitlers bewunderte er zunächst. Umso erstaunlicher, wie schlüssig der damals 26-jährige den Bedenken begegnete, die alle militärischen Verschwörer umtrieben.
"Die Eidfrage war für mich kein Problem: Als Jesuitenschüler hatte ich gelernt, dass der Eid eine zweiseitige Bindung ist. Und wenn der eine den Eid bricht, dass der andere nicht gebunden ist. Und dass der Hitler jeden Tag den Eid brach, zum Wohle des deutschen Volkes seinen Dienst zu tun, das war mir völlig klar. Also für mich war das Eidproblem kein Problem.
Das andere war schon ein Problem - mit dem Mord. Aber es ist ja etwas anderes, wenn ich einen Mord begehe, um für mich irgendwo einen Vorteil herauszuschinden, oder ob ich einen Mord begehe in gewisser Notwehr. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf mich, das Leben oder die Ehre von einem anderen abzuwehren. Das lernte jeder Soldat auswendig, bevor er seinen ersten Urlaub hat.
Und hier ging es darum, einen Angriff auf das Leben von vielen, vielen Tausend Juden abzuwehren. Und ich erinnere mich daran, wie der Tresckow eines Tages zu mir sagte: Boeselager, denken Sie daran: 16.000 Menschen werden täglich umgebracht, das wollen wir stoppen. Und wenn man dann den Mord dagegenrechnet, gegen die 16.000, dann bin ich eben zu dem Schluss gekommen, dass das richtig war. Da konnte einem keiner raten. Das musste man selbst entscheiden."
Diese moralischen Fragen geraten zum Kern des Buches. Sie zeigen, wie man sich entscheiden konnte, wenn man wollte und die entscheidende innere Festigkeit dazu besaß. Dorothee von Meding, die Autorin würdigt dies in ihrem Nachwort:
"Die Suche nach einem makellosen Helden ist die Suche nach einer Romanfigur. Die Wirklichkeit ist komplizierter, rauer. Die Guten sind nicht nur die Guten und die Bösen nicht nur die Bösen."
Einen ersten Vorgeschmack darauf, mit wem wir es bei Boeselager zu tun haben, bringt eine Begebenheit aus dem Frankreich-Feldzug hervor: Boeselager, da-mals 22 und Leutnant, hatte mit einem französischen Offizier die kampflose Übergabe einer Ortschaft vereinbart. Als ein - deutlich ranghöherer - deutscher Major die Franzosen trotzdem angreifen wollte, hielt Boeselager ihn mit gezogener Pistole davon ab. Die Episode machte ihn schnell in der Wehrmacht bekannt und empfahl ihn für den Widerstand. Boeselager war auch bereit gewesen, persönlich auf Hitler zu schießen, die Gelegenheit dazu war sogar günstig, aber der zögerliche Generalfeldmarschall von Kluge verbot das Attentat.
Die Autoren stellen uns verschiedenste Attentatsversuche und -pläne vor - und entfernen sich dabei über weite Strecken von ihrem Protagonisten Boeselager. Den Leser beschleicht mitunter das Gefühl, dass hier Seiten gefüllt werden sollten, die Philipp von Boeselager mit seinen Erinnerungen nicht füllen konnte. In einem Buch über den "letzten Zeugen des 20. Juli" könnte man mehr Konkretes erwarten.
Mitunter geht es auch recht durcheinander zu. Das Buch zerfällt geradezu in disparate Teile. Fast ein Drittel besteht aus der Widergabe des Interviews, das die Autoren mit dem 90-jährigen Philipp von Boeselager geführt haben. Auch eine CD liegt bei, die Teile dieses Interviews enthält. Eine stärkere Verschränkung der Teile dieses Buches hätte ihm gutgetan. Dies hätte dem Leser auch er-spart, dass manche Zitate dreimal im Buch auftauchen - und noch einmal auf der beiliegenden CD.
Aus dem Interview erfährt man mehr über Boeselager, seine Herkunft und Motivation, als auf den 130 Seiten davor. Hier, im Interview, kommt man dem jüngsten Verschwörer des 20. Juli 1944 sehr nahe. Glaubwürdig erscheint er gerade durch seine Zweifel, seine Schwächen, seine Zerrissenheit. Am faszinierendsten ist sein "politisch unkorrektes" Nachdenken darüber, was bei einem gelungenen Staatsstreich aus Deutschland geworden wäre
"Ich bin mir manchmal nicht klar, ob es nicht ganz gut war, dass nichts funktioniert hat. Denn den heutigen Staat hätten wir ja bestimmt in der Form nicht bekommen, wenn der 20. Juli geglückt wäre! Ich weiß nicht, was wir für einen Staat bekommen hätten. Wir hätten sicher einen Staat des Rechtes und der Freiheit bekommen, aber dadurch, dass alles kaputt war, hat man ja eine ganz andere Chance gehabt, den Neuaufbau zu beginnen. Ich habe großes Vertrauen zu Goerdeler gehabt und zu Beck und so. Aber vielleicht waren die Chancen noch größer dadurch, dass das At-tentat missglückt ist. Ich weiß es nicht."
Philipp von Boeselager starb am 1. Mai dieses Jahres - unmittelbar vor Drucklegung des Buches.
Hans Sarkowicz, Dorothee von Meding: Phillipp von Boeselager. Der letzte Zeuge des 20. Juli 1944
Zabert Sandmann Verlag, 192 Seiten, 19,95 Euro