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Unentwirrbares Interessengeflecht

In Italien bleibt das Thema Korruption ein Dauerbrenner. So auch beim Bauvorhaben einer gigantischen Brücke über die Meerenge von Messina. Niemand weiß, ob das Projekt jemals realisiert wird – doch die Mafia hat bereits die Finger im Spiel. Karl Hoffmann berichtet.

    Luca steuert das kleine Holzboot vom Yachthafen im Zentrum von Messina aus Richtung Norden:

    "Wir fahren zum Capo Peloro. Dort treffen sich die beiden Meere, das tyrrhenische und das ionische Meer, wo einst Odysseus vorbeifuhr und auf die Meerungeheuer Szylla und Charybdis stieß. Wir fahren jetzt zur Charybdis."
    Was an diesem mythischen Ort in den nächsten Jahren entstehen soll, wird die Monster des Altertums im wahrsten Sinn des Wortes in den Schatten stellen. 379 Meter hoch wird jeder der beiden Pfeiler, die die längste Hängebrücke der Welt tragen sollen. Gegen dieses Riesenbauwerk protestiert Luca zusammen mit anderen Naturfreunden. Neben und hinter ihm sind weitere 120 kleine Boote auf dem Wasser in der Meerenge, die eine symbolische Brücke bilden. Sie wollen die Strasse von Messina vor der Zerstörung durch das gigantische Bauwerk bewahren. Aber auch verhindern, dass sich die bereits massive Korruption und die Schattenwirtschaft der Mafia diesseits und jenseits der Meerenge ungehindert ausbreiten.

    Die gewaltigen Summen, die auch aus den Kassen der EU in das Brückenprojekt gepumpt werden, wandern nämlich unweigerlich in dunkle Kanäle, das ist jetzt schon sicher. Umweltschützer Gaetano Benedetto führt den Protestkonvoi auf der Strasse von Messina an. Gravierend ist seiner Meinung nach das System der Auftragsvergabe an einen General Contractor, also eine einzige Firma, die nach Gutdünken das Projekt durchführen soll.

    "Diese Vorgehensweise ist in ganz Italien immer mit Risiken verbunden aber hier in Süditalien ganz besonders problematisch. Da können sich unbemerkt alle möglichen dunklen Elemente einschleichen. Weil die Firma, die mit dem Bau beauftragt wird, frei entscheiden kann, welche Unterfirmen die einzelnen Aufträge bekommen, ohne öffentliche Ausschreibung und damit ohne echte Konkurrenz. Da werden dann Aufträge vergeben und Gelder bezahlt, die keiner mehr ernsthaft kontrolliert."

    Schon in der Vorbereitungsphase ist das Brückenprojekt ein unentwirrbares Interessengeflecht. In der Aufsichtskommission, die die Vergabe an den General Contractor beurteilen soll, sitzen Experten, die auch in den am Auftrag interessierten Firmen tätig sind, also den Auftrag an sich selbst vergeben sollen. In der für das Projekt verantwortlichen Gesellschaft Stretto di Messina, Straße von Messina, sitzen Funktionäre mit zweifelhaftem Ruf, einer ist sogar verurteilt worden wegen illegaler Parteienfinanzierung.

    Autohersteller Fiat und Kleiderfabrikant Benetton, Zementfirmen und Telefonanbieter stehen Schlange, um sich eine Scheibe vom großen Kuchen abzuschneiden. Der mit der Zeit von selbst immer größer wird. Schon jetzt ist eine Endsumme von siebeneinhalb bis neun Milliarden Euro im Gespräch. Da reiben sich auch die Bosse der wichtigsten Mafiaorganisationen Italiens die Hände. Die Macht von Cosa Nostra in Sizilien und Ndrangheta in Kalabrien ballt sich gerade um die geplante Brücke herum: Wie, das schildert der Experte für die Meerenge, Toni di Natale aus Messina:

    "Vor allem die enormen Erdbewegungen interessieren die Mafia. Die kann man nämlich am schwersten kontrollieren, weil da viele Arbeiter gebraucht werden und Lastwagen. Das ist das Business von Mafia und Ndrangheta. Da liegt das wirkliche Interesse an der Brücke. Ich glaube nicht, dass der Staat dieses Bauwerk am Ende wirklich realisieren will."

    Die Naturschützer fürchten, dass da viel Geld ausgegeben wird für nichts, dass man mit der Brücke zwar beginnt, aber nie fertig wird, dass sich Mafia und lokale Politiker eine goldene Nase verdienen und am Ende eine halbzerstörte Natur übrig bleibt, die das Opfer von Korruption und Vetternwirtschaft ist. Es wäre nicht der erst Fall in Süditalien.