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Unendliche Weiten im Unterricht

Kein anderes Themengebiet kann so viele Unterrichtsfächer einbeziehen wie die Astronomie: Chemie, Physik oder auch Biologie lassen sich durch den Blick zu den Sternen miteinander verbinden. Deswegen machen sich zahlreiche Initiativen für Astronomie als Lehrinhalt stark - wie beispielsweise das Projekt "Wissenschaft in die Schulen".

Von Michael Engel | 11.04.2009
    "Bismarckschule" Hannover: Mancher Rektor könnte auf das Gymnasium neidisch werden. Denn oben, auf dem sogenannten "Südturm", befindet sich eine eigene Sternwarte mit einem Fernrohr. Im Keller findet man ein Mini-Planetarium für 20 Schülerinnen und Schüler. Nicht weniger spannend ist der Astronomieunterricht aber auch in der Klasse, wenn sich Dirk Brockmann der Sache annimmt.

    Soeben wirft der engagierte Physiklehrer vereinzelte Kieselsteine in eine Schüssel, in der eine weiße, zähe Paste den Aufschlag abbremst.

    "Die Entstehung der Mondoberfläche soll hier mal an einem kleinem Gipsmodell dargestellt werden, wie sich also Oberflächen durch Einschläge von Meteoriten verändern. Wir haben das mit kleinen Kieselsteinen in eine Gipswanne hinein simuliert und anschließend, als es ausgehärtet war, haben die Schülerinnen und Schüler dann den Kratern und den Oberflächeneinzelheiten auch Namen gegeben, fantasievolle Namen. Und insofern zeigt sich hier auch schon, dass die Astronomie ein Fach ist, dass zwischen vielen anderen Fächern Anknüpfungspunkte finden kann, und das macht eigentlich auch einen der großen Reize dieses Themengebietes aus."

    Kein anderes Themengebiet könne so viele Unterrichtsfächer mit einbeziehen wie die Astronomie. Dirk Brockmann nennt die Chemie und die Biologie, wenn es zum Beispiel um außerirdische Lebensformen im All geht. Auch Geografie, Mathematik und sogar Kulturgeschichte ließe sich mit der Wissenschaft von den Sternen verknüpfen. Für Kinder wie Zehra aus der 5a sind Experimente wie die mit der Gipswanne sowieso spannend:

    "Nach der Mondlandschaft wollten wir wissen, wie die Sonne da den Schatten drauf wirft. Dann sind wir unten ins Planetarium gegangen, haben alle Lichter zugemacht, und Herr Brockmann hatte eine echt helle Taschenlampe mit. Und von da aus hat er dann von oben nach unten geleuchtet, und dann haben wir auch bemerkt, dass der Schatten immer weiter ging. Und dass das irgendwann richtig wie ein Kaktus aussah."
    Anleitungen, die den Astronomieunterricht spannend machen, können Physiklehrer wie Dirk Brockmann aus dem Internet herunter laden. Unter www.wissenschaft-Schulen.de gibt es Arbeitsblätter, Frage- und Bastelbögen, sogar Videos mit kosmischen Animationen. Die Homepage gehört dem Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, das mit dem sogenannten WIS-Projekt - "Wissenschaft in die Schulen" - das einzigartige Material bereitstellt. Für Lehrer Brockmann eine wunderbare Bereicherung:

    "Die Idee des WIS-Projektes ist deswegen im Grunde genommen so gut, weil von Forschern, aus der Forschung direkt, die Themen aufgegriffen werden, die in den Heften von jetzt hauptsächlich 'Sterne und Weltraum' veröffentlicht werden. Das heißt, man hat aus erster Hand wissenschaftliche Informationen, die dann didaktisch reduziert, umgesetzt für die Schule dann auch bereit gestellt werden. Und natürlich vorzugsweise auch so, dass die Lehrerinnen und Lehrer sie eins zu eins direkt im Unterricht einsetzen können, was ein weiterer sehr großer Vorteil ist."

