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Unendliche Kunstfertigkeit

Kunst, Kurioses und frühe Technik: In den Sammlungen der Habsburger Kaiser fand sich seinerzeit Exotisches aus aller Welt. Diese kleinen Schätze sind nun in der neu eröffneten Wiener Kunstkammer zu sehen. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein weltbekanntes Salzfass.

Von Beatrix Novy |
    Die Seidenschals mit der Saliera liegen längst im Museumsshop, die Stadt ist tapeziert mit Kunstkammer-Plakaten, das Ereignis seit Tagen vorab gewürdigt. Um den Hype, der hier aufgebaut wurde, gut zu organisieren, ist der Besuch der Ausstellung nur im Rahmen von Zeitfenstern möglich, soll heißen: nach Anmeldung. Für die Neueröffnung der Kunstkammer eignen sich nur Superlative: "Eines der wichtigsten Kulturprojekte Österreichs" ist die Kunstkammer laut Pressetext, "von großer historischer Bedeutung", und "weltweit die bedeutendste ihrer Art."

    Zur Sicherheit wird auch das grüne Gewölbe in Dresden freundlich auf den zweiten Platz verwiesen. Komplexer, weitgreifender sei die Kunstkammer, sagen die Wiener, vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert mit Generationen von Habsburgern verbunden. Gebändigt und gegliedert wird die Komplexität in einem Gerüst, das die 2200 Objekte in verschiedenen historischen, kunst- und geistesgeschichtlichen Kontexten anleuchtet – ein anspruchsvolles und, etwas Ruhe im Besucherandrang vorausgesetzt, hilfreiches Konzept.

    Das intensive Sammeln, das mit der frühen Neuzeit begann, als Aneignung einer größer und offener werdenden Welt, war Gelehrten und Fürsten vorbehalten. Kunstfertigkeit, frühe Technik, Kurioses, Exotisches aus bisher ungekannten Ländern – was die Welt hergab, trugen auch die Habsburger Kaiser zusammen, gelenkt von den Bedingungen ihrer Zeit wie von eigenen Vorlieben und Zielen. Die geistliche und weltliche Schatzkunst, mit der die Schau beginnt, stand noch ganz im Zeichen des Mittelalters; aber der Marmorkopf des herzerfrischend lachenden Knaben, den ein italienischer Künstler um 1430 abbildete, ist revolutionär, das sehr frühe Beispiel eines Kinderporträts. Die verträumt schmachtenden Liebenden, auch in Marmor, waren hingegen eine ausgesprochene Modeerscheinung des 15. Jahrhunderts, zweckfrei, zum müßigen Betrachten und wie geschaffen für die Kunstkammer eines Kaisers.

    Zweckfrei, dabei aber Demonstration fortschreitender Technik, waren auch die ersten Automaten, die prächtig gekleidete Puppe zum Beispiel, die eine Zither schlägt, trippelt, den Kopf dreht. Leider bleibt sie still in ihrer Vitrine, genau wie die versilberte, edelsteingeschmückte Göttin Diana auf dem Rücken des Zentauren. Sie und all die anderen beweglichen Produkte erstaunlichster Handwerks- und Mechanikerkunst erwachen nur auf Computerbildern zu ihrem künstlichen Leben, wie das höchst realistische kleine Kriegsschiff, auf dem kleine Soldaten ihrem kleinen Feldherrn etwas vor trommeln, - pfeifen und –schießen.

    Im enzyklopädischen Nebeneinander der Kunstkammer spielen Zeitmesser, wissenschaftliche Geräte also eine große Rolle; als Zeugnisse technischer und künstlerischer Hochleistung, aber auch als Symbole der kosmischen Ordnung, die um 1600 selbst zur Richtschnur des fürstlichen Sammlers wurde. Und doch nur ein paar Jahre entfernt von der naiven Wundergläubigkeit, die Tafelaufsätze mit Natternzungen hervorbrachte – sie sollten vor vergifteten Speisen warnen, da mussten Fürsten dieser Epoche ja immer auf dem quivive sein. Die Natternzungen nützten natürlich nichts, schon weil sie in Wahrheit aus Haifischzähnen gemacht waren. Was ja auch dem Geist der Zeit entsprach. Hybride aus verschiedenen Materieformen, aus totem und organischen, exotischen und heimischen Material faszinierten, und der Kokosnuss-Pokal mit eingeschnitztem Reitermotiv und Goldkelch erzählt vom kolonialen Habsburgerreich, in dem die Sonne nicht unterging.

    Der Luxus des Materials ist unbedingte Voraussetzung fürstlicher Selbsterhöhung, und in deren Dienst stand explizit das Sammeln: Schalen aus Achat und Jaspis, Tableaus aus Elfenbein und Ebenholz, Prunkbecken, überladen mit Darstellungen von Triumphzügen, so etwas war nur Herrschern zugedacht. Für die Frauen an ihrer Seite gab es das fürstliche Nähkästchen mit Samtkissen, vergoldet, bemalt mit Darstellungen der Tugend – es kommt beim Anschauen eine beklemmende Ahnung von Kemenaten-Langeweile auf. Das Sammeln erforderte eigene Behältnisse, die wiederum Teil der Sammlung wurden: Kabinettschränke mit Schubladen und Nischen, geschmückt mit kleinen Gemälden und aufgesetzten Skulpturen, mit Hinterglasmalereien, Kupferstichplatten und ziemlich lasziven Reliefs.

    Der Kunstfertigkeit ist kein Ende. Und das alles läuft, wenn auch nicht aufdringlich, auf die eine zu, die Saliera, das ambitionierte Salzfass mit Neptun und Erdgöttin, Benvenuto Cellinis herrlich lässige Goldschmiedearbeit für den König von Frankreich. Die Saliera, weltbekannt, weil ein frecher Dieb sie vor zehn Jahren klauen konnte; ein Baugerüst stand günstig unter ihrem Fenster. Das kommt bestimmt nicht noch mal vor.