    Warum besteht unser Universum zu 95 Prozent aus "dunkler Materie"? Könnte es Leben nicht nur auf der Erde, sondern ebenso auch auf anderen Planeten geben? Und wie sähen diese Organismen aus?

    Mit Themen aus der aktuellen Astronomie sollen die Schüler vor allem fasziniert werden. Um das zeitgemäße Unterrichtsmaterial zu entwickeln, holten sich die Heidelberger Astronomen eigens didaktische Verstärkung ins Haus: Dr. Olaf Fischer - ehemals Physiklehrer - engagiert sich geradezu enthusiastisch für das Projekt "Wissenschaft in die Schulen".

    "Die Idee ist, die Jugendlichen an die Angel zu kriegen. Wir brauchen ein 'Trojanisches Pferd'. Das heißt, wir verpacken etwas in der Astronomie - angeln uns so die Jugendlichen, und dann merken sie eigentlich gar nicht, wie sie eigentlich Physik betreiben, und wie sie so ins Reich der Naturwissenschaft langsam diffundieren."

    Jeden Monat geben die Heidelberger Wissenschaftler die Zeitschrift "Sterne und Weltraum" heraus, in der die neuesten Erkenntnisse der astronomischen Forschung nachzulesen sind. Bisher war die Fachzeitschrift vor allem an Forscher und Hobbyastronomen adressiert. Neuerdings enthält die Publikation auch didaktische Materialien für Schulen, wie der Herausgeber Dr. Jakob Staude vom Max-Planck-Institut für Astronomie in den höchsten Tönen lobt.

    "Also einmalig ist schon mal die Entstehung unserer Zeitschrift mitten in einem so prominenten und an der vordersten Front arbeitenden Forschungsinstituts wie dem Max-Planck-Institut für Astronomie. Es gibt weltweit keine andere astronomische Zeitschrift, die so innig mit den Wurzeln ihrer Inhalte - nämlich der aktuellen Forschung - verbunden ist wie "'Sterne und Weltraum' und gleichzeitig am Bahnhofskiosk zu erwerben ist. Das ist schon einmalig. Und dieses Konzept wollen wir jetzt erweitern und ausdehnen und damit eben die Arbeit mit den Schülern, mit den Lehrern, mit den Studenten professionalisieren und bündeln."

    Besonders interessierte Schülerinnen und Schüler werden darüber hinaus auf dem Königstuhl in Heidelberg gefördert. Die Max-Planck-Gesellschaft bietet dort mehrtägige Schülerakademien an. Bei diesen jungen Leuten, so die Erfahrung von Olaf Fischer, haben die Sterne ihre Wirkung nicht verfehlt.

    "Astronomie hat ja etwas Weites, Unerforschtes, etwas gewaltig Großes. Das haben wir immer wieder erlebt - abends, wenn wir mit einer Schülergruppe bei einer Schülerakademie auf einer Wiese zu den Sternen gucken. Also es geht mit Sternenbildern los. Und man legt die [Schüler] auf eine Decke. Und die liegen und gucken nach oben, und die bleiben dann stundenlang da liegen, unterhalten sich, gucken nach oben und zeigen sich was. Also der Himmel hat immer etwas Magisches an sich. Das nutzen wir halt aus."

    Unterdessen machen sich zahlreiche Initiativen in Deutschland für die Astronomie stark. So forderten im Januar diesen Jahres der "Rat Deutscher Sternwarten" zusammen mit der "Astronomischen Gesellschaft" einen "verstärkten Einsatz astronomischer Themen" an Schulen, um die jungen Menschen mehr zum Lernen zu motivieren. Die "Deutsche Gesellschaft für Schulastronomie e.V.", 2008 in Bad Homburg gegründet, möchte das Fach in allen Schulformen und Jahrgangsstufen sogar verpflichtend einführen - "zur Stärkung der Naturwissenschaft in Politik, Infrastruktur und Erziehung